laut.de-Kritik
Angestrengtes Stop and Go mit Lana Del Rey und anderen.
Review von Philipp KauseDer Jazzer Jon Batiste hat den Rücken frei, nachdem er fünf Grammy Awards auf einen Schlag kassiert hat. Er muss nichts mehr beweisen. Ob formal nun ein unkonventionell strukturiertes Album zu machen, inhaltlich Kraut und Rüben in einen Topf zu werfen oder Milieu-mäßig in den Mainstream-Pop zu rutschen - der Sänger, Komponist, Keyboarder und Klavierspieler zeigt sich für alles offen. "World Music Radio" klingt nach einem großen Konzept, ähnlich Robert Glaspers "Black Radio": Die Welt nach gemeinsamen Trends abzutasten, oder nach Kontrasten.
Dass jetzt selbst ein Jazz-Akademiker vor Autotune und Clap-Beats nicht zurück schreckt - zwar schmaldosiert, aber doch: er wagt es -, das muss man erst mal verdauen. Davon hat der Markt ja eh schon mehr als reichlich. Und insbesondere macht Jon diesen Move in einem Track, in dem kein Feature-Gast 'Schuld' sein kann: "Worship" ist sein alleiniger Tune. Batiste könnte nun problemlos im Fast Food-Restaurant eures Vertrauens in der Playlist dudeln, stellenweise entspricht sein Output jetzt genau den Hyperpop-Dramatiken, die dort Beiläufiges hip machen sollen, und Batiste geht sogar recht kreativ vor. Er pumpt eine wachsende wall of sound hoch, fügt Galopp-Hoppel-Beats in sphärische Sakral-Töne ein, kombiniert den Ritt mit einer plakativen Klangfülle. Aber braucht es wirklich überall diese überfetten Choräle, die nach Mädchen-Schulauftritt klingen und bei John Legend schon tot wiederholt wurden? - Ich brauche sie nicht und verliere beim Hören immer wieder das Interesse an Batistes Anbiederei.
Für ihn mag dieses Album eine Befreiung darstellen. Für Hörer*innen, die gezielt Pop im engeren Sinne hören wollen, wirkt das, was er draus macht, eventuell sogar frisch. Wer vom Soul, Funk oder Jazz her kommt und ihn aus solchen Kontexten kennt, wird sich, aufs "World Music Radio" getuned, immer wieder mal zwicken: 'Wo bin ich eigentlich gerade?' - Was sich für den Künstler befreiend anfühlt, klingt beim Durchhören zerklüftet und willkürlich springend. Und vor allem: Es zieht sich.
Das Album ist zäh, tritt in etlichen Tracks auf der Stelle, zum Beispiel in der Soft-Ballade "Butterfly", manchem Geklimper mit Vokal-Fetzen und Wayne Shorter-Zitaten ("Movement 18' (Heroes)", "White Space") oder dem Glamour-R'n'B "Uneasy ft. Lil Wayne". Noch dazu gehört zum 'Konzept', dass ein fiktiver Ansager namens Billy Bob Bo Bob die losen Einzelteile durch relativ fantasielose 08/15-Ansagen in dieser typisch pseudo-aufgebrezelten Morning-Show-Intonation miteinander verbindet. Wobei das ziemliche Ohrenwischerei ist, Batiste begründet sie so: "Der Hörer wird von einem interstellaren, reisenden Griot (...) durchs Album geführt, der einen klanglich in Lichtgeschwindigkeit um die ganze Welt herum mit nimmt." - Abgesehen von den Liner Notes, wird die Sache mit dieser Figur erst gegen Ende wirklich klar, als sie tschüs sagt, in "Goodbye, Billy Bob".
Viel gravierender: Das Ganze hat relativ wenig Reiz, wenn die Songs, die auf die großspurigen Ansagen folgen, einen Tiefpunkt nach dem anderen markieren. Gelegentlich platzen unverbundene Skits dazwischen ("17th Ward Prelude", "Call Now (504-305-8269) ft. Michael Batiste"). Nervig daran: Man kann einfach nicht in Ruhe zuhören – wohl nicht mal dann, wenn's einem gefällt. Beide Kritikpunkte nenne ich als ausgeprägter Jon Batiste-Fan.
Andererseits bringt Batiste Afrobeats mit ein, zum Beispiel in "Drink Water ft. Jon Bellion, Fireboy DML", könnte dem Genre damit einen Schub geben, und er konnte Lana Del Rey gewinnen. Warum der Track als Bonus-Zugabe firmiert, bleibt einigermaßen wirr, jedenfalls ist "Life Lesson ft. Lana Del Rey" eine zarte ätherische Ballade in Duett-Form, die einigermaßen dick in seinem Gesangsanteil aufträgt und einigermaßen unschuldig und folky bis filmmusikalisch in ihren Parts. Bei allem Respekt, mein Gedanke war: 'Emmylou Harris lässt grüßen'. Und wer mit Pathos Probleme hat, wird so ratlos wie ich drein gucken.
