laut.de-Kritik
Intim, verwundbar und raplastig wie lange nicht mehr.
Review von Yannik Gölz"Loving you is complicated". Diese Kendrick Lamar-Line ging mir in den letzten Wochen sehr oft durch den Kopf. Ich bin Kanye-Fan. Und einmal mehr lässt er nicht einfach die Musik für sich stehen, sondern macht es unnötig kompliziert. Natürlich ist es unmöglich, das Drama um seinen Namen auszublenden, wenn es in den Roll-Out eines neuen Projektes geht, immerhin weiß niemand genauer als er selbst, dass die Persona des "neuen Kanye" ein dynamisches Produkt seines medialen Phänomens ist. Kanye existiert in einer radikalen Wechselwirkung zum Melodrama, das er wieder und wieder verursacht.
Es wäre zu leicht, Aussagen wie "Sklaverei war eine freie Wahl" und "Ich und Donald Trump sind Brüder, wir haben beide Drachenenergie" an derselben Stelle seines Herzens zu suchen, von wo aus bereits Sätze kamen wie "George Bush kümmert sich nicht um schwarze Menschen", "Beyoncé hat eines der besten Musikvideos aller Zeiten gedreht" und "Mark Zuckerberg, du musst 50 Millionen Dollar in Kanye-Ideen investieren". Aber es wäre auch zu einfach, das nicht zu tun. Gerade aufgrund der ersten Rapline des Tapes: "I called up my loved ones, I called up my cousins / I called up the Muslims, said I'm 'bout to go dumb". Kanye hat keinen Filter, absolut keine Selbstbeherrschung und lebt die absolute, impulsive Spontaneität. Heißt nicht, dass jeder seiner Gedanken intellektuell oder geistreich ausfällt. Aber es ist ein Testament eines der authentischsten und transparentesten Künstlern unserer Zeit.
Das drückt sich auch auf diesem sieben Tracks starken Album aus, das nicht nur einen der intimsten, verwundbarsten Blicke auf Kanye wirft, sondern ihn auch so rap-lastig zeigt wie vielleicht seit "The College Dropout" oder "Late Registration" nicht mehr. Schon die Eröffnung "I Thought About Killing You" kehrt derart schonungslos die finstersten Winkel seiner Gedankenwelt nach außen: "I thought about killing myself, and I love myself way more than I love you / So ... today I thought about killing you".
Mit einem verzerrten, fast an Ambient erinnernden Vocal-Sample und einer reduzierten Spoken Word-Delivery entwickelt der Track sich fast zu etwas, das man als invertierten "Ultralight Beam" bezeichnen könnte. Ein Minimalismus, der sich auch durch die zwei kommenden Tracks zieht. "All Mine" und "Yikes" klingen wie eine Synthese der "Yeezus" und "808s & Heartbreak"-Äras. Das Zusammentreffen von schroffen Synthesizer-Betten mit melodischen Hooklines nutzt er, um Kanye nach dem erschlagenden Intro direkt weiter zu dekonstruieren.
"Yikes" präsentiert einen inkohärenten Verse über Gedanken und Erfahrungen mit psychedelischen Drogen und setzt sich vage mit psychischer Erkrankung auseinander, während "All Mine" noch dichter und direkter als selbst Songs wie "Famous" Kanyes Verhältnis zu Sexualität und Liebe als etwas animalisches und problematisches darstellt. Auch wenn die schräge Hook von Newcomer Valee und Kanyes höchst absurder Punchline-Rap ("Let me hit it raw like fuck the outcome / Ayy, none of us'd be here without cum") für einen der gewöhnungsbedürftigeren Tracks des Albums sorgen.
Der dominante Minimalismus, die unpolierte Produktion und der überraschend radikale Fokus auf eine ungeschönte Selbstdarstellung Kanyes sorgen an dieser Stelle dafür, dass "Ye" einmal mehr alle Erwartungen an ein Album des Mannes über den Haufen wirft. Statt ausuferndem Songwriting, hochkarätigen Features und Soul gibt es kalte Synthesizer, höchstens Gäste aus der zweiten Reihe und Aussagen über die eigene Bipolarität.
Und gerade, wenn man sich an diesen Zustand gewöhnt hat, wechselt Kanye in wesentlich vertrauteres Fahrwasser. Weg von seiner eigenen Person, hin zu seinen engsten Vertrauten, denn auf "Wouldn't Leave" und "No Mistakes" klingt es so, als würde er sich bei Ehefrau Kim Kardashian für die eigenen Verfehlungen entschuldigen.
