9. Juni 2022

"Ich hab mich bei den Hosen bestens amüsiert"

Interview geführt von

Auf ihrem 15. Studioalbum beweisen Kreator erneut ihre Extra-Klasse. Frontmann Mille Petrozza ist derzeit auf vielen Magazin-Titelseiten zu sehen.

Der Bandleader ist aber auch abseits der Heavy Metal-Kultur ein beliebter Interviewpartner. laut.de traf Mille Petrozza in einem Café in Berlin-Kreuzberg ganz in der Nähe seiner Wohnung. Der gebürtige Essener pendelt schon seit Jahren zwischen der Revier-Metropole und Deutschlands Hauptstadt hin und her. Das aktuelle Werk "Hate Über Alles" veröffentlichte die Band wegen der Pandemie über ein Jahr später als geplant. Inhaltlich geht es in dem Titelsong über die Diskurs-Verrohung vor allem im Internet. Mille verrät darüber hinaus das Erfolgsgeheimnis seiner Band und warum er keine Kreator-Platten zu Hause im Schrank stehen hat.

Hi Mille, du bist derzeit omnipräsent in den Musikmedien. Dein Gesicht war vor kurzem auf der Titelseite des Deaf Forever und des Ox-Magazins zu sehen. Aktuell sind Kreator Titelthema im Rock Hard und dem Metal Hammer. Was löst das bei dir aus?

Ich finde es super, dass dies passiert und das Interesse an der Band nach wie vor groß ist. Was löst das bei mir aus? Einen Ego-Boost bringt mir das jetzt nicht. Ich kann das schwer beschreiben. Nett, cool? Ich versuche immer auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben. Das sind ja 'nur' Metalmagazine, auf denen ich erscheine.

Naja, für andere Bands wäre es der Hammer, auf der Titelseite vom Rockhard oder vom Deaf Forever zu erscheinen.

Ja natürlich, ich weiß. Das hängt glaube ich damit zusammen, dass wir kontinuierlich Platten veröffentlichen, die die Leute interessieren. Mittlerweile sind wir in einem Alter, wo das honoriert wird, dass wir immer noch dabei sind. Ich glaube, wir haben da ein gutes Händchen, weil wir nicht alle fünf Minuten ein neues Album herausbringen. Ich weiß, was wir als Band geleistet haben. Das soll sich jetzt nicht reißerisch anhören: Ich glaube, wir blasen viele Band von der Bühne und wir werden auch oft von der Bühne geblasen. Ich sehe das sportlich.

Von welcher Band seid ihr zuletzt von der Bühne geblasen worden?

Gute Frage, daran kann ich mich kaum erinnern (lacht). Das muss sehr lange her sein. Spaß beiseite, du weißt, was ich meine. Für mich ist es wichtig, ein Teil der Metalszene zu sein, und dass es bei vielen Leuten noch cool ist, Kreator zu hören. Das ist nach so vielen Jahren nicht selbstverständlich. Ich war gestern bei den Toten Hosen. Da ist es ähnlich, auch wenn das auf einer ganz anderen Ebene abläuft. Die haben teilweise so ein schlagerhaftes, kommerzielles Publikum mit Oberlippenbärten und so. Sogar Angela Merkel hört die, glaube ich. Gestern im Astra (Konzerthalle in Berlin, Anm. d. Red.) waren aber nur die Die hard-Fans da, die die Hosen seit Anfang an begleiten. Auf so etwas können wir auch zurückgreifen. Wir haben Leute, die uns seit unseren Anfangstagen kennen und die immer noch zu unseren Konzerten kommen. Man kann über die Hosen sagen, was man will: Ich mag die Band immer noch und ich habe mich auf dem Konzert bestens amüsiert.

Auch das Feuilleton hat dich für sich entdeckt. Das erinnert mich ein bisschen an Lemmy, der plötzlich von der Süddeutschen Zeitung interviewt wurde und in der Harald Schmidt-Show und bei Markus Lanz zu Gast war. Woran liegt das deiner Meinung nach?

(Überlegt länger) Pass auf, diese Metalwelt ist sehr speziell. Das ist eine Gemeinschaft von Leuten, die das gleiche für die Musik fühlen. Wenn sie einmal dabei sind, sind sie es meist bis zum Ende. Das ist das Metal-Universum. Und dann gibt es die Leute von außen, die früher mal Metal gehört haben, sich daran erinnern und einzelne Songs rauspicken. Viele von den Feuilleton-Journalisten sind alte Metalheads.

