16. Januar 2009

"Uns ist jedes Mittel recht!"

Interview geführt von

Um das neue Album "Hordes Of Chaos" der Presse zu präsentieren, erfüllt das Label dem Kreator-Frontmann Mille einen kleinen Traum und lädt die Redakteure nach Essen in die Lichtburg ein.In einem der unteren Kinos wird die Scheibe über die Kinoanlage in den Saal gefeuert, und man kann nur hoffen, dass nebenan nicht gerade irgendeine Liebesschnulze läuft. Die dürfte mit dieser Beschallung nicht sehr romantisch ausfallen.

Nachdem im Separé nach der Vorführung ein paar Snacks und Getränke auf die Journaille warten, hat Mille auch Zeit für ein paar Fragen.

Mann, das war ja gerade ein echtes Erlebnis da unten in dem Kinosaal. Mein erster Eindruck sieht so aus, dass die Scheibe etwas weniger Wert auf Melodien legt, dafür aber ganz schon heftig ist.

Ja, findest du? Also ich denke eigentlich, dass es eine recht logische Weiterführung von "Enemy Of God" ist, ohne dass wir uns dabei wiederholen. Hauptaugenmerk dabei war, dass die Songs frisch klingen. Ob jetzt mehr oder weniger Melodien dabei sind, kann ich so nicht beurteilen, weil ich das Album ja doch schon ein wenig öfters gehört habe als du. Prinzipiell würde ich sagen, dass der Anteil in etwa gleich ist wie beim Vorgänger, aber durch den raueren Aspekt fällt das vielleicht nicht so auf. Es sind schon sehr viele Melodien vorhanden.

Das auf jeden Fall, gerade der Opener und der letzte Song beginnen ja mit melodischen Parts, die man fast schon dem klassischen Metal zuordnen kann.

Exakt, dann geht es aber wieder kräftig ab. "To The Afterborn" ist eigentlich so was wie die Ausnahme, die den kompletten Song über fast schon in die klassische Metalecke geht. Gegenbeispiel ist da eine Nummer wie "Warcurse", einfach purer, reiner Thrash Metal, oder "Amok Run", das vom Aufbau her sehr ungewöhnlich für uns ist. Wir haben so weit wie möglich versucht, jeden Song für sich stehen zu lassen und dadurch Abwechslung zu erzeugen. Es war uns sehr wichtig, unterschiedliche Stimmungen zu haben, damit nicht jeder Song gleich klingt.

Ziel erreicht, würde ich sagen. Allerdings habe ich einen sehr deutlichen Hardcore-Touch bei einzelnen Songs festgestellt. Vor allem was die Refrains angeht. Die hämmerst du einem ja so oft auf die Nuss, dass man es gar nicht mehr vergessen kann.

Das ist richtig (lacht). Das hat aber den einfachen Grund, dass wir eine Brücke zu den Fans haben wollen. Wir touren sehr viel, dabei ist es wichtig, Songs zu haben, die sehr schnell vom Publikum aufgenommen werden und in denen sie mitshouten können. Dazu gehört eben ein eingängiger Chorus genauso wie gute Melodien. Das ist ja schon seit längerem ein Stilmittel von Kreator und das wollen wir auch beibehalten. Ich bin mit klassischem Metal aufgewachsen, habe auf der anderen Seite aber auch immer viel Hardcore und Punk gehört. Deswegen habe ich den Vorsatz, dass die Musik von mir so hart, so extrem und so intensiv wie möglich sein muss. Dafür ist uns jedes Mittel recht (lacht).

Wir haben anlässlich der letzten Scheibe schon mal drüber geredet und ich kann's mir wieder nicht verkneifen: das Thema "Endorama". Die Scheibe liebe ich nach wie vor, aber sie steht auch nach wie vor eigentlich außerhalb von allem, was ihr sonst gemacht habt.

