laut.de-Kritik

Ein Genie sitzt im Zug zwischen London und Liverpool.

Review von

"Flimsier" startet ziemlich beeindruckend mit einem schnell verwischten Drone, der in eine Gitarre übergeht, die vor Selbstbewusstsein nur so strotzt. Selbstbewusstsein im Sinne einer völligen Kenntnis über den eigenen musikalischen Weg - das wussten schon ganz andere - ist der Schlüssel im Übergang vom musischen Handwerker zum Künstler. "Space Heavy" ist der Punkt in der Karriere von King Krule, in dem er diesen Schritt vollzieht.

Archy Marshall war schon zuvor ein toller Musiker, alle seine vier Alben sind immer noch eine Wonne. Sie umgab jedoch die Aura des nicht ganz Vollendeten, denn zu oft bog der Londoner im falschen Moment in die falsche Richtung ab. Gerade bei "Man Alive!" hatte man nicht immer den Eindruck, dass der Sänger Krule, der Gitarrist Krule und der Songschreiber Krule stets auf einer Wellenlänge sind.

"Space Heavy" ist dagegen – niemals langweiliger, aber zumindest im Ambiente doch großteils homogener - Westerngrunge fürs 21. Jahrhundert. Würden Kyuss 2023 den OST für "Cowboy Bebop" machen und dazu Jamie T einladen, während Robert Pollard im Zimmer darüber jammt, käme vielleicht ungefähr das heraus, was King Krule hier windschief und trotzdem stets passgenau fabriziert.

Wir sind übrigens immer noch bei "Flimsier", das sich dank Krules Gitarre öffnet wie eine wunderschöne Muschel allein in der Wüste, karg und majestätisch. "Pink Shell" ist hasserfüllter Indie-Industrial, der zeigt, dass sich Archy als Musiker gefunden hat, dadurch sich selbst gegenüber aber keinesfalls liebevoller geworden wäre. Der repetitive, über den Song hinweg immer dröhnendere Bass packt über die nur zwei Minuten an den Haaren, bis mit "Seaforth" unvermittelt eine verträumte Nummer hereinweht, die an Steve Lacy erinnert. Man muss betonen, mit welcher Souveränität Krule einen so komplexen und gleichzeitig eingängigen Song wie "Seaforth" aufzieht.

Die Liebeselegie "That Is My Life, That Is Yours" nimmt in der Mitte eine völlig unvorbereitete Abfahrt mit einem wahnwitzig guten Saxofon, davor und danach ist ein toller, trauriger, moderner Slacker-Popsong zu hören. "Empty Stomach Space Cadet" betreibt Marshall mühelos auf zwei Minuten Gravitas ohne Ende, an allen Ecken strahlt Düsternis und eine unruhige Ernsthaftigkeit aus den Songs, ohne, dass sie sperrig wirken würden.

"Hamburgerphobia" treibt die Rastlosigkeit auf die Spitze, ein nervöser Zusammenbruch von einem Song, mit lauerndem Saxofon im Nacken. Wer sich vom düsteren Ambiente der Platte so täuschen lässt, dass er das Album für langsam hält, der hat nicht richtig zugehört. "Space Heavy" haut einem en passant richtig in die Fresse, ist gleichzeitig quasi durchgehend tanzbar und geeignet, um ein K-Hole mit Decke über dem Kopf zu überstehen.

Dazu trägt auch der Auftritt der an sich schon empfehlenswerten Raveena bei, die die Stimmung auf "Seagirl" genau richtig einschätzt. Den beiden gelingt ein bemerkenswertes Kleinod, zerbrechlich und doch voller Spannung. Auch auf diesem Track hört man gut: In der exzellenten Band Krules sticht Bassist James Wilson noch einmal hervor. Thundercat wird seine Freude an der Scheibe haben.

Allerdings: Der Höhepunkt steht noch aus. "Our Vacuum" saugt einen förmlich ein: Der Song, den Frank Black seit geraumer Zeit schreiben will. Wie gering die Mittel sind, mit denen Krule Intensität erzeugt, ist schlicht großartig. Der Song fühlt sich so genau richtig an, anders als noch auf den Vorgängeralben wirken seine Entscheidungen nie stilistisch motiviert, sondern immer unbedingt notwendig.

