laut.de-Kritik

Zu monumental für jede denkbare Kategorisierung.

Review von

"Vorhang auf für jenes Album, das 1985 Madonnas "Like A Virgin" vom Thron fegte. Hier verschmilzt Kate Bush beide Seelen in ihrer Brust zum Einklang. Die Anmut der Komponistin und die Verschrobenheit ihres Genies ergeben gebündelt ein Meisterwerk. "Hounds Of Love" ist einer der musikalisch wichtigsten wie schönsten Momente der 80er.

Als sie vor mehr als dreißig Jahren – im Januar 1984 – mit den Aufnahmen begann, sah es längst nicht so bedeutsam aus. Ihre letzte LP, "The Dreaming", wurde von Kritik wie Publikum gleichermaßen verschmäht. Bush fühlt sich unverstanden, zieht sich aufs Land zurück und erleidet eine nicht unbeträchtliche Schreibblockade.

Doch Kate Bush war schon immer mehr Erscheinung als Popstar. Die Lösung heißt passenderweise: Noch mehr Kontrolle! Statt sich mit der Produzenten-Rolle zu begnügen, macht sie auch gleich die Arrangements selbst und erbaut sich das persönliche Traumstudio in den eigenen vier Wänden. Hier gedeiht alles ungestört. Nicht einmal das Label darf vor Fertigstellung ein Ohr riskieren.

Einmal mehr ist sie die Meisterin des Eklektizismus; so wechselhaft wie Genesis und Bowie zusammen. Egal ob Irish Folk, kaukasische Klänge, Ansätze von Suiten, Art Pop oder Progrock. Alle Stile dürfen mitspielen. Keiner indes bestimmt das Gesamtbild ihrer Musik. Es bleibt stets einen Hauch zu farbenfroh, eine Idee zu absurd und einen Tick zu monumental für jede denkbare Kategorisierung. So sind denn alle Genres Schall und Rauch. Am Ende trägt jede Note den Stempel von Kate Bush; jeder Ton malt ihr Gesicht.

Die LP selbst ist zweigeteilt. Die komplette A-Seite besteht aus dem Hounds Of Love-Zyklus. Fünf in sich geschlossene Tracks voll einladender Ästhetik machen den Unterschied zu allem bisherigen Schaffen der Engländerin. Trotz gesteigerter Zugänglichkeit geraten die Stücke tiefgründiger als etwa ihr Hit 1980er Radiohit "Babooshka". Jeder Song erhält sein ganz eigenes Klangkostüm. Bushs Arrangements sind ihrer Zeit meilenweit voraus. Kein Wunder mithin, dass alle vier Singles aus dieser Hälfte des Albums stammen.

Bewegende Augenblicke gibt es pausenlos. Der Überhit "Running Up That Hill" wartet mit einer der prägnantesten Synthie-Hooks aller Zeiten auf. Für diesen Deal mit Gott packt sie etwas Forderndes, nahezu Eiferndes in den Gesang. Das verleiht dem Song eine Intensität, die fast allen Pophits ganz und gar fehlt. "Be running up that road. Be running up that hill. Be running up that building/ say, if I only could, oh..."

Ihren Höhepunkt erreicht diese Methode beim zeitlos perfekten "Cloudbusting". Ein herausragendes Streicher-Arrangement schmiegt sich an das Lied wie ein organischer Panzer. Beschwörende Schamanen-Vocals und eine unaufhaltsam nach vorn marschierende Melodie tun ihr übriges. Um die Story des Textes in ansprechende Bilder zu kleiden, dreht Bush dazu noch ein schickes Video mit Schauspieler Donald Sutherland als Co-Star.

Ohnehin sind die Zeilen meist ebenso wichtig für das jeweilige Stück wie die Töne. Sehr deutlich lebt sie ihren exquisiten – meist bitterbösen - Humor aus. "Mother Stands For Comfort" etwa ist kein kuscheliges Wiegenlied. Hier versteckt ein getriebener Serienkiller sich selbst plus die eigenen Untaten unter den Fittichen seiner wissenden, schützenden Mutter. "She knows that I've been doing something wrong. But she won't say anything./ Mother stands for comfort. Mother will hide the murderer." Very british, Gänsehaut!

Urplötzlich ist die rauschende Ballnacht vorbei. Mit der B-Seite "The Ninth Wave" kommt eine geballte Ladung Exzentrik auf den Hörer zu. Bush hatte die Idee eines Konzept-Minialbums über eine Frau, die nach einer Schiffskatastrophe eine Nacht lang im Überlebenskampf mit dem Ozean gefangen ist und im Wasser treibend von Visionen heimgesucht wird.

Ebenso unkonventionell wie das Thema, klingt auch die musikalische Umsetzung. Strenge klassische Strukturen treffen auf theaterhaften Gesang und gälischen Folk. Dazu allerlei surreale Gimmicks wie in "Waking The Witch" die Kirchenglocken und ein Sample des Hubschraubers aus Pink Floyds "The Wall". Mit jedem Hören weicht das Krude mehr und mehr der Faszination. Bush nimmt hier künstlerisch bereits alles vorweg, was jüngere Kolleginnen wie Björk später für sich weiter entwickeln.

Inmitten dieser ambitionierten Vorstellung erstrahlt ihr womöglich intensivster Song überhaupt, "Hello Earth" wie ein Leuchtturm. Sogar in dieser allgegenwärtigen Superlative wirkt der Song überirdisch und berückend. Das liegt in beträchtlichem Maße am eingewobenen "Zinskaro" ("წინწყარო"), einem ebenso entrückten wie uralten georgischen Traditional, das im Kaukasus jedes Kind kennt und hier im typisch grusischen Chorgewand auftaucht. Nicht zum ersten Mal findet das Juwel seinen Weg in westliche Popkultur. Horrorfan Bush vernahm den Track erstmals beim Schauen von Werner Herzogs Nosferatu-Remake, für dessen Filmmusik ihn Popol Vuh bereits 1979 adaptierten.

Auch drei Dekaden später hat die Platte nichts von ihrer hypnotischen Wucht und Eigenwilligkeit verloren. "Hounds Of Love" macht Kate Bush für die Musik des 20. Jahrhunderts als weibliche Symbolfigur ähnlich wichtig, wie etwa Frida Kahlo in der Malerei oder Virginia Woolf in der Literatur. Ob man ihre Musik begreift, ist Bush hingegen vollkommen gleichgültig. Es ist mir nicht wichtig, ob die Leute mich verstehen.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Running Up That Hill (A Deal With God)
  2. 2. Hounds Of Love
  3. 3. The Big Sky
  4. 4. Mother Stands For Comfort
  5. 5. Cloudbusting
  6. 6. And Dream Of Sheep
  7. 7. Under Ice
  8. 8. Waking The Witch
  9. 9. Watching You Without Me
  10. 10. Jig Of Life
  11. 11. Hello Earth
  12. 12. The Morning Fog

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