Richtig. "Endorama" ist immer wieder ein Thema, auf das ich angesprochen werde, und ich denke, dass es zum Zeitpunkt, als es erschien, einfach das war, was uns musikalisch wie auch textlich bewegt hat. Ich weiß ganz genau, dass es das ungewöhnlichste Kreator-Album ist, und ich weiß auch, dass es für viele Fans das Album ist, mit dem sie am wenigsten anfangen können. Auf der anderen Seite gibt es auch viele Leute, so wie du jetzt eben, die sagen, dass die Scheibe auf jeden Fall Substanz hat. Ich sehe das übrigens genauso und auch rückblickend bin ich der Meinung, dass zum Erscheinungszeitpunkt 1999 alles andere von uns unehrlich gewesen wäre. Das Ding gehört genauso zur Kreator-History wie "Pleasure To Kill".

Das Album kann aber kaum unter der Prämisse entstanden sein, so extrem wie möglich zu spielen, oder?

Naja, es war extrem in eine andere Richtung. Nicht was Härte angeht, sondern eher in Sachen Emotionen. Wir wollten aber auch nicht auf Teufel komm raus das melodischste Kreator-Album schreiben. Das hat sich einfach so ergeben. Du hast nicht die Aggression wie auf "Enemy Of God" oder "Hordes Of Chaos", aber es ist eine andere Art von intensiven Emotionen, aber die sind auf "Endorama" eben nicht vorwiegend Wut und Aggression.

"Du kannst mit Konsumverhalten ein klares Statement abgeben"

Wie dem auch sei, diese Emotionen waren damals ja wohl in dir, und man fragt sich, was mit denen passiert ist. Phasenweise tauchen die nach wie vor auf, aber lange nicht mehr in dem Umfang wie auf "Endorama".

Klar sind die Emotionen noch da, und ich denke schon, dass man die immer noch bei Kreator findet. Aber wie du schon sagst, es ist nicht mehr in dem Umfang. Wenn ich noch mal was in der Art machen würde, dann nicht unter dem Kreator-Banner, sondern als Nebenprojekt. Das sind einfach zwei verschiedene Paar Schuhe. "Endorama" ist ja selbst für mich ein verdammt ungewöhnliches Kreator-Album. Die Scheibe ist ganz was Eigenes. Das würde ich von "Enemy Of God" und "Hordes Of Chaos" zwar auch behaupten, allerdings haben die doch mehr mit "Extreme Aggression" oder "Coma Of Souls" gemein, als "Endorama". Um wirklich wieder was komplett in diese Richtung zu machen, würde ich auf ein Nebenprojekt ausweichen. Allerdings sehe ich dazu momentan überhaupt keine Notwendigkeit, denn ich kann diese Sachen ja durchaus auch weiterhin bei Kreator einbauen. Nur mache ich das inzwischen nicht mehr so offensichtlich und ausgiebig.

Auf "Endorama" hat ja Thilo Wolff von Lacrimosa einen Song mit dir eingesungen. Seitdem lief mit Kooperationen aber nicht mehr viel.

Stimmt, aber es gibt zwei Bonussongs für das aktuelle Album mit Gastsängern. Mehr möchte ich dazu aber noch nicht verraten. Außerdem werde ich demnächst wohl einen Song mit Ektomorf machen. Ich bekomme echt tonnenweise Anfragen, aber zum einen fehlt mir dazu meist die Zeit und zum anderen will ich mich da auch nicht überpräsentieren. Ich hatte ursprünglich geplant, für die neue Scheibe was mit Carl McCoy (Fields Of The Nephilim, d.Verf.) zu machen, aber irgendwie klappt das nie, weil Carl verdammt schwer zu erreichen ist. Wir haben zusammen mal auf einem Festival gespielt und uns dabei angefreundet. Ich schätze ihn als Musiker und Künstler sehr, aber irgendwie kommen wir auf Platte nicht zusammen. Vielleicht passiert das ja dann mal im nächsten Leben (lacht).

Allerdings bist du zuletzt immer wieder auf diversen DVDs aufgetaucht. Sozusagen als Zeitzeuge, um irgendwas über ein bestimmte Band abzulassen, wie z.B. Paradise Lost.