Dasselbe gilt für den Grunge-Ausbruch im Titeltrack, das artsy "When Vanishing" sowie das zittrige Betteln von "If Only It Was Warmth". Wie gut diese Platte ist, fällt erst so richtig angesichts der Indie-Songs "Tortoise Of Independency" und "From The Swamp" auf, die man nur als sehr gut bezeichnen kann - quasi die Schwachstellen auf einem durchgehend grandiosen Werks.

Die "Space Heavy"-Texte sind ganz hervorragend gelungen, wiederholte Schläge in die Magengrube, die sich in Sachen Relationship-Angst vor "Songs Of Love And Hate" oder "No More Shall We Part" nicht verstecken müssen. "She said 'It seems like these days merge as one' / Oh, I tried to change them to better ones" beginnt der traurige Reigen auf "Flimsier", dazu gesellt sich die dystopische, feuerverzehrte, urbane Landschaft im Liverpooler Vorort "Seaforth". Man darf sich dabei nicht ablenken lassen von den Gruselbildern, die Krule gerne hervorruft. Das beherrschende Thema ist unerfüllte Sehnsucht und die daraus resultierende Unsicherheit.

Für diese - siehe "Strokes the silent sof t/ It's been a while since her days have been/ And in the cavernous sheets / She feeds a tortoise of independency" auf "Tortoise Of Independency" - kennt Krule die Schuldige ganz genau. In seiner Verzweiflung kommt er gar um die Deifizierung der Partnerin in "Empty Stomach Space Cadet" nicht herum: Denn er ist es, der stirbt, er bleibt zurück. Oder wie heißt es in "Hamburgerphobia": "She kicked me out the car / To heavy traffic in my brain". Auf "If Only It Was Warmth" schreit es der Titel schon heraus, was Krule vorenthalten wird.

Der völlig zwecklose, man betrachte "I need a train / I need more time" ("Our Vacuum") oder "I sink in full armor / The lake is oil of misery"("Space Heavy"), noch mal auf Spanisch wiederholt in "When Vanishing", Selbstermächtigungskampf von "If you think I'm letting you wade on through" ("From The Swamp") ist da fast schon kümmerlich. So ungenügend sind Krules Möglichkeiten und Mittel, aus seinem Leid zu entkommen. Das Kind, das traurig im Zug zwischen London und Liverpool sitzt, ist ein vollendetes, bitteres Genie.

Trackliste

  1. 1. Flimsier
  2. 2. Pink Shell
  3. 3. Seaforth
  4. 4. That Is My Life, That Is Yours
  5. 5. Tortoise Of Independency
  6. 6. Empty Stomach Space Cadet
  7. 7. Flimsy
  8. 8. Hamburgerphobia
  9. 9. From The Swamp
  10. 10. Seagirl
  11. 11. Our Vacuum
  12. 12. Space Heavy
  13. 13. When Vanishing
  14. 14. If Only It Was Warmth
  15. 15. Wednesday Overcast

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2 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor 10 Monaten

    Oh naise. Nicht auf dem Schirm gehabt, aber wird selbstredend ausgecheckt.

    • Vor 10 Monaten

      Naise und auf dem Schirm gehabt, weil halt King Krule. Dennoch bin ich gespannt - die 5 Sterne muss man sich erst einmal verdienen ( ... es sei denn, man ist die geile Band aus Nijmengen, zu finden als nächste Rezension. Die laufen außer Konkurrenz ...)

  • Vor 10 Monaten

    Krule klingt irgendwie immer etwas needy für mich. Schwer zu beschreiben. Aber hab oft das Gefühl, er versucht ne Idee zu verzweifelt, quirky und weird zu sein - was halt nicht klappt, wenn man es so hart versucht. Und: seine ewig gleiche, gezwungen monoton krächzende Off-Key-Singsang-Intonation ist gefundenes Fressen für jede Verarsche.

    Aber aktiv hassen kann man ihn und seine Hörer schlecht.