laut.de-Kritik

Pardon, darf ich 2009 wieder verlassen?

Review von

Irgendwo muss da ein Missverständnis vorliegen: Laut Tracklist hat Juri für sein neues Album richtig dick aufgefahren. Wer Features von Bushido und Kollegah holt, der meint es in dieser Sparte ja zu einem gewissen Grad ernst. Bitterböse ernst meint Juri es ja sowieso, zähnefletschend ernster Gangster-Rap im Windschatten des Typen, der bekannt dafür wurde, im Spongebob-Schwammkopf-Kostüm zu rappen. Aber wo dieser Ernst bleibt, wenn man "Bratans Aus Favelas 2" hört, weiß der Teufel. Trotz Myriaden bescheuerter Luxus-Plattitüden rappen alle Beteiligten auf dieser Platte so motiviert, als würden sie Nachtschicht-Überstunden in der McDonalds-Küche schieben.

Geschmack und Urteilsvermögen kann man einem Kerl ja schon dafür absprechen, dass er ein Album nicht ein-, sondern zweimal "Bratans Aus Favelas" genannt hat. Man hätte diesen holprigen Latin-Anstrich als Relikt der Afrotrap-Ära vergeben und vergessen können, aber nein, Juri bleibt stur und rollt das Bild noch einmal auf. Fest davon überzeugt, dass Kassel Favelas zu bieten hat, berichtet er eine weitere Runde von Drogengeld, schweren Jungs und weinenden Müttern.

Die BBM reitet in ihren Köpfen wohl auf einer Speerspitze der Glockenbeat-Renaissance, aber musikalisch ist dieser vierzig Minuten starke 2009-Throwback unangenehm wie Videoaufnahmen aus dem Schullandheim. Die Beats servieren Synthesizer mit der Konsistenz von Olivenöl, Chor-Samples aus der Fischkonserve und ganz viel Gepolter und Gezeter. Die Dramatik ist durch die Bank auf "Motorrad-Verfolgungsjagd bei Alarm für Kobra 11" von 10 gestellt. Das ironisch unironische musikalische Highlight bildet "Money Never Sleeps", wo sie ohne Not und Scham "Last Resort" von Papa Roach samplen. Ohne die Hook, aber. Nicht, dass noch irgendjemand Spaß hat. Juri ist nicht zufrieden, bis seine Musik durch die Bank das Gefühl emuliert, von einem zwielichtigen Typen an der Tankstelle äußerst grimmig angestarrt zu werden.

Das ist der Punkt, an dem man gerne einlenken, ein bisschen versöhnlicher klingen und zugestehen möchte, dass Juri ja rappen könne und für Fans der Sparte sicher etwas zu bieten habe, aber: nein. Kann er nicht, hat er nicht. In seinen besten Momenten rappt er solide geradeaus, aber er stolpert öfter, als er sollte. Mal wirkt es, als hetze ihn die Snare. Für die angepeilten Trap-Flows fehlt ihm Eleganz oder Leidenschaft. Stattdessen klingt er smooth wie Schmirgelpapier und fast durchgehend etwas deplatziert. Am schlimmsten wirds, wenn er versucht, aktuelle Amirap-Adlibs aus den Schulen von Pop Smoke oder Future zu übernehmen. Man diagnostiziere ein stirnrunzelndes "Er war stets bemüht".

Und die Texte? Na, dreimal dürft ihr raten. Sie sind so mittel-interessant. Man erfährt wieder und wieder, von welchen Klamottenmarken Juri schon gehört hat, weil sie eine Menge Geld kosten. Ob ein Typ, der auch in Sachen Klamotten fest auf der "Grauer Hoodie, schwarze Bomberjacke"-Energie von 2009 festhängt, sein halbes Album mit Fashion-Talk vollmachen sollte - kann man sich drüber streiten. Es ist ja eine Sache, von Dingen zu rappen, die man nicht kennt. Aber warum rappt dieser Typ von Dingen, die er nicht kennt und die ihn dazu nicht die Bohne zu interessieren scheinen?

Nächster Throwback auf 2009, wenn die Highlights der Platte tatsächlich von Bushido und Kollegah kommen. Die fahren dieses Lob allein damit ein, dass Bushidos obligatorische Promo-Namedrops immerhin das Gefühl wecken, es gehe gerade um irgendetwas, Kollegah unternimmt sogar den heroischen Versuch, clever oder witzig zu sein. "Grün hinter den Ohren wie mein Lorbeerkranz" sagt er da, und man steht kurz vor einem innerlichen Schmunzeln und denkt: "Ah, versteh' ich, der war ganz okay." Aber: Man hat darüber nachgedacht, was gerade gesagt wurde und sich die Line geradezu gemerkt. Das passiert Juri nur dann, wenn man seine Zeilen so schnell wie möglich vergessen will. "Mein Penis rechts-orientiert, er fickt nur Ausländerinnen", zum Beispiel. Uff.

Ansonsten macht der Kerl Plattitüden-Karneval, wie er im Buche steht. Autos existieren, schnelle Autos, teure Autos, große Autos, gähn. Zumindest glaubt man ihm im Gegensatz zu den Klamotten, dass er an Autos so etwas wie Freude empfindet. Knarren existieren. Seine Gangster-Freunde existieren. Was die tun oder machen oder denken, erfahren wir nicht, aber sie sind da. Genau wie die Favelas in Kassel. Und ganz viele Fußballer. Pardon, darf ich 2009 wieder verlassen? Ich habe genug gesehen.

Trackliste

  1. 1. Bratans Aus Favelas 2
  2. 2. Aventus
  3. 3. Drug Dealers Dream
  4. 4. Death Row (feat. Sun Diego)
  5. 5. Money Never Sleeps
  6. 6. Mashkal (feat. Kollegah)
  7. 7. Juri Luciano Interlude
  8. 8. 2003 (feat. Bushido)
  9. 9. Hohlspitzgeschosse
  10. 10. El Clasico
  11. 11. Millies
  12. 12. 501
  13. 13. Mama I'm A Criminal (Remix)
  14. 14. Russenhocke

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