laut.de-Kritik
Kasabian gelingt die Zeitenwende.
Review von Stefan MertlikEs beginnt mit Meeresrauschen. Dann setzt die sanfte Stimme von Serge Pizzorno ein: "Trying to get away from the burning in my head / Water hits the rocks, tide came in." Kasabian eröffnen ihr siebtes Album "The Alchemist's Euphoria" behutsam. Doch damit führen sie ihre Hörerinnen und Hörer in die Irre. Die folgenden 38 Minuten fordern heraus – mit viel Lärm und Getöse.
Nach dem Ausscheiden von Frontmann Tom Meighan ist Pizzorno in die erste Reihe aufgerückt. Der Band genügte das offensichtlich nicht, es musste sich noch mehr ändern. Ihr Sound, der bislang als leicht psychedelischer Britrock mit elektronischem Einschlag durchging, entwickelt sich auf "The Alchemist's Euphoria" zum Mischmasch aller erdenklichen Musikgenres. Und nichts davon donnern Kasabian gegen die Wand.
"Get the vile, get the blood, give me aggro / Take 'em all on my own like in Rambo", sprechsingt Pizzorno in "Scriptvre" über einen derben Breakbeat. Seine vom Distortion-Effekt belegte Stimme kratzt nicht das letzte Mal innerhalb der zwölf Stücke im Ohr. Industrial trifft auf Nu Metal trifft auf Cloud-Rap.
In diesem Tempo geht es weiter. "Rocket Fuel" startet mit durchgedrücktem Wah-Wah-Pedal. Dazu bläkt Pizzorno im aggressiven Tonfall nicht Jugendfreies: "Like a feather pick me up / Go into the party, wanna fuck it up." Die Handflächen werden feucht, Stressschweiß bildet sich auf der Stirn. All das erinnert an The Prodigys "Firestarter".
"Strictly Old Skool" sucht Inspiration beim melodischen Hip Hop, den die Kids von heute so sehr mögen. "Alygatyr" schichtet schwere Riffs übereinander. "The Wall" schielt mit euphorischen Synthie-Flächen und sanften Drums in Richtung Elektropop. Und "T.U.E (The Ultraview Effect)" bewirbt sich mit seinem hypnotischen Elektro-Beat für den Rave-Hangar bei Woodstock 99.
Wie poppige Rocksongs für das Alternative-Radio gehen, wissen Kasabian aber auch noch. "Chemicals" mit Ohrwurm-Refrain, mehrstimmiger Gesang und süßlicher Keyboard-Melodie ist so ein Beispiel. Gut gemacht, aber harmlos. Mitte der 2000er wäre das noch ein Ding gewesen. 2022 unterstreicht das Stück immerhin, mit welchem Mut die Briten an den Rest der Platte herangegangen sind.
Nur wer sich dem Wandel anpasst, überlebt ihn auch. Kasabian trauen sich auf "The Alchemist's Euphoria" mitzuziehen – ohne sich anzubiedern. Ihre vollgepackten Arrangements strotzen nur so vor Ideen. Impulse bekamen sie von überall. Doch so wie die Briten all das zusammengesetzt haben, klingen sie frisch und vor allem eigen. Oder in anderen Worten: Kasabian gelingt die Zeitenwende.
4 Kommentare
Puh, nach dem ersten Durchlauf bleibt zunächst nur hängen, dass Sergio gerne den Kontostand von den Twenty One Pilots hätte. Blöderweise passt sich die Musik dem evenfalls an.
Ich hoffe mal das Ding wächst nocht, die Platte wurde ja überall recht positiv besprochen, aber momentan gehen mir diese Zugeständnisse an den Zeitgeit gehörig auf den Zeiger
Viele gute Zutaten, aber das komplette Gericht kommt mir dann irgendwie überproduziert und too much gewollt vor. Ein bisschen wenig Seele. Aber eigentlich auch nicht schlecht. Nur bis jetzt nicht gezündet, und ich habe das Gefühl, dass es das auch nicht mehr wird.
Oh, habe ich da gerade kurz Echoes gehört?
Beginnt stark, wird mir aber nach der Hälfte fast zu abgespacet. Gefällt trotzdem und bleibt hängen.
Sehr entäuschend.