Ach ja, da war was (lacht). Na was soll ich sagen? Ich mag die Jungs von Paradise Lost sehr gern, das sind gute Freunde von mir. Ich mag auch ihre Musik, und wenn mich jemand was dazu fragt, dann kann ich nur Gutes berichten. Das sind alles gute Musiker, sie haben tolle Alben gemacht und werden meiner Meinung nach von einigen Leuten ganz schön unterschätzt. Auch was den Humor der Jungs angeht. Da meinen viele immer, dass das irgendwelche Trantüten seien, aber mit denen kann man jede Menge Spaß haben. Die labern nur Scheiß. Als wir mit ihnen auf Tour waren, haben wir uns den ganzen Tag kaputt gelacht. Das mag ich so an der Band. Live sind sie das totale Gegenteil von dem, was sie privat sind. Das ist ein wenig schizophren, aber genau das mag ich (grinst).

Was ich an dir immer sehr geschätzt habe, ist die Tatsache, dass man dich meist nicht nur als Musiker wahrgenommen hat, sondern auch als durchaus politisch-interessierten Menschen. Vor allem als einer, der sich auch seine eigenen Gedanken macht und nicht nur was nachlabert.

Danke, allerdings wundere ich mich manchmal, woher das kommt (lacht). Klar, ich interessiere mich für Politik, aber doch eher auf einer privaten Ebene. Ich bin auch niemand, der sich wirklich in die Materie einarbeitet und alles analysiert. Das ist bei mir eher so ein menschliches Ding. Meiner Meinung nach entspricht das, was uns als Politik verkauft wird in keiner Weise der Realität. Wir werden durch die Medien mit einer Art Propaganda-Paket versorgt, was uns so weit wie möglich beruhigen und davon abhalten soll, selbstständig zu denken. Das hat aber nur bedingt was mit politischem Interesse zu tun, sondern eher mit logischem Denken und das findet für mich persönlich eben auf einer menschlichen Ebene statt. Politik ist für mich leider weitgehend unmenschlich.

Ich sehe uns auch nicht als politische Band. Klar, wir äußern uns zu bestimmten Themen, die in der Politik eine Rolle spielen, aber wir würden uns nie so vor einen Karren spannen lassen, wie es die Ton Steine Scherben für die SPD gemacht haben. Ich fühl mich da keiner Partei zugehörig und bin auch nicht so in der Materie drin, dass ich sagen könnte, was Politiker XY letzte Woche zu einem bestimmten Thema gesagt hat. Was ich aber von der Politik mitbekomme, verarbeite ich eben oftmals in meinen Texten und das ist meistens nicht schön. Als politische Band möchte ich Kreator aber nicht bezeichnen. Das hat immer so einen oberlehrerhaften Charakter. Dabei weiß ich auch nicht mehr als du oder der da hinten. Ich beschäftige mich damit auf einer Ebene, die meiner Meinung nach relativ gesund ist, und ich schildere die Sachen, wie ich sie sehe.

Es geht um Denkanstöße. Ich finde es immer dämlich, wenn die Leute sagen: 'Wir können ja eh nichts ändern. Die da oben machen doch, was sie wollen!' Das ist natürlich sehr einfach und bequem. Klar kannst du als Einzelner keine großen Umbrüche starten, aber du kannst schon im Kleinen für dich durch dein Konsumverhalten ein klares Statement abgeben. Da gibt es schon Möglichkeiten. Das muss aber jeder für sich selber herausfinden und entscheiden. Ich kann nur Anreize geben, genau wie das Youth Of Today oder Shelter früher bei mir getan haben.

"Auch Barack Obama ist nur eine Marionette der Industrie"

Das war nun aber doch mehr, als nur an der Oberfläche zu kratzen. Und da ja gerade erst Präsidentschaftswahlen in den USA waren: Kannst du dich eigentlich an eine Zeit erinnern, in der du nicht nur das Gefühl hattest, das kleinere von zwei Übeln zu wählen?