Die wissen immerhin, wovon sie schreiben. Ich habe mich oft darüber geärgert, wenn in der Berichterstattung der Mainstream-Medien dieser arrogante, despektierliche Unterton geherrscht hat.

Das war früher so bei uns. Da haben Leute von draußen draufgeschaut und uns belächelt. Die wollten das Phänomen Heavy Metal auseinandernehmen. Mittlerweile ist das aber gar nicht mehr so.

Lästern alte Weggefährte über dich, weil du aus ihrer Sicht abgehoben erscheinst und mit den Intellektuellen Weinchen trinkst.

(Lacht). Auf so was möchte ich mich gar nicht einlassen. Diese Leute gibt es bestimmt, die sollen sich weiter ihr Maul zerreißen. Wenn sie sonst nichts zu sagen haben. Mit meinen Leuten aus Essen habe ich nach wie vor einen guten Kontakt. Da sagt mir keiner so etwas, zumindest nicht ins Gesicht.

"Ich versuche so minimalistisch wie möglich zu leben"

Kommen wir mal zu eurer neuen Scheibe "Hate Über Alles". Als meine Frau das Cover auf der Rückseite eines Metalmagazins gesehen hat, hat sie die Seite rausgerissen und ...

... gleich aufgehängt, oder wie?

Nein, sie findet das Cover schrecklich und viel zu gewalttätig. Müssen Metalcover immer brutal aussehen?

Wir haben alles schon ausprobiert. Bei den Coverartworks unser Alben in den 1990er Jahren haben wir versucht, das Brutale rauszunehmen und künstlerischer zu werden, oder wie man das auch immer ausdrücken soll. Die Alben "Outcast", "Endorama" und auch "Renewal" waren überhaupt nicht brutal. Generell mag ich einfach diesen Horror-Kram, ich finde das super. Wenn ich an einem Kino vorbeigehen würde und da hängt ein Plakat, das so cool aussieht wie das Cover von "Hate Über Alles", dann möchte ich sofort in den Film reingehen. Das ist meine Intention: Wenn ich ein Cover in Auftrag gebe, möchte ich, dass die Leute Bock auf das Album bekommen und sich darauf freuen in der Hoffnung, dass die Musik genauso geil ist wie das Cover. Außerdem gehört das Cover zum Gesamtkunstwerk eines Albums dazu. Ich denke immer noch in Kategorien von Vinyl-Ausgaben, obwohl sich viele Leute, die Alben nur noch streamen.

Wer hat das Cover gemalt?

Eliran Kantor, der kommt aus Berlin und ist auch ein alter Metaltyp. Der hat schon Cover für Hatebreed oder Testament gemalt. Eliran mochte unsere ganz alten Cover von "Pleasure To Kill" oder "Endless Pain". An denen hat er sich orientiert. Was mich dazu gebracht hat, mit Eliran zu arbeiten, ist das Cover des aktuellen Helloween-Albums [Album erschien 18. Juni 2021, Anm. d. Red.]. Das finde ich großartig. Das ist sehr liebevoll gestaltet. Da hat er die alten, bekannten Motive von Helloween auf ein Cover gebracht. So ähnlich hat er das bei uns auch gemacht. Damit war ich sehr zufrieden. Das Cover ist so geworden, wie ich es mir vorgestellt habe.

Hängst du dir eure Covergemälde eigentlich an die Wand?

Ich bin da ein bisschen komisch. Von Kreator habe ich eigentlich gar nichts zu Hause rumstehen. In meinem Zuhause in Essen habe ich nur ein Kreator-Skateboard. Ich habe auch unsere Platten nicht bei mir. Ich verschenke die meisten Sachen. Ich bin generell kein Sammler, ich habe auch nichts von anderen Bands. Ein Freund von mir hat einen Plattenladen in Essen. Der ist mal zu mir nach Hause gekommen und hat viele Raritäten unter anderem von NWOBH-Bands mitgenommen. Das hört sich jetzt vielleicht abgehoben an. Ich versuche aber so minimalistisch wie möglich zu leben. Ich brauche nicht viel und ich möchte auch nicht viel um mich herumhaben. Ich mag es nicht, wenn Räume vollgestellt sind.

Dann hörst du Musik wahrscheinlich gar nicht auf Vinyl oder CD, wie es eigentlich die meisten Heavymetal-Fans tun?

Da bin ich ganz ehrlich. Ich höre Musik auf dem Handy oder ich habe Apple-Music. Ich kaufe mir die Alben auch. Spotify finde ich nicht gut, das wertet das Ganze ab, der Künstler soll an seiner Musik verdienen.