Es verbleiben drei Anspieltipps: "Raindance ft. Native Soul", "Master Power", "Wherever You Are", und ein halber, "Who You Are ft. JID, NewJeans, Camilo". "Raindance ft. Native Soul" nimmt mit krasser Eingängigkeit sofort gefangen. Aber das Stück siegt auch durch Frechheit. Zum einen interpoliert es Justin Biebers "As Long As You Love Me". Zum anderen mag Batiste es so hin biegen, wie er auch will, und bestreitet es, aber: Die exotische Rhythmik wirkt im Sinne des Titels "World Music Radio" wie die ganz alte Art von Ethnopop-'Weltmusik' der 80er und wie das Puzzle "Graceland", das Paul Simon aus der politischen Not heraus in der amerikanischen Ferne fertig stellen musste, als Südafrika-Album ausgab und dann eben doch "Graceland" überschrieb. Allerdings mit etlichen gravierenden Unterschieden: Simon hatte sehr gehaltvolle Texte, fusionierte Disco mit Rock, dachte die Sache also noch offener und größer als Batiste, und sein Kontakt ins Land der Apartheid verlangte damals richtig Mut. In jüngerer Zeit borgten sich Vampire Weekend Jive-Elemente schon um Klassen organischer und weniger plump aus, als Jon Batiste hier klingt.
Wenn er "speak to me nicely" ansetzt, verirrt er sich kurz ins Feeling solcher Reggae-Riddims, die Leute selbst dann kennen, wenn sie sonst keinen Reggae hören, heraus kommt ein Hybrid aus Chronixx' und Bost & Bims "Skankin' Sweet" und Protojes "No Lipstick". "Raindance ft. Native Soul" ist in seiner Dreistigkeit sogar ein attraktives Lied, aber mit der Sorte Attraktivität, die aufgespritzte Lippen und angeklebte Wimpern haben. Hauptsache, der Künstler selbst hat dabei offensichtlich Spaß wie ein kleines Kind auf dem Spielplatz.
"Master Power" ist ein Gitarrenstück mit Surf Rock-Flair, mit den beiden Allah-Las Matthew Correia und Pedrum Siadatian an Percussion und Lead Guitar, und mit Vintage-Fachmann Nick Waterhouse als Texter, Produzent und Rhythmusgitarrist. Knackig, stimmungsvoll, stringent, macht der Track echt was her, mit einer klar heraus hörbaren Spur Waterhouse.
"Wherever You Are" führt die Kernkompetenzen des Künstlers Batiste vor. Die kernig gespielte Klavierballade reduziert sich auf ein paar Schlagzeug-Passagen, Effekte und Streicher, die auf dem Höhepunkt schrill kakophonisch explodieren, während Batiste sein Klavierspiel immer lauter pumpt, bis es sich in den Sound einer Kirchenorgel metamorphisiert. Die Vocals ertönen mit Distanz, scheinbar aus dem Hinterzimmer, wirken dezent Talkbox-verfremdet, und im Timbre von Bill Withers. Es gibt relativ wenig Text, der grob eine Kulisse malt: "In a wilderness you're my star/ Wherever you are / hold on to the light, and it will be alright. / You will be my sun, wherever you are. / It's never enough - you can't give up / hold on, hold on, hold on, ho-o-o-old!", und das Ganze atmet einen ziemlich heftigen Stevie Wonder-Spirit.
"Who You Are ft. JID, NewJeans, Camilo" schließlich pirscht sich wieder an die Fast Food-Playlists ran. Zwischen Jason Mraz und Ellie Goulding wird sich das Stück gut machen, denn es hört sich in erster Linie nett und belanglos an. Die hymnischen Bubble-Bounzes reiten wieder den Hyperpop-Pfad, ohne zu weit zu gehen und ohne wirklich was zu wagen.
"Ich wollte, dass sich Pforten öffnen und Welten zusammen kommen", resümiert Jon bei der BBC. Da stellte ihm sein Sinn für Filmmusiken wohl ein Bein. Der ganze Ablauf hat keinen guten Plot, alles random hier, und es gibt keine Story, für den die Songs unterstützend als Soundtrack antreten würden. Sie müssten selbst Stories erzählen, aber wirken wie Ideen auf bunten Papp-Tafeln, die man in Meetings und Workshops weltweit an Flipcharts heftet. Wie die meisten dieser Workshops, bleibt auch dieses Album an der glatten Oberfläche, dient dem Workshop-Leiter zur Selbstverwirklichung, und es bleibt viel an den Flipcharts und nur sehr wenig im Gedächtnis haften.
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