laut.de-Kritik
Mit Akustikgitarre klingt die Amerikanerin am besten.
Review von Giuliano BenassiFrüher oder später musste es auch eine goldene Kehle wie Jewel treffen. Nach dem Riesenerfolg ihres Debüts "Pieces Of You" (1995) hat sie die Erfahrung gemacht, wie schwer es ist, sich seine Fanbasis zu erhalten. Die Beats auf ihrem vierten Album "0304" (2003) verschreckten ihre Gefolgschaft so sehr, dass ihre folgenden zwei Werke wie Blei in den Regalen liegen blieben, obwohl sie eine Kehrtwende vollzogen hatte und wieder zu den akustischen Klängen ihrer Anfänge zurück gekehrt war.
Der Titel der vorliegenden DVD hört sich demnach schon fast wie ein Abschied an. Doch auf der Bühne zeigt die zierliche Frau aus Alaska keine Spur von Bitterkeit, im Gegenteil: Selbstbewusst und entspannt präsentiert sie sich dem Publikum, begleitet von ihrer Akustikgitarre. Wie zu Beginn der 90er Jahre, als sie durch kalifornische Cafés tingelte und in ihrem Kleinbus lebte.
Eine Stimmung, die sie offenbar wieder zu erzeugen versucht, obwohl die Hallen und die Zuschauerzahlen an Größe erheblich zugenommen haben. Mit einem himmelblauen Kleid, das wie ein besseres Nachthemd aussieht, Cowboystiefeln, blondem Schopf und einem verschmitzten Lächeln, das ohne Angst einen verschobenen Eckzahn entblößt, ist sie so etwas wie der Traum des ländlichen Amerikaners. Eine Frau, mit der man durch dick und dünn gehen kann, kein Großstadtmensch, der sich hinter falschen Allüren versteckt. Ein Country-Girl, deren Lieder von Liebe handeln, und die nicht nur mit der Gitarre umzugehen weiß, sondern auch eine Stimme besitzt, die Tränen in die Augen treibt.
Dabei sind Jewels Lieder lange nicht so unschuldig, wie das Aussehen der Autorin vermuten lässt. "Ich möchte deine Hände auf meiner Haut spüren, mein Bett ist so leer ohne dich", singt sie gleich im Opener "1000 Miles Away". Ein Thema, das wiederkehrt und das die Grundlage ihrer Texte bildet. Die Magie hält an, bis ihre Begleitband ab "Hands" auf der Bühne steht. Nicht, dass sie unfähig wäre, doch der rockigere 08/15-Sound, den sie hervorbringt, macht aus Jewel lediglich eine durchschnittliche Charts-Blondine. Dass die erste Scheibe zusätzlich ein Video auf Musikantenstadelniveau und ein nichtssagendes Interview bietet, passt in dieser Hinsicht gut ins Bild.
Umso besser, dass Jewel auf der zweiten DVD bis fast zum Schluss auf Begleitung verzichtet. In Jeans und einem ärmellosen lila Top gekleidet, scheint sie noch umgänglicher als zuvor. Fröhlich bis ergriffen singt sie sich durch ihr Werk und plaudert immer wieder aus dem Nähkästchen.
Ihre Lieblingsgeschichte dreht sich um ihre erste Single "Who Will Save Your Soul". Als sie sie das erste Mal hörte, im Radio zwischen Nirvana und Faith No More, habe sie beim Autofahren anhalten müssen und angefangen zu heulen. "Ich habe damals festgestellt: Ich höre mich an wie Kermit der Frosch. Das war echt peinlich. Aber die Peinlichkeit wirkte sich positiv auf mein Konto aus, also hat es doch ganz gut funktioniert", erzählt sie, begleitet von allgemeinem Gelächter.
Zu "Goodbye Alice in Wonderland" kommt schließlich ein nicht näher bezeichnetes Kammerorchester auf die Bühne. Für "I'm Sensitive" bemühen die Beteiligten Pachelbels "Kanon", das Ergebnis ist aber weniger schnulzig, als zu befürchten wäre, zumal "Anything Goes" wenig später von Jewels großem Vorbild Cole Porter stammt. Die Arie "Per La Gloria D'Adorarvi" aus Giovanni Bononcinis Oper "Griselda" ist ein mutiger Schritt, zeigt sie doch die Grenzen der dennoch beeindruckenden Stimme der Sängerin auf. Wie auch das abschließende "Yodel", mit dem Jewel einem Österreicher oder Schweizer höchstens ein müdes Lächeln hervorlocken könnte. Doch das Publikum johlt, und darauf kommt es schließlich an.
Jewel klingt am besten, wenn sie alleine mit ihrer Gitarre spielt. Da sie für 2009 eine ebensolche Tour plant und auch neue Lieder schreiben will, besteht die Hoffnung, dass ihr "Liederbuch" in den nächsten Jahren noch die eine oder andere Erweiterung erfährt.
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