Als ich euer neues Album "Hate Über Alles" zum allersten Mal gehört habe, dachte ich mir: Ein sehr gutes Album, das allerdings sehr in Richtung seiner beiden Vorgänger "Gods Of Violence" und "Phantom Antichrist" geht. Als ich diese beiden Alben noch mal genauer angehört habe, stellte ich indes fest, dass "Hate Über Alles" viel weniger bombastisch und wesentlich kompakter ausgefallen ist als die Vorgängeralben. War das beabsichtigt, oder hat sich das beim Schreiben des Albums einfach so ergeben?

Wenn man in der kreativen Phase steckt, muss man Impulse setzen und sich überlegen, wie man die Hörer noch überraschen kann. Da gibt es im Metal gar nicht so viele Möglichkeiten. Wir haben die neue Platte relativ direkt eingespielt. Anstatt manche Passagen mit Streichern zu unterlegen oder so was, haben wir lieber mit Sounddesigns gearbeitet. Unser Produzent Arthur Rizk mag das total gern, so hat er schon Ghostemane produziert. Wir wollten lieber mit ein paar Special-Effekts und düsteren Harmonie arbeiten als mit orchestralen Elementen. Wir haben zum Beispiel auch von jedem Song mehrere Versionen gehabt. Wir haben uns dann auf eine fürs Studio geeinigt. Als wir die dann gehört haben, haben wir doch die Demoversion genommen. Durch die Pandemie hatten wir viel Zeit und haben die Dinge vielleicht ein bisschen verschlimmbessert. Letztendlich sind wir wieder zurück zum Alten gegangen. Das Album war ja schon länger fertig, wir wollten es eigentlich bereits im vergangenen Sommer veröffentlichen und dann auf Tour gehen. Das hat leider alles nicht geklappt.

"Ich habe noch nie gesehen, dass ein Krieg mit Waffenlieferungen beendet wurde"

Stimmt es eigentlich, dass dir Michael Amott von Arch Enemy den Produzenten empfohlen hat?

Ja, das ist richtig. Ich kannte ihn von seiner Arbeit mit Cavalera Conspiracy und Powertrip, die mir sehr gut gefallen hat. Dann habe ich noch ein bisschen geforscht und herausgefunden, dass er in noch viel mehr Projekten seine Finger drin hatte. Der hat sogar bei Turnstile mitgespielt. Arthur ist ein sehr vielseitiger Musiker und Produzent. Wenn es um Musik geht, sind wir beide total auf einer Wellenlänge. Er ist sehr offen. Das haben wir gemeinsam, dass wir uns für verschiedene Arten von Musik interessieren.

Ihr habt auch wieder deutlich Anleihen bei den Klassikern Iron Maiden und Judas Priest genommen. Bei "Conquer And Destroy" hört man zum Einstieg deutlich Maidens "Ghost Of The Navigator" raus. Und "Become Immortal" weist ein typisches Priest-Riff auf. Ist das absichtlich passiert?

Nein, ich bin mit all diesen Bands aufgewachsen, das ist irgendwo noch in mir drin.

Im Song "Hate Über Alles" singst du die Zeile: "Hate is the virus of this world." Kam dir die Idee dazu vor oder während der Pandemie?

Bis ich diesen Slogan hatte, hat es unheimlich lang gedauert. Der Song hatte zuvor schon fünf verschiedene Versionen und Titel, bis mir endlich Anfang 2021 die Idee mit "Hate Über Alles" kam. Ich wollte unbedingt einen Titel haben, der unglaublich knallt. Das sollte ein Titel im Stil von "Enemy Of God", "Extreme Aggression" oder "Phantom Antichrist" sein. Die Idee mit dem Virus kam mir vor der Pandemie. Ich schreibe nicht so gerne Texte in einem bestimmten Zeitkontext. Gefühlt ist die Pandemie für mich vorbei, warum soll ich dann noch über sie singen. Ich möchte lieber zeitlose Lieder haben, die man noch in zehn Jahren hören kann. Zum Beispiel war "Enemy Of God" eigentlich von diesem 9/11-Ding beeinflusst. Doch das ist egal, heute ist es immer noch ein geiles Lied. Das kann man immer noch hören, ohne direkt an den 9. September zu denken. Den Satz "Hate is the virus of this world" kann man natürlich mit der Pandemie in Zusammenhang bringen. Man kann aber auch in fünf Jahren, wenn hoffentlich keiner mehr an die Pandemie denkt, diesen Satz ausdrucksstark finden.

