laut.de-Kritik
Kabaka und Damien Marley rücken Newcomer ins Rampenlicht.
Review von Philipp KauseKabaka ist die Amtsbezeichnung für den König des vorkolonialen Uganda. Der Jamaikaner Kabaka Pyramid fühlt sich seit jeher zu Afrika hingezogen. Da traf es sich gut, dass seine bisherigen Produktionshelfer Walshy Fire und Damian Marley ein Faible für Afrobeats hegen. Man hätte erwarten können, dass der zweite Kabaka-Longplayer "The Kalling" forciert in die Afro-Richtung strebt - das schien am plausibelsten.
Statt dessen beschäftigt sich der üppige Überraschungs-Release neben ein bisschen Roots Reggae und guten Hip Hop-Momenten in erster Linie mit anderen Genres. Mehr oder minder gut gemachter R'n'B ("Grateful ft. Jemere Morgan", "Life Is Everything ft. Answele", "Stand Up ft. Nathália", "Mr. Rastaman ft. Tifa", "Addiction", "Mary Jane ft. Black-Am-I", "Safe Right Here") oder R'n'B-P-Funk ("Energy ft. Jemere Morgan") und funky Electropop-Reggae ("EZ Ride") dominieren die Kollektion. Es eint die Stücke, dass sie einen Offbeat haben und typische Reggae-Themen transportieren.
Streckenweise, etwa bei "Mr. Rastaman" und "Energy", denkt man unweigerlich mehr an Kelis und Lumidee als an aktuelle Musikschaffende oder gar an Jamaika. Kommerziell kann das aufgehen. Und es belegt klanglich, dass Stephen Marley im Kreativ-Team dieses Albums mitmischte, den neo-soulige Party-Vibes schon lange mehr faszinieren als das, was man von der Karibikinsel erwartet. Im "Welcome To Jamrock"-Reggae-Rap-Verschmelzer Damian hat der Hip Hop-affine Kabaka Pyramid seinen naturgemäß besten Arbeitspartner gefunden.
Gegenüber "Kontraband" hebt dieser Release das Level deutlich an. Die Stücke sind geradliniger, stimmiger zueinander, formen viel mehr ein zusammenhängendes Album anstelle einer Singles-Reste-Sammlung, und die Produktion der Tracks ist technisch und musikalisch ausgereifter, organischer und verzichtet zum Glück auf 08/15-Plug-Ins.
Manche Tunes flitzen in Lichtgeschwindigkeit ins Ohr, so "Faded Away ft. Buju Banton", wohl eins der besten Buju-Lieder aus der Zeit nach seiner Haft. Hier passen die Stimmen-Kontraste, die fordernden Dancehall-Beats und die melodiösen, soulvollen Anteile perfekt zusammen.
Die stammen aus einem anerkennenswerten Experten-Sample: Junior Byles und die Soul Syndicate-Band nahmen 1975 "Fade Away" auf, Teilzeit-Wailer Earl Chinna Smith produzierte. Der neue und der alte Song thematisieren Arm-Reich-Spaltung. Ich musste an den Fuhrpark meines Vermieters denken, der mit einem schwer nachvollziehbaren Nebenkosten-Zahlengewirr versuchte, mich von Kabakas neuem Album abzulenken. Und viele weitere Menschen werden sich im Text dieses Lieds wiederfinden. Der Black Power Movement-Spruch "The revolution will not be televised" findet eine neue Verwendung, die Vortragsstile von Gast und Gastgeber überragen einander in Engagement und anklagender Intensität.
Der 31-jährige Kabaka kennt seine Stärken und Vorlieben gut, wie ich vor Jahren bei einem Interview feststellen konnte. Schon damals kündigte er an, verstärkt auf Feature-Gäste setzen zu wollen. Mit neun Stimmen von Kollegen und Kolleginnen und einem eingangs perfekt platzierten Peter Tosh-Sample löst er das ein, lässt die anderen singen und nimmt sich die Freiheit, für die eigenen Vocals mehr auf Hip Hop-Parts zu setzen. In "Energy ft. Jemere Morgan" führt das zu einem sehr dynamischen Tune, der wie auf Kabakas aktuelle US-Tour zugeschnitten wirkt und - wüsste man nicht, von wem er ist - wie ein Hit aus den amerikanischen R'n'B-Charts scheint.
