laut.de-Kritik

Wie kann derlei Stumpfes nur so schön sein?

Review von

Kaum eine Band geht mir so sehr auf den Geist wie Greta Van Fleet. Ja, klar, Led Zeppelin ist cool und alles. Aber wir leben im Streaming-Zeitalter, und ich könnte jederzeit zu den wirklichen Artists gehen, statt mir eine bestenfalls zweitklassige Coverband anzuhören, die dem Ganzen nichts hinzufügen hat.

Joey Valence und Brae bilden die vermutlich coolste Band der Gegenwart. Wer würde nicht zustimmen, dass die Beastie Boys der Wahnsinn sind? Im Streaming-Zeitalter gehen Einflüsse so frei und uneingeschränkt vonstatten, dass es mich unglaublich freut, dass Musiker diese reichhaltige Legacy aufgreifen und modernisieren.

Was ich damit eigentlich sagen will: Ich fühle mich wie der größte Hypocrite 2024, weil ich gerade eben festgehalten habe, dass ich blinde Nostalgie zum Kotzen finde. Wir brauchen wirklich keine Heldenverehrungs-Coverbands. Und dann kommen diese beiden semilustigen Hanseln straight aus dem amerikanischen Niemandsland, die wirklich überhaupt nichts machen, außer die Beastie Boys abzurippen und dazu noch Musikvideos auf dem Nintendo DS zu drehen. Und ich hänge komplett drauf. Die Chancen stehen schlimm, dass "No Hands" von Joey Valence & Brae mein liebstes Rapalbum des Jahres wird.

Erste Verteidigungslinie: Würde irgendjemand sagen, dass wir zu viel Beastie Boys in unserem Leben haben? Das Ding ist, dass wir es eben nicht mit den zweiten Greta Van Fleet zu tun haben, die nur da sind, damit Opa die Jugend nicht ganz verloren gibt. Joey und Brae huldigen dem bislang besten Schnittpunkt von Rap und Rock. Und die Rapkultur hat dieses seltsame Verhältnis zu den Beasties: Sie werden durchaus liebgehabt – aber der einzige, der bis auf Weiteres ihren Einfluss in Ehren gehalten hat, war der moderne Eminem. Es macht durchaus Sinn, den modernen Eminem mal in Quarantäne zu stecken. Umso besser, dass nun jemand mit ein bisschen jugendlicher Energie an diese reichhaltige musikalische Quelle andockt.

Zweite Verteidigungslinie: Die machen das extrem, extrem gut. "No Hands" ist das zweite Tape von Joey Valence und Brae und fährt richtig auf. Eine halbe Stunde Spielzeit, aber jeder Track fährt dicke Geschütze auf. Vor "The Baddest" stellt das Duo eine entscheidende Frage: "Do you think anybody will actually dance to this?". und geben als Antwort ein ironisches "no". Danach droppt eine Abrissbirne von einem Bass, bevor der Track mit "I wanna rock right now" anmoderiert wird. Der Geist von Rob Base lebt. Nein: Der Geist von Rob Base bebt.

Dieses Album wurde produziert, um dich im Moshpit deines lokalen Jugendhauses umzubringen. Nichts weniger. "Packapunch" wird seinem Namen mit brachialem Drumloop gegen das diabolische Eastcoast-Klavier gerecht, bevor Danny Brown auftritt, als beträte er den WWE-Ring mit einem Klappstuhl. Ich könnte quasi jeden Track zitieren: "Ok", "Bussit", "John Cena", "Like A Punk". Ich habe das Album das erste Mal im Fernbus gehört und einen anstrengenden Bewegungsdrang entwickelt. Sorry an meine Nebensitzerin.

Dritte Verteidigungslinie: Da ist durchaus etwas Neues dran. In meinem Kopf passen Joey Valance & Brae besser in ein Line-Up mit Artists wie 100 Gecs oder Kero Kero Bonito passen als mit Eminem oder auch irgendwelchen Nostalgie-Acts. Erst dachte ich, das läge an der stupiden Gen Z-Energie. Aber "No Hands" hat Momente, die einen sehr klaren Gegenwartsbezug ausstrahlen.

Wenn beim Intro "Bussit" der Beat für einen Moment gegen den futuristischen Breakbeat getauscht wird, dann atmet das den Geist kontemporärer Internetmusik. "What U Need" trifft genau den Nerv an House, mit dem man jede Berliner Hausparty der Stunde verköstigen könnte. "Where U From" klingt, als hätte man einen Punk-Track von PinkPantheress produzieren lassen.

Interessanterweise kommt die größte Modernisierung in Form des Titeltracks, der sich ebenfalls an der Vergangenheit bedient. Der Jazzloop hier klingt wie etwas, das Q-Tip für einen A Tribe Called Quest-Track geflippt hätte. Wenn dann über schwierige Lebensabschnitte und das planlose Leben gerappt wird, lassen sie es so lebensbejahend und euphorisch wie "Can I Kick It" klingen.

Ganz ehrlich? Dieses Album ist der Shit. "No Hands" von Joey Valence & Brae wirkt im ersten Moment wie etwas, das richtig lahm sein könnte. Aber Gott im Himmel, es stampft so frontal in die Birne, wie mir lange nichts mehr vor die Birne getreten hat. Klar, die Frage bleibt: Wie kann etwas so Stumpfes so schön sein? Schwer zu sagen. Ich habe mich aber gerne eines Besseren belehren lassen.

Trackliste

  1. 1. Bussit
  2. 2. Packapunch (feat. Danny Brown)
  3. 3. No Hands (feat. Z-Trip)
  4. 4. Like A Punk
  5. 5. Where U From
  6. 6. Intermission 2
  7. 7. The Baddest
  8. 8. OK
  9. 9. Doughboy (feat. Terror Reid)
  10. 10. What U Need
  11. 11. John Cena
  12. 12. Omnitrix

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