laut.de-Kritik

So schwarz wie die Seele von Michael Myers.

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John Carpenters "Lost Themes" preist man dieser Tage gern als Debüt. In Wahrheit kann Mr. "Halloween" auf knapp 20 komponierte Alben – die gesamte Musik zu seinen Filmen - zurückblicken. Seit den 70ern agiert er auf Augenhöhe mit verwandten Kreaturen wie Tangerine Dream oder Jean Michel Jarre. Dennoch ist vieles neu auf dieser Platte.

Erstmals nämlich gibt es für den Schöpfer von Snake Plissken kein Korsett einer durch Bilder vorgegebenen Dramaturgie. Nichts könnte günstiger sein als Ausgangsposition. Carpenter verachtet Noten etc seit frühester Jugend. Vollkommen ungebunden öffnet er alle Schleusen und lässt der Emotion freien Lauf. "Keine Schauspieler, keine Crew, kein Schneideraum, nur Spaß!" Heraus kommen neun elegante Songperlen, deren Kern ebenso schwarz ist wie die Seele von Michael Myers.

Carpenter unterstreicht den Bandcharakter des Projekts recht deutlich. Sohn Cody war schon auf dem "Vampires"-Album (1998) ein Gewinn. Als Dritter im Bunde stößt Kumpel Daniel Davies hinzu. Alle Lieder entstanden als Improvisationen gemeinsamer Jam-Sessions. Mixing und Produktion übernimmt das Trio ebenfalls.

Sein Talent für Timing, Spannungserzeugung oder Visualisierung nimmt der Filmemacher mit. Den Reiz der Scheibe macht vor allem die konstante Mischung recht eingängiger Momente mit einer Fülle begleitender Details aus.

"Wraith" etwa enthält einen intensiven Pluckerbeat, der sich unaufhaltsam ins Hirn pickt. Ähnlich gut auch das charismatische Synthiepiano in "Abyss", das die gesamte Ausgelassenheit des Grundthemas gewohnt gruselig in die Finsternis führt.

Schon der Opener "Vortex" kontert die treibende Melodie mit einzelnen, kurzen Piano-Schüben, die das Stück erst spannend machen. Da verzeiht man gern einen Beinahe-Ausrutscher wie "Obsidian", der arg unentschlossen in schwülstigem Gegniedel zwischen AOR und Progrock versackt.

Die kleine Schwäche ist schnell vergessen, sobald "Fallen" beginnt. So pointiert und intensiv wie bei Morricone anno "Le Professionel" (1983) oder "La Piovra" (1984) führt ein roter Faden durch das Lied. Obwohl Carpenters Stil stets präsent bleibt, spricht er eine recht breite Schicht an. Freunde von Doldingers "Das Boot" werden hier ebenso fündig wie Mike Oldfield-, Steven Wilson- oder Pink Floyd-Fans.

Besonderer Clou: Jeder Titel besteht nur aus einem Wort und gibt die Stimmung des jeweiligen Entstehungsmoments wieder. Meine persönlichen Höhepunkte sind die letzten Nummern "Purgatory" und "Night". Bei ersterem lohnt sich die Entdeckung des Abschnitts, in dem eine sperrige Jazz-Hook die Melancholie zerfetzt. Das Schlusslicht versenkt danach alle Lebendigkeit in jenen Carpenter-Sümpfen, die bereits legendäre Moorleichen wie die Main Titles aus "Assault" (1976) oder The Fog (1980) beherbergen. Weiterhören mit dem nicht minder creepy Mumien-Trip Hop "The Big Dream" von Filmbruder David Lynch.

Trackliste

  1. 1. Vortex
  2. 2. Obsidian
  3. 3. Fallen
  4. 4. Domain
  5. 5. Mystery
  6. 6. Abyss
  7. 7. Wraith
  8. 8. Purgatory
  9. 9. Night

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