laut.de-Kritik
Solide Songs, wenig Persönlichkeit.
Review von Yannik GölzWeil der anstehende Militärdienst Aktivitäten als Gruppe quasi unmöglich gemacht hat, nutzten BTS die zwei Jahre strategisch, um jedes Mitglied dabei einmal auf Solopfaden wandern zu lassen. Jin arbeitete mit Coldplay, Suga machte aggressiven Rap auf Clams Casino-Beats, Jimin machte schlüpfrige Disco-Banger, et cetera. Die Ergebnisse reichten von okay bis ziemlich cool, aber wenn diese Ära irgendwas auch vor dem letzten Rübenbauer bewiesen hat, dann, dass diese Gruppe aus individuellen Teilen mit sehr eigenen musikalischen und künstlerischen Beiträgen besteht. Die ganze Gruppe? Nein! Ein unbeugsamer Jungkook steht auf seinem Soloalbum "Golden" für Popmusik in seiner beiläufigsten Form ein. "Golden" ist bei Weitem kein schlechtes Projekt, aber es ist mit Abstand kantenloseste der Ära.
Aber fangen wir erst einmal mit den Dingen an, die gut hinhauen. "3D" ist nämlich die Single, die offensichtlich am besten funktioniert. Bloodpop wurde gebeten, uns seine beste Pharrell-Imitation zu geben – und Jungkook spricht dann aus, was man auf dem Rest des Tapes immer wieder denken soll: Hier herrscht eine ganze Menge Justin Timberlake-Worship. Aber es ergibt Sinn: Auch seine Stimme ist hauchig und schlüpft gekonnt in ein sexy Falsetto. Wenn dann unter ihm der Groove stimmt, macht das eine Menge Spaß. Hier stimmt der Groove.
So richtig stimmt der Groove aber vor allem auf der B-Seite "Standing Next To You". Da wurde ihm regelrecht ein gigantomanisches, funky City Pop-Instrumental gebaut. Und plötzlich steht er da in den besten Traditionen des BTS-Katalogs: Der Song klingt groß, atmosphärisch und dicht. Auch seine Stimme nutzt die ganze Reichweite, schlittert von recht tief zu ganz hoch, zeigt klassische Showmanship und die klassischste Idee eines Popstars. Wie er am Ende des Refrains ins Crescendo geht – das ist wahrscheinlich der stimmungsvollste und stimmlich stärkste Moment des Albums.
Leider sind diese beiden Songs doch nicht die Stoßrichtug des Albums. Denn da ist eine andere Single, leider die große Single, die vieles in den Schatten stellt. "I'll be fuckin' you right", singt er auf "Seven". Woah! Hat er da gerade ficken gesagt? Nein, keine Ahnung, so schockierend war das nicht. Aber Achtung, Songwriting: "Monday, Tuesday, Wednesday, Thursday, Friday / Seven days a week" - für eine Gruppe, deren Fans immer wieder das fabulöse Songwriting ins Feld führen, sollte die Mega-Single vielleicht nicht auf das Rebecca Black-College der Scheißrefrains gegangen sein, hm?
Aber das Problem ist nicht, dass "Seven" irgendwie langweilig geschrieben wäre, dieser Song klingt einfach wie eingeschlafene Füße. Als "Shape Of You" vor sieben Jahren durch die Welt und auch über Südkorea gespült ist und zum größten Radio- und Streaming-Zombie aller Zeiten gewachsen ist, da muss irgendjemand bei HYBE gesagt haben: Wow, ja! Das ist der perfekte mittelmäßige Song! Wir müssen auch darauf hinarbeiten, den perfekten mittelmäßigen Song zu schreiben, so nondeskript und beige, dass Leute nie wieder aufhören werden, ihn zu streamen. "Seven" ist genau das: Für einen Track übers Ficken kommt er betörend leidenschaftslos daher. Jungkooks Ansage, mich jeden Tag, jede Stunde, jede Sekunde gut zu ficken, macht er mit der Energie eines Büroarbeiters, frisch aus der sechsten Zehnstundenschicht der Woche.
Wäre jetzt mehr von diesem Projekt "3D" oder gar "Standing Next To You" als "Seven", dann würde sich diese Review sehr anders lesen. Aber leider pult sich ein anderer Justin als dominanter Einfluss heraus. Die restlichen Songs klingen nämlich wie der Bieber, direkt aus 2016 auferstanden. Die auslaufenden Tracks gehen nirgendwohin. "Hate You" ist eine wenig überzeugende und schwache Ballade. Songs wie "Too Sad To Dance" oder "Shot Glass Of Tears" wollen Emo sein, gehen aber in klinisch sterilen und kompetenten Performances und Produktionen unter. Wenn Jungkook so allumspannend traurig beim Recorden war, wie die Lyrics es sagen, dann hat er ein verdammt gutes stimmliches Pokerface.
Wenn schon Bieber, dann doch eher die Kollabos mit Major Lazer und DJ Snake. "Closer To You" und "Please Don't Change" klingen zwar extrem nach seinen Kollaborateuren und wirken offensichtlich wie Songs, die eigentlich für den Kanadier geschrieben worden sind, aber immerhin tönen sie gut.
Das Problem mit "Golden" ist nicht, dass das Album Hit oder Miss ist. Das sind K-Pop-Tapes öfter. Mit einer Trefferquote von knapp der Hälfte steht das hier definitiv über der handelsüblichen Minis. Das Problem ist eher, dass HYBE beschlossen hat, dass Jungkook der Solo-Durchbruch der Gruppe sein wird. Aber der Mann besitzt einfach keine starke Persönlichkeit. Dieses Album hat weder einen Sound, noch vermittelt es eine kohärente Idee davon, was für ein Typ er eigentlich darstellt. Das einzige, was es vermittelt, ist Kompetenz im Streaming-Algorithmus-Anbiedern. Damit scheitert nun also ausgerechnet der Golden Boy darin, in dem eigentlich alle anderen BTS-Member auf ihren Solos Erfolg hatten: Zeigen, dass da nicht nur gute Pop-Schule, sondern eine wirkliche künstlerische Identität hinter dem Label Boygroup steckt.
2 Kommentare mit 4 Antworten
Solide Songs, wenig Persönlichkeit.
Womit das gesamte Genre treffend zusammengefasst wäre.
Nichts für ungut, bei den jungen Kerls von BTS mag das vielleicht stimmen. Die sind allesamt sehr sympathisch, aber musikalisch weitestgehend uninteressant – WOBEI Agust D's (aka Suga) Solosachen teils schon sehr geil sind. Nicht zu vergessen das aktuelle Comeback von Stray Kids, das wie dasjenige davor richtig derbe abgeht. Insofern kann ich bei dieser pauschalen Genrecancellation nicht mitgehen. [Disclaimer: keine Satire!]
K-Pop ist ein breites Feld, da kann man immer was finden.
Wenn keine versifften Junkies auf der Klampfe schrammeln ist Wingo nicht zufrieden.
Dieser Kommentar wurde vor einem Jahr durch den Autor entfernt.