Ein weiteres Highlight klappt mit der bis dato unbekannten Nathália im herzergreifenden "Stand Up". Sie oszilliert stimmlich in einer 'Range' zwischen Jamaikas Casting-Show-Gewinnerin Tessane Chin und Rod Stewart - interessant im Wechselspiel mit den Vocals von Kabaka Pyramid, dem jede Souligkeit abgeht und der fest und massiv klingt.
Europa-taugliche Hits drängen sich aus "The Kalling" nicht direkt auf. "EZ Ride" groovt gut, "Red Gold And Green ft. Damian Jr Gong Marley" hat mit seinen fett wummernden Bässen gute Chancen, neben Evergreens wie "Well Done (Mista Politician-Man)" in die Kabaka-Live-Setlists einzuziehen. Die Kiff-Hymne "Mary Jane ft. Black-Am-I" platziert inmitten von Lounge-Saxophonen eine viel versprechende Entdeckung aus dem Hause der Junior-Marleys. Bekanntheitsgrad und Popularität streben zwar noch steil auseinander, sprich die Plays in Spotify-Listen überragen die Fan-Gefolgschaft bei weitem. Aber Alben dieser Art wie "The Kalling" dienen heute wohl in erster Linie dazu, Newcomer noch weiter ins Rampenlicht zu rücken.
Neben diesem offenkundigen Hauptzweck der Platte kann man sie locker einfach so laufen lassen, ohne dass sie stört. Schlechte Nummern hat sie nicht, handwerklich ist sie perfekt. Sie haut dennoch nur an einer einzigen Stelle wirklich um, im Rap-Teil von "Kontraband Part 2 ft. Damian Jr Gong Marley". Während der Refrain höchst clever und nahezu unerkannt Iqulah Rastafaris "Informer" (1988) interpoliert, fesselt die gesamte Wortkaskade von Minute 0'44" bis 2'12" - hier ein Auszug: "Just pick the topic / mi philosophic (...) / Mi use to tour and never see no profit (...) Syllables microscopic delivered in fiberoptics (...) The proof is in the pudding / Just look, what we've been doing (...) Gong Zilla, Sizzla, Capleton and / Stephen Marley is ma inspiration (…) Gimmie the riddim an' / mek mi dismantle it and trample it / Producers dem a ask Zill wah the sample is / Mi show dem what a lyrical example is (...) It's fucking embarrassing / while the pedophile dem see the child / dem and a strangle him / And rapers dem a traumatize / all girl inna dem family / Sickening (...) Beats I'm abusing left them bruising / 'Til the next episode - catch me cruising!"
Zusammengefasst: Pyramid ist sich sozialer Missstände in Kingston gewahr, zu denen seit Jahren ein krasses Problem in der Strafverfolgung von Kindesvergewaltigung und häuslicher Gewalt zählt, worüber Xana Romeo 2016 eine der Reggae-Zeilen des Jahrzehnts textete ("Wer Cannabis raucht, kommt in den Knast, wer Kinder schändet, bleibt frei", "Dem lock up di ganjaman, dem never lock up di pedophile."). Jedes Thema, so rappt Kabaka, könne man ihm vorlegen - und er werde es in Silben packen, die mikroskopisch genau vernietet seien, für die er jedes Taktmaß der Beats brutal vermansche und die ihm in einem Tempo einfallen, das mit der Transfer-Geschwindigkeit von Glasfaserkabeln Schritt halte. Samples und Riddims überlasse er dem Junior Gong. Seine Vorbilder: Oft genannte Stars aus der Generation, die aktuell Mitte 40 bis Mitte 50 ist. Kabaka macht einen guten Job, vor allem aber als Nebenrolle zwischen überstrahlenden Gästen und geborgten Samples.
1 Kommentar
Finde das kommt zu schlecht weg.
Kabaka ist musikalisch unglaublich onpoint egal ob im Rap oder beim Deejaying.
Bestes Reggae Album dieses Jahr