laut.de-Kritik

Ein Soloalbum wörtlich genommen.

Review von

"Ich muss immer wieder darauf hinweisen, dass ich ein klassischer Komponist bin, der seine musikalische Persönlichkeit damit verludert, im Rock'n' Roll zu dilettieren."

Charmant britisches Understatement des mittlerweile 70-jährigen Pioniers und Velvet Underground Mitgründers. Mit "Nookie Wood" erscheint das erst 15. Soloalbum in der mittlerweile 50 Jahre währenden Schaffensphase. Der Waliser kommt erfreulicherweise nur vorbei, sofern er auch etwas zu sagen hat. So ist es auch diesmal. Es sprudelt nur so aus dem Miterfinder des popkontextuellen Drones heraus. Manchmal etwas zu viel auf einmal. Cale hat schicke Tracks im Köcher. Allesamt von ihm im eigenen Studio in L.A. produziert und arrangiert. Special Guest: Danger Mouse.

Pro Tools garantieren John Cale endlich die maximale Effektivität in der Umsetzung seiner künstlerischen Freiheit. Es hat lange gedauert für eine Mann, der bereits Fluxus Konzerte organisierte und die britische Premiere von "John Cage's Concert For Piano And Orchestra" dirigierte, als die Beatles noch in der "All My Loving"-Phase herumstocherten. Cale weist sich entsprechend enthusiastisch ebenso die Hauptrolle vor dem Mikro zu: Vocals, Keyboards, Synthesizers, Gitarren, Viola und Bass. Ein Soloalbum wörtlich genommen.

Trotz aller (De)Konstruktionswut: Als Teamplayer war er stets ungeschlagen. Entsprechend lebendig gelingt der Einstieg mit "I Wanna Talk 2 U" an der Seite von Brian 'Danger Mouse' Burton. Entstanden als spontane Improvisation beider während eines gemeinsamen Jams. Cales Lead-Melodie fließt ungewöhnlich entspannt zwischen Erweckung und Sarkasmus. Burton erweist sich mit seinerSparklehorse-Erfahrung als idealer Partner. Danger Mouse mutiert songdienlich zum fluffy & funky Nagetier. Perfekt rockender Kontrast zu schroffen Zeilen wie I felt that somethings wrong. Buildings were empty. Lights were on. And we were running lost.

Der Rest der Platte ist für sich genommen eine Sammlung feiner Songperlen, die, auch einzeln minimal zu Stimme und Piano arrangiert, hervorragend funktionieren würden. Produktionsästhetisch betrachtet kommen alle elf Schönheiten in stilistisch vollkommen unterschiedlichen Kleidern daher, ein paar gar mit einem Hauch Sound-Make Up zu viel.

Sein Hang zum melancholischen Gassenhauer hilft jedem Song über die nicht immer ganz einfache Hürde. "December Rain" macht sich hervorragend im Zimmer gegenüber von Bowies "I'm Deranged" und "Hallo Spaceboy". Cale zieht Owl City in die verdiente Darkfloorhölle und bettet alles in ein Morricone-Gitarrenfeuer. Sein "Vampire Cafe" klingt wie das spannendere Untergeschoss von Kraftwerks "Electric Cafe". Verrucht, trippig und trostlos. Dabei für Cale Verhältniss in einer ungewöhnlich warm kontrastierenden Tonfarbe gehalten.

Bei "Mothra" dann die kurze Krise. Ansprechendes Motorik Getucker zu schöner Popmelodie. Der Einsatz von Autotune ist für Cale als Urvater aller Elektronika sicherlich künstlerisch konsequent. Ach, was sind schon moderne Sounds? Doch auch nur die üblichen, die man verzerrt und manipuliert und mit denen man allerlei Unfug anstellt. Für mich indes nahezu unhörbar.

Dizzy as a tower on a chess board. ruft er durch die Wall of Sound. Der spielerische Clou: Genauso klingt das Lied in seiner schwebenden Behäbigkeit zunächst auch. Bis sich "Face To The Sky" im letzten Viertel öffnet wie eine Blume. Lifting her face. Besonders ergreifend sind jedoch die Momente, in denen der Brite warmer Psychedelia wie "Midnight Feast" einen wavig melancholischen Mantel umhängt. Hier klingt dann alles endlich auch so angemessen sinister, wie es das Cover verspricht.

Mit typisch "Barracuda"-artig angerumpelten Rockern wie"Scotland Yard" macht er alle Freunde der 70er-Phase glücklich. Mein persönlicher Favorit indes ist "Hemingway". Das textlich ebenso meisterhafte wie dramatische Element kocht zur totalen Eruption samt finalem Ausraster der Sorte "Fear Is A Man's Best Friend" hoch. Gut gebrüllt.

Mit den Songs verhält es sich in der B-Note wie mit einem getarnten Rosenstrauß, um den man ein wenig zu viel Grünzeug wickelt. Gleichwohl: Rosen bleiben Rosen. Und diese brauchen sich nicht hinter Platten wie "Music For A New Society" oder "Honi Soit" zu verstecken. "Eine Produktion ist erst komplett, wenn man sie auf Tour bringt und auf ein Publikum loslässt". Auf der Bühne werden die Lieder ähnlich intensiv erstrahlen wie sein brillantes "Dying On The Vine" als Cale es auf dem besten Unplugged-Konzert-Album aller Zeiten brachte; "Fragments Of A Rainy Season". Hätte der ausdrucksvolle Pianist die Songs derart pur serviert wie dort anno 1992, hätte ich gern die Höchstwertung vergeben.

Trackliste

  1. 1. I Wanna Talk 2 U
  2. 2. Scotland Yard
  3. 3. Hemmingway
  4. 4. Face To The Sky
  5. 5. Nookie Wood
  6. 6. December Rains
  7. 7. Mary
  8. 8. Vampire Cafe
  9. 9. Mothra
  10. 10. Living With You
  11. 11. Midnight Feast
  12. 12. Sandman (Flying Dutchman)

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