laut.de-Kritik

Reign in Blood?

Review von

Konfuse Zeiten für Slayer-Fans. Da hatte man sich gerade dran gewöhnt, dass die Thrash-Ikonen endgültig von der Bildfläche verschwunden waren und Kerry King seine neue Band in Stellung gebracht – schwups tauchten Comeback-Shows am Horizont auf. Dabei hatte Bandboss King erst wenige Wochen zuvor sein Solodebüt plus entsprechende Touren angekündigt, bei denen er selbstverständlich auch Slayer-Songs spielt. Inzwischen käme es wohl nicht mal mehr überraschend, stimmte im Sommer plötzlich Tom Araya auf der Bühne Stücke von "From Hell I Rise" an. Musikalisch würde es sich nahtlos ins Slayer-Set einfügen.

King versucht gar nicht, die Ähnlichkeiten beider Projekte abzustreiten. "Ich habe echt kein Verlangen was anderes zu machen", bestätigte er Anfang des Jahres in einem Interview. Der Großteil seines nun vorliegenden ersten Soloalbums klingt, als hätte er ihn für die Band geschrieben, mit der er einst bekannt wurde. "Hätte ich nicht bei Slayer gespielt, wäre ich Slayer-Fan. Also wird das hier eine Extension von Slayer, und wahrscheinlich werden viele Leute glauben, es hätte das nächste Album werden können. Ungefähr 80 Prozent wären es tatsächlich geworden, vielleicht sogar 1:1 so wie es jetzt rauskommt. In meinen Augen ist es definitiv eine Extension, der Nachfolger zu 'Repentless'."

Selbst personell bleibt er der Linie treu. Immerhin spielen auf "From Hell I Rise" 50 Prozent des „Repentless“-Lineups. Drummer Paul Bostaph folgte Kings Ruf von Slayer zur Soloband und war dessen Sparringspartner Nummer 1 beim Ausarbeiten der Songs. Dazu stoßen Phil Demmel an der Leadgitarre und Sänger Mark Osegueda, beide dank Referenzen wie Machine Head, Vio-Lence und Death Angel ebenfalls Thrash-Royalty.

Mit offensichtlicher Anspielung an Kings absolutes Karrierehighlight prescht die Supergroup mit "Where I Reign" und vertrautem, sich überschlagendem Riffgalopp ins Album. Die Lyrics dazu lesen sich wie ein Slayer-Best Of: Es regnet, es blutet, Göttliches wird ans Kreuz geschlagen, das Leben schmerzt – unvergleichlich musikalisch in Szene gesetzt durch den am Ende gequält quietschenden Vibratohebel.

Noch schöner kanalisiert King die Raserei früher Tage im kaum anderthalb Minuten langen "Everything I Hate About You". Hier ist nichtmal Zeit für ein Solo, die Sechzehntel fliegen einem bei mit weit über 200 BPM nur so um die Ohren und Osegueda speit seine Verachtung ebenfalls mit Hochgeschwindigkeit ins Mikro. Im direkt anschließenden "Toxic" präsentiert King seine Midtempo-Groove-Sahneseite inklusive böser Tritonus-Figuren. Es ist einer von mehreren politisch aufgeladenen Tracks. Unter anderem kritisiert King grassierende Geschichtsvergessenheit, bewusst spaltende Rhetorik und festgefahrenen Konservativismus. In "Residue" thrasht er gar für Abtreibungsrechte, ausgelöst durch die 2022 in den USA erfolgte Aufhebung des "Roe v. Wade"-Urteils. "Ich war echt angepisst", rekapituliert King, prangert im Song die Rückschrittlichkeit der Verantwortlichen an und wünscht ihnen: "tenfold / It comes fuckin' back to you". Ob das wiederum so deutlich bei Slayer im Programm gelandet wäre ... fraglich.

Womit wir doch bei ein paar Unterschieden im Vergleich zur Hauptband angekommen wären. Der offensichtlichste kommt in Gestalt Oseguedas daher. Zwar orientiert sich dieser für einige Songs (z.B. beim erwähnten "Everything I Hate About You") durchaus am Stil Tom Arayas, wechselt immer wieder aber auch in kraftmeiernden Pantera-Mode und lässt Noten à la Testament einfließen. Im Vergleich zu seiner Arbeit bei Death Angel performt er weniger melodisch, dafür muskulöser und tendenziell etwas aggressiver. Osegueda wird damit zum echten Mehrwert für die Platte und trägt zur Emanzipation des King-Soloprojekts bei.

Weniger positiv wirkt sich manche Entwicklung auf instrumentaler Ebene aus. Hie und da agiert King "geordneter" (um nicht zu sagen: braver) als in Glanzzeiten. Gutes Beispiel dafür ist das Intro "Diablo". Der Versuch einer hymnischen Einleitung verkommt wegen langweiliger, vorhersehbarer Leads zum generischen Filler und steht mit gewollter Epik konträr zum Blutrausch von "Where I Reign". Auch viele der Gitarrensoli bleiben ernüchternd blass. Oft wünscht man sich mehr Chaos statt austauschbarer Struktur. Ausgerechnet in Songs, wo Einzelleistungen hervorstechen (Paul Bostaph in "Crucifixation" und Phil Demmel in "Trophies Of The Tyrant"), hinken die Riffs. Und ob es wohl beabsichtigt war, dass "Trophies Of The Tyrant" nach Metallica klingt…?

So fragt man sich am Ende, ob zum Einstieg in die Solokarriere vielleicht eine durchweg starke EP sinnvoller als ein 13-Track-Album gewesen wäre. In Teilen bietet "From Hell I Rise" hochklassigen Thrash Metal, mit dem Kerry King seinem Vermächtnis ein wertiges neues Kapitel hinzufügt. Über die gesamten 46 Minuten Lauflänge hinweg bleiben trotzdem zu viele Stücke hinter den Erwartungen zurück, die man eine derart namhafte Besetzung stellen muss.

Trackliste

  1. 1. Diablo
  2. 2. Where I Reign
  3. 3. Residue
  4. 4. Idle Hands
  5. 5. Trophies Of The Tyrant
  6. 6. Crucifixation
  7. 7. Tension
  8. 8. Everything I Hate About You
  9. 9. Toxic
  10. 10. Two Fists
  11. 11. Rage
  12. 12. Shrapnel
  13. 13. From Hell I Rise

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