laut.de-Kritik
Zu Gast im TV-Wohnzimmer des Nashville-Outlaws.
Review von Mathias MöllerJohnny Cash ist jetzt über vier Jahre unter der Erde und noch immer reißen die Veröffentlichungen rund um den Man in Black nicht ab. Und jedesmal rollt die Hälfte der hiesigen Redaktion mit den Augen und irgendjemand flüstert was von "Leichenfledderei". Doch findet sich unter all dem Output immer mal wieder etwas Hörens- und Sehenswertes.
Unter unglaublichen acht Cash-Items in diesem Herbst sticht die Doppel-DVD "The Best Of The Johnny Cash TV Show 1969-1971" heraus.
Sicher nicht jeder wusste, dass die posthum zu Everbody's Darling gewandelte Countrylegende fast zwei Jahre lang beim amerikanischen Fernsehsender ABC eine eigene Sendung hatte.
In der er zudem machen konnte, worauf er Lust hatte. Und so lud Cash auch ausschließlich Gäste ein, die er selbst wollte. Wer jetzt eine dröge Countryshow mit ollen Kamellen hüben und drüben erwartet, weiß vom Nashville-Outlaw nur wenig.
Nein, Johnny Cash war sehr open minded, was seinen musikalischen Horizont angeht, und so fanden alte Rock'n'Roller wie Roy Orbison oder Carl Perkins genauso den Weg in das legendäre Ryman Auditorium in der Country'n'Western-Hauptstadt Nashville, Tennessee, wie Bob Dylan oder Eric Clapton.
Aber auch Blues-, Soul- und Jazzgrößen wie Ray Charles, Stevie Wonder oder Louis Armstrong geben Kostproben ihrer Kunst.
Natürlich kommt auch die Countrymusik und der Bluegrass nicht zu kurz. Hank Williams Jr. ist mit von der Partie, Pete Seeger und Waylon Jennings. Musikalisch ist also für Abwechslung gesorgt, unter den etwas über sechzig Perfomances befindet sich sogar das ein oder andere Highlight.
Neil Youngs "The Needle And The Damage Done" gewinnt vor allem vor dem Hintergrund von Johnny Cashs Problemen mit diversen Substanzen an Gänsehautfaktor. Stevie Wonders Gospel-Darbietung von "Heaven Help Us All" begeistert ebenso wie Ray Charles' Interpretation von "Ring Of Fire".
Zwischendurch tritt der Meister natürlich selbst ans Mikro. Ob das nachdenklich-zornige "Man In Black", das irrwitzige "A Boy Named Sue" oder der Klassiker "Folsom Prison Blues": Man merkt Cash an, dass er zu dieser Zeit auf einem Höhepunkt seiner Karriere stand.
Interessant an der "Johnny Cash TV Show" ist bis heute, dass der Zuschauer sich der Begeisterung des Mannes mit der Gitarre auf dem Rücken für die Musik anderer nicht entziehen kann.
Man wird mitgerissen, gerade von der Intimität dieser Show. Wenn Cash mit seinen Gästen in einem Studiowohnzimmer sitzt und er mit Waylon Jennings in alten WG-Zeiten schwelgt und scherzt, dabei aber stets den nötigen Respekt wahrt, hat man das Gefühl, etwas von der warmen, herzlichen Athmosphäre abzubekommen.
Die einzelnen Ausschnitte, die in Bild- und Tonqualität dem Stand der damaligen Zeit entsprechen, werden zusammengehalten durch Countrystar Kris Kristofferson, den Sohn John Carter Cash und ehemalige Mitarbeiter, die Wissenswertes über die Show erzählen, Liebenswertes über Cash berichten und die ein oder andere Anekdote zum Besten geben.
Wie zum Beispiel die, dass Ehefrau June Carter Cash für Showgast Linda Ronstadt extra Höschen kaufen ließ, weil sie unter ihrem kurzen Kleid nichts trug.
Extras enthält die Doppel-DVD nicht, aber wer braucht die schon bei fast vier Stunden bunter Fernsehunterhaltung?
Das einzige, was etwas stört, sind die Einleitung und der Abschluss, als ein Sprecher aus dem Off Johnny Cash in übertriebener Weise als großen Vereiniger der verschiedenen Gesellschaftsschichten, politischen Lager, Altersklassen und Geschlechter darstellt.
Die "Johnny Cash TV Show" mag diesen Effekt gehabt haben, allerdings sollte die Welt mittlerweile um die Verdienste des rauhbeinigen Barden wissen, als dass es noch einmal so breitgetreten werden muss.
Ansonsten ist "The Best Of The Johnny Cash TV Show" eine runde Sache mit vielen Schmankerln aus vergangenen Tagen.
1 Kommentar
... Der Mann hat angeblich um die 1500 Songs gemacht. Da wird zwar naturgemäß nicht alles herausragend sein, aber sich dieses Material durch aufmerksames Hören zu erschließen, wäre sicher angebrachter, als diese völlig ausufernde mediale CashMania um die Person weiter anzuheizen. Es handelt sich schließlich um einen Musiker und Songschreiber. Nicht um den Apostel Paulus (als der er sich selbst gern gesehen hat - siehe "The Man In White").
Diese TV-Auswahl - mag sie für sich genommen auch o.k. sein - trägt wahrscheinlich auch noch mal ihr Quentchen zur Fiktionalisierung dieser Ikone bei. Glaubt man der Turner-Biographie, so war die Johnny Cash Show über weite Strecken eher der Glorifizierung der amerikanischen Geschichte und der Verbreitung des rechten Glaubens gewidmet.
Was mal ganz schön wäre: Eine unabhängige, kritische Biographie dieser äußerst widersrpüchlichen Persönlichkeit und eine nüchterne Darlegung ihrer kulturellen Wirkung.
Das neue Hörbuch von Bettina Greve "Auf Kurs" wird das wohl kaum leisten. Es wurde im aktuellen Rolling Stone mit einer Widmung des langjährigen Cash-Freunds Gunther Gabriel (sic) angekündigt.
Kleine Kostprobe?
[i:53cfe36c36]Und nun saß ich also an diesem Tisch [in der Cash-Villa in Hendersonville], dem Mann gegenüber, den ich von seinen Platten und von Artikeln über ihn in- und auswendig kannte. Die Southern Chicken wurden von schwarzen Bediensteten mit weißen Handschuhen serviert. Olala, dachte ich. Verdammter Stil. Hätte ich nicht gedacht.... Wann immer Johnny in Deutschland tourte - June rief mich an: Komm zu uns ins Hotel. Komm auf die Bühne! Komm, bete mit uns! Es waren große bewegende Momente, wenn ich mit Johnny auf der Bühne durch ein Mikrofon sang. Es war einfach der Hammer!"[/i:53cfe36c36]
Naja. Das ist schon ziemlich grenzwertig, finde ich. Ich musste den ganzen Text zweimal lesen, weil ich nicht glauben konnte, dass die sowas ausgerechnet in dieser Zeitschrift abdrucken.