Ähnlich gespalten wie in der Corona-Pandemie scheint die Gesellschaft auch in der Frage zu sein, ob man immer mehr Waffen in die Ukraine schicken oder den diplomatischen Weg zur Beendigung des Krieges wählen sollte.

Wir haben Politiker gewählt, die das regeln sollen. Keine Ahnung, ob das mit Waffengewalt geschehen sollte. Eigentlich bin ich gegen Waffengewalt. Ich habe noch nie gesehen, dass ein Krieg mit Waffenlieferungen beendet wurde.

Die Aussage wird im Netz bestimmt von einigen Leuten zerrissen. Zur Verrohung der Diskurskultur gehört es auch, dass Prominente sich oft nicht mehr trauen, bestimmte Dinge anzusprechen, weil sie Angst vor einem Shitstorm haben. Du hast mal vor ein paar Jahren zur Zeit der Wahl des US-Präsidenten Barack Obama im laut.de-Interview gesagt: "Obama ist auch nur eine Marionette der Industrie." Würdest du das heute auch noch so sagen?

Habe ich das wirklich so gesagt? Es ist oft so, dass ich in Interviews etwas sage, weil ich die Vorstellung davon habe, dass es so sein könnte. Das heißt aber noch lange nicht, dass es die Wahrheit ist. Wenn ich das damals dachte, meinte ich es wahrscheinlich auch so. Dass Politik und wirtschaftliche Interessen Hand in Hand gehen, ist allerdings kein Geheimnis. Es weiß auch jeder, dass an allen Ecken und Enden Lobbyismus betrieben wird, der sich ein bisschen mit Politik auseinandersetzt.

Ich weiß, dass du nicht so gerne deine Texte erklären möchtest. Auf "Become Immortal" würde ich aber gerne näher eingehen. Da singst du "1984, I hate the sun". Was möchtest du damit ausdrücken?

Ich war damals ein angry Teenager. Ich habe versucht, mich in mein 15- oder 16-jähriges Ich hineinzuversetzen. Ich war damals sehr misanthrop unterwegs, was die Aussage mit der Sonne unterstreicht.

Was hat es mit der Unsterblichkeit auf sich?

Das soll bedeuten, dass man sich vielleicht ein Stück weit unsterblich machen kann, solange sich die Leute an einen erinnern. Ab einem gewissen Alter kann man das vielleicht mit Musik erreichen, wenn die einen bestimmten Einfluss auf die Leute hatte.

Du hast dich mit dem Mille von früher für "Become Immortal" auseinandergesetzt. Was hat der Mille von heute noch von dem Teenager Mille?

Wenn man Metal macht, ist ein Teil von dir immer noch 17, auch wenn du es schon lange nicht mehr bist. Mit der Musik kannst du dieses Gefühl aber ausleben. Man kann seine Phantasie anregen, und Altes neu erschaffen. Ich mag es immer noch, Metal zu machen und freue mich darüber, wenn sich die Leute darüber freuen.

Früher hieß es immer, wenn du älter wirst, hört die Leidenschaft für Metal auf und du wirst vernünftig.

Genau, und du wartest immer noch darauf. Neulich habe ich den Satz gehört: "Früher habe ich Metal gehört." Und was ist jetzt, warum jetzt nicht mehr? Klar hat man Phasen, ich habe auch mal weniger Metal gehört und mich anderen Musikrichtungen geöffnet. Heavy Metal ist aber die erste Liebe, und ich gehe immer wieder dahin zurück. Mit anderen Musikrichtungen empfinde ich das in dieser Form nicht so. Klar, ich habe einen Faible für Sachen wie Daft Punk, letztendlich kann man das mit Metal aber nicht vergleichen. Der Partyfaktor war mir nie so wichtig, obwohl ich alles mitgemacht habe. Für mich stand aber immer die Musik im Mittelpunkt.

Du hast nie eine Ausbildung abgeschlossen, oder?

Ich war auf der Handelsschule, habe die aber nicht beendet, weil ich mit Kreator auf Tour war.

Hattest du nie Sorge, dass es mit der Musik nichts werden könnte?

Nein, wir haben alle so ein Glück: In Deutschland kann dir nicht viel passieren, wir haben es hier echt ganz gut. Wir fallen hier nicht so tief, wie das in anderen Ländern der Fall sein kann. Ich hatte natürlich auch extremes Glück, dass sich die Leute immer für meine Musik interessiert haben. Das ist nicht selbstverständlich. Ich kenne sehr viele Leute, die in einem Keller sitzen und für die sich niemand interessiert, obwohl sie sehr gute Musik machen.

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