"My wife callin', screamin', say we 'bout to lose it all / Had to calm her down 'cause she couldn't breathe / old her she could leave me now, but she wouldn't leave/", heißt es da, bevor eine melancholische Jeremih-Hook den Track in altbekanntes Soul-Terrain schickt. Überraschenderweise ist das hinterlassene Gefühl dieser Tracks vor allem eine aufrichtige Dankbarkeit an die Menschen, die dem Rapper auch an seinen drogen- oder krankheitsinduzierten Tiefpunkten nicht den Rücken gekehrt haben.
Ein versöhnlicher Moment für den vermeintlich so egozentrischen Kanye, der prompt darauf noch einen drauflegt: "Ghost Town" ist der intensive Höhepunkt der Platte, eine Nummer, die problemlos mit den höchsten Höhen von "My Beautiful Dark Twisted Fantasy" mitspielt. Eingeleitet von PARTYNEXTDOOR und Kid Cudi trifft hier Kanyes vielleicht beste Gesangs-Performance seiner Karriere auf einen ergreifend gesungenen Gänsehaut-Part von Newcomerin 070 Shake, die kurz zuvor von GO:OD Music aus der halben Obskurität gesignt wurde.
"I put my hand on a stove, to see if I still bleed, yeah / And nothing hurts anymore, I feel kinda free / We're still the kids we used to be": Das ist Chance The Rapper auf "Ultralight Beam"-Level, Nicki Minaj auf "Monster"-Level, Rick Ross auf "Devil In A New Dress"-Level und ein unwiderrufliches Zeugnis davon, dass Kanye seinen magischen Touch, Musikern eine 200-Prozent-Performance abzuringen, immer noch nicht verloren hat.
Mit "Violent Crimes" endet "Ye" mit einer einfühlsamen Ballade an die eigenen Töchter und die damit einhergehende Veränderung des eigenen Frauenbilds. Nicht das originellste Konzept und ein bisschen patriarchalisch, aber auch ein bisschen süß und von Herzen glaubhaft. In Sachen Zugänglichkeit unterbietet dieses neue Album vielleicht sogar noch einmal das schon sehr chaotische "The Life Of Pablo".
Nach dem TMZ-Interview habe Kanye große Teile des Albums noch einmal komplett überarbeitet, gerade einmal 24 Minuten Spielzeit bringt es auf die Waage. Und dazu noch eine sehr eigenwillige, unterkühlte und auf Themen wie Drogenmissbrauch, Bipolarität und Sexismus fokussierte Einleitung in ein Projekt, das erst in der zweiten Hälfte zu einem wirklich warmherzigen und optimistischen Blick auf sein Leben avanciert.
Gerade dank der kurzen Spielzeit und der großen Palette an Ideen und Sounds, die sich erst nach und nach wirklich offenbaren, entwickelt sich "Ye" zu einer der interessantesten und vielschichtigsten Erfahrungen des bisherigen Jahres. Gewissermaßen zu einer Synthese des alten und neuen Kanyes. Gleichzeitig der Superstar, das Medienphänomen, aber auch die Introspektion, die Soul-Samples und die entwaffnende Verwundbarkeit. Highlights wie "Yikes", "Violent Crimes" und allen voran das unglaubliche "Ghost Town" stehen für sich – und auch die eigenwilligeren Tracks wachsen mit jedem Hören verdammt schnell. Ob die Platte Kanyes fragwürdige Aussagen in Perspektive rückt oder vielleicht sogar entschuldigt, entscheidet letztlich jeder Hörer für sich.
17 Kommentare mit 36 Antworten
Künstlerisch auf Möchtegern machendes, aber viel zu fragmentiertes Album. So viele coole Ansätze, so wenig coole Songs. Und "Ghost Town".
Die Scheibe ist so gut ey, einfach nur so überraschend gut....
Topt für mich alles was der kerle bisher rausgebracht hat...!
Und jepp, "ghost town" schockverliebt
... ungehört 1/5.
+1
Da vermutlich hier keine Review zu ''KIDS SEE GHOSTS'' stattfinden wird, möchte ich noch hinzufügen, dass es Kanye tatsächlich geschafft hat, eine noch miesere Platte zu produzieren als ''ye''. Leute, da frage ich mich, wo habt ihr euere Ohren?
So. Am Freitag erscheint nun der vierte Teil des neuartigen Albumkonzepts. Und zwar mit NAS. Ich hoffe inständig, dass diese Platte besser ist, zumindest so gut wie Pushas Daytona. Denn NAS ist schon ein anderes Kaliber. Für mich der beste Rapper aller Zeiten. Die wichtigste Figur im Hip Hop Game. Und wenn da etwas verhaut wurde, dann wäre ich sogar ein wenig traurig.
kanye west chillt mit donald trumpdas heißt kanye west = hitler und satan in einem!!!!!!!!1 0/5 ungehört
Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.