laut.de-Kritik

Musik für eine Welt, in der all deine Ex-Freundinnen tot sind.

Review von

Julia Michaels gehört zur Berufsgruppe der fleißigen Texterinnen im Hintergrund, den 'Toplinern'. So nennt sich der Beruf des Auftrags-Songwriting für große Labels. Hinter den Kulissen schrieb sie Welthits im Pop-, Latin- und Urban-Segment, aber zum Beispiel auch Linkin Parks "Heavy". Ihr Charakter als Interpretin wirkt ein bisschen introvertiert, geheimnisvoll. Eine Singer-Songwriterin mit psychologischem Interesse ist sie (und ein stiller Mensch, nicht direkt wie für den Pop-Zirkus gemacht). Doch so sehr persönlich und privat die Lyrics auf ihrem Longplay-Debüt "Not In Chronological Order" sein mögen, ihnen geht eine lange professionelle Entwicklung voraus.

So gibt es eben keine chronologische Ordnung. 200 Songs zahlen bereits aufs Konto von Michaels ein, eine veritable Newcomerin ist sie damit nicht. Mit ihrer bahnbrechenden Stimme nimmt sie uns, nach den EPs "Nervous System", "Inner Monologue Part 1" und "Part 2", wieder mit in ihre Welt. Nervensystem und Selbstgespräche - das klingt schon mal nachdenklich, und auch die aktuelle Platte hat jetzt wieder Tagebuchqualität.

Auf ihr finden sich Pop, Klavierballaden, Retro-Synthie-Electro, akustischer Storyteller-Folkpop, gut bis sehr gut gemacht. Verzichtbar ist allenfalls das nette, bounzende Arrangement von "Lie Like This", im Stile von Purple Disco Machine, Dua Lipa, Clean Bandit. Viel mehr Sympathie sammeln die Highlight-Klavierballade "Little Did I Know", der straight nach vorne pitchende Synth-Bass-Stomper "Wrapped Around" und dann ein paar Eighties-inspirierte Tracks.

"Orange Magic" und "Undertone" nähern sich authentisch-nostalgisch dem Sound von Talk Talk, A-ha und Cyndi Lauper. Diese warmen 4-to-the-floor-Tracks peitschen stark perkussiv (leider mit programmierten Drums), klingen sofort vertraut und würden manchen Soundtracks von US-College-Liebesfilmen zur Ehre gereichen.

Dann hätten wir den warmen Electropop-Rock von "All Your Exes" und die Fraktion der akustischen, leisen Tracks. "History", "That's The Kind Of Woman" und "Love Is Weird" bringen Julias leidgetränkte, ernste und erwachsene Stimme perfekt zur Geltung. Die angenehme intime Vortragsweise mit makabren Zeilen wie "Ich möchte in einer Welt leben, in der all deine Ex-Freundinnen tot sind (...) als einziges Mädchen, das je in deinem Bett war" bezieht den Hörer als Komplizen ein.

Die Sängerin aus Iowa zeigt sich in den behutsam instrumentierten wie in den Dance-Tracks hellwach. Das Lebensbejahende, Selbstsichere und Hymnische steht bei ihr im Vordergrund. Julia lässt Slo-Mo-Nebliges beiseite, setzt alles auf Uptempo. Die eingängigen Melodien sind dabei nie so ganz simpel: Catchy ja, cheesy nein.

Was sie mitteilt, ruft schnell Bilder vors innere Auge. Mit schnellem Zungenschlag und differenziert (geknickt, schluchzend, erstickt, ausbrechend, stürmisch, ätherisch) füllt sie ihre Nebenjob-Rolle am Mikrofon voller Bravour aus. Sie intoniert klar, expressionistisch, spielt Jojo mit Vokal-Timbres. Das ist angenehm und abwechslungsreich anzuhören.

Doch der ganz große Funke fehlt. Zwar sind die Harmonien unwiderstehlich und die Stories ein leidenschaftliches Konzeptalbum für Menschen, die zwischen Tinder und LoveScout desillusioniert durch ein Zeitalter der Beziehungsunstetigkeit taumeln. Ob das reicht?

On-Off-Ein- bis Zweisamkeiten sind die DNA fast aller Michaels-Songs. Über diesen Punkt hinaus bringt die Künstlerin noch keine eigene unverwechselbare 'Marke' ein, denn brillante Vocals, ironische Metaphern und sehr direkte Zeilen - all das überwältigt nicht restlos. Man kann 'Toplinerin' Julia und ihre Handschrift nicht so recht greifen, außer, dass sie Anhängerin der Talking Heads ist und sich das unterschwellig und zum Glück oft beim Hören ihrer Platte nachempfinden lässt. Für die alternative Songwriter-Szene zu gefällig, fehlt andererseits ein großer Burner (wie ihr Song "Ah Uh" einer war), um eine Charts-Rakete zu zünden.

All diese Kritikpunkte sind absolut nicht schlimm und trüben den Glanz dieser echt guten Scheibe kaum. Beim Charisma von Julias faseriger, schillernder und schauspieltalentierter Stimme könnte sie auch den Fahrplan der Bahn inklusive Verspätungsansagen mitreißend singen. Das wäre wahrscheinlich sogar auffälliger als lauter Liebesrückblicke und Trennungs-Selbstfindungssongs.

Trackliste

  1. 1. All Your Exes
  2. 2. Love Is Weird
  3. 3. Pessimist
  4. 4. Little Did I Know
  5. 5. Orange Magic
  6. 6. Lie Like This
  7. 7. Wrapped Around
  8. 8. History
  9. 9. Undertone
  10. 10. That's The Kind Of Woman

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