laut.de-Kritik
Wenn die Pubertät einsetzt, herrscht erstmal Urlaub fürs Gehirn.
Review von Dominik Lippe"Erstaunlich, was ich kann, wenn ich mich einmal konzentrier'." Nach seinen unbeherrschten Anfängen wirkte Kasimir1441 auf seinem Debütalbum "Eya" beinahe eingehegt. Rap-Balladen wie "Gedicht", das betrübte "Birthday" oder Indie-Rock-Trap à la "Wein Für Mich" bewarben sich als regelrechte Songs mit Struktur beim Massenmarkt. Doch die Rolle des Badmómzjay anschmachtenden Radiostars behagt ihm nur bedingt. Mit "Kasino" schmeißt der ADHS-Rapper allzu gefällige Konzepte über Bord, um sich auf EP-Länge wieder ganz als zügelloses Schlitzohr in Szene zu setzen.
Ungestüm wechselt Kasimir1441 seinen Vortrag. Schon im einleitenden "Grosser Junge" rappt er sich kontinuierlich in die desorientierte Unterzuckerung, um umso druckvoller im Refrain zurückzukehren. Sattelfest widerspricht er, wenn "Sie Sagen Hör Auf", in "Ein Geschenk" dagegen nuschelt er saft- und kraftlos zur grüblerischen Gitarre und dem schwebenden Chor von Produzent Iceberg. Als habe er beim Graskonsum zu tief inhaliert, klingt der Berliner mit fortlaufender Spielzeit in "Keine Ahnung" zunehmend geistesabwesend. Dagegen pflügt er kraftstrotzend durch "Hornissen".
Mit seinem kindlichen Gemüt, das sich über den eigenen Entwicklungsstand selbst nur teilweise im Klaren ist, kokettiert er schon mit Songtiteln wie "Grosser Junge". "Fuck, ich bin ein kleiner Junge", stuft er sich zunächst selbst zurück, um sich kurz darauf einzugestehen: "Doch ich bin ein großer Junge, auch ich jag' die Eins." Im nun stolzen Alter von 21 Jahren schwankt er auch in "KSS" ganz gewaltig, ob er die Vorpubertät nun hinter sich gelassen hat: "Ja, ich kipp' Lean, ey, ja, ich bin ein kleiner Junge direkt aus Berlin, hey. Doch ich bin ein großer Junge, auch der viel verdient, ey."
Zumindest verzichtet Kasimir1441 darauf, über den Klassenlehrer zu klagen, der ihm auf "Eya" noch Hausaufgaben aufgebrummt hat. Spannender fallen nun anatomische Veränderung aus, die er als Teenager durchläuft. "41 mm, Dicker, ja, du weißt, keine Schwanzlänge, weil ich diese nicht vergleich'", gibt er ungeahnte Einblicke in "Sie Sagen Hör Auf". Damit sammelt er deutlich mehr Sympathiepunkte als Lauin, der auf "KSS" wie der erste Mensch rappt. "Ich fick' Mutter, ich fick' dein' Tante im Hotel und nicht an Tanke."
Während Lauins hüftsteifer Vortrag den Berliner unnötigerweise ausbremst, überzeugen Nizi19 und vor allem Lucio101 in "Keine Ahnung". "Hol' mein Bruder ab vom Knast und sag': 'Du hast nicht viel verpasst'", erklärt der Rapper vom 1019-Kollektiv mit tiefem Flow, der das optimale Gegenstück zum gelegentlich quäkenden Wirbelwind bildet. Der wiederum nutzt den abgeklärten Auftritt seines Gastes, um sich als Schlawiner zu gerieren: "Ja, ich hab' 'ne gutaussehende Hoe, die hat viel in der Titte." Es ist leicht vorstellbar, wie er sich nach der Aufnahme mit seinen Kumpels darüber beömmelt.
Zum Abschluss kippt die Stimmung noch einmal. Wie von "Hornissen" gestochen, tobt Kasimir1441 voller Jähzorn über den Beat. Als halbstarkes Duo mit Ramo warnt er seine Kontrahenten vor Widerstand. Wenigstens das Wildbwoys-Instrumental traut sich kaum, sich den verhaltensauffälligen Rappern in den Weg zu stellen. "Man kann nur hoffen, dass sein nächstes Album ein bisschen mehr Zeit für Konzipierung und Fokus verwendet", schloss Yannik Gölz seine "Eya"-Review ab. Es bleibt bei einem frommen Wunsch, denn wenn die Pubertät einsetzt, herrscht erstmal Urlaub fürs Gehirn.
14 Kommentare mit 23 Antworten
Die Lyrics-Beispiele sind ganz klarer Ungehört-1/5-Schmutz, egal ob jetzt von Kasimir oder den Features. In welcher Welt sollen das 3 Sterne sein, selbst wenn die Produktion und die Beats Maßstäbe setzen würden (was im Review so wirklich gar nicht erwähnt wird)?
Ungehört 1/5. kommt was zum Audio88 Album?
Wack af.
Manche Künstler kriegen hier anscheinend aus Prinzip 3/5!
Ich hab etwas reingehört und muss mich revidieren und sagen, dass sein Vortrag schon sehr einzigartig ist und was Frisches hat, teils die Art zu doppeln etc. Trotzdem nicht meine Musik, gerade inhaltlich, aber das ist Haiyti auch nicht...
Wäre ich 15, würde ich es wahrscheinlich laut mitrappen. Klingt halt nach Hirn aus und Abriss.
3/5 kann man wahrscheinlich mit Blick auf die Zielgruppe schon geben.
Mit Blick auf die Zielgruppe muss man dann halt aber auch bei den Amigos die 5 Sterne zücken.
Das muss man ganz kategorisch.
Nun, wer soll da noch widersprechen.
Tut ja auch keiner. Amigos Alben werden hier ja auch eher unseriös zu unserer Belustigung besprochen
Im Ernst: Ein paar Banger sind drauf, für die ich aber einfach zu alt bin. Daher find ich die Wertung okay. Dick ausproduziert isses ja, was natürlich auch andere Mängel kaschieren kann.
Meinst du jetzt die Amigos oder Kasimir?
Die Amigos natürlich.
Hört euch doch mal Großer Junge an. Er bedient halt ein dämliches Image, das aber wahrscheinlich näher an der realen Person ist als zb das von Kolle. Er kreiert ne Art eigenen Slang, was zb bei Haiyti für einige ein Pro-Argument war. Und er weiß, wie er simpel catchy Hooks baut, die zu den Beats passen. Ich mag das nicht, aber ich finde es hat im Hip Hop durchaus seine Daseinsberechtigung. Und ich kann es einem Kiddie inhaltlich weniger übelnehmen als zb einem Farid Bang, der mit Ende 30 weiterhin dieselbe Scheiße erzählt.
Will mich hier aber auch nicht zum Advocatus diaboli aufschwingen.
Bleibt nur zu hoffen, dass seine Stimme bald mal aufgibt und wir dann von diesem Unfug verschont bleiben.