Hahaha, gute Frage. Dem begegne ich ganz einfach damit, dass ich Ausgleichswähler bin. Ich wähl meistens extrem links, einfach um so ein bisschen den Ausgleich zu schaffen, zum den zunehmenden Rechtswählern. Keine Frage, die linken Politiker erzählen genauso viel Blödsinn wie alle anderen auch, aber mir erscheint es immer noch als sinnvolle Alternative zum Mainstream. Ich stamme aus einem Arbeiterviertel, in dem früher wirklich jeder SPD gewählt hat. Die Zeiten sind aber längst vorbei, und es gibt für mich persönlich da kaum eine Alternative außer extrem zu wählen, und das ist in dem Fall eben die Linke. Aber genau wie du sagst, ist das wirklich nur das kleinere von zwei Übeln.

Aber sag mir mal eine Partei, die du mit vollem Herzen vertreten kannst, die Profil hat und zu ihren Worten steht? Das findest du nicht mehr. Bei Obama und McCain war der Kurs ja letztendlich auch nicht mehr so unterschiedlich, auch wenn ich persönlich deutlich mehr zu Obama tendiere, allein von der Sympathie her. Das ist schon eine neue Chance für die USA, allein schon wegen der Hautfarbe. Ich wünsche mir, dass der Mann was bewegt, aber letztendlich mache ich mir auch nichts vor und weiß, dass auch ein Barack Obama nur eine Marionette der Industrie ist.

Man muss doch nur die Tatsache betrachten, dass Obama den längsten und teuersten Werbespot der Fernsehgeschichte hat drehen lassen. Und in diesem weist er dann auf die Verarmung der Unter- und Mittelschicht hin. Klingt für mich ein wenig scheinheilig.

Ist schon richtig. Vor allem wirft das wieder ein bezeichnendes Licht auf die US-Bevölkerung, die vermutlich denjenigen mit der längeren Sendezeit wählt. Aber ein Land, in dem ein Arnold Schwarzenegger einen ganzen Bundesstaat regiert, kann ich auf der politischen Ebene eh nicht wirklich ernst nehmen.

Na, in Sachen Umweltpolitik finde ich einige Ansätze von Schwarzenegger gar nicht schlecht.

Ja? Fandest du es auch nicht schlecht, als er diesen Typen hat hinrichten lassen, der aus der Todeszelle raus Bücher geschrieben hat, in denen er Kinder davon abhalten wollte, auf die schiefe Bahn zu geraten? Den hätte Schwarzenegger mit einer einzigen Unterschrift begnadigen können, aber das hat er nicht getan. Gerade solche Typen haben doch die beste Credibility, um Kids davon abzuhalten, die gleiche Scheiße zu bauen, wie sie selbst. Und vor allem, wenn jemand derart bewiesen hat, dass ein Umdenken bei ihm eingesetzt hat und er seine Vergangenheit bereut, gehört so jemand meiner Meinung nach nicht hingerichtet. Arnold war da anderer Meinung und deswegen hat sich die Stadt Linz auch dagegen entschieden, das Stadion nach ihm zu benennen. Vollkommen zurecht, wie ich finde! Meiner Meinung nach sollten Schauspieler nicht in die Politik gehen.

Ronald Reagan haben sie sogar zum Präsidenten gemacht.

Merkste was? Die USA halt … aber hier fangen sie ja auch schon an. Da haben sie doch diesen Tatort-Kommissar, der jetzt bei den Linken mitmischt. Ich finde das sehr seltsam, sage aber auch gleichzeitig, dass ich nicht genug Ahnung habe, um das fundiert beurteilen zu können. Mein Gefühl sagt mir jedenfalls, dass das kein Geniestreich ist. Aber im Endeffekt weiß ich nicht mehr als du. Ich bekomme die gleichen Informationen wie die meisten anderen auch und muss eben das draus machen, was für mich Sinn ergibt.

Ich finde es zum Teil ganz schön erschreckend, was wir vorgesetzt bekommen und kann daran auch nur im Kleinen und für mich was ändern. Ich will nur vermeiden, dass ich von der Öffentlichkeit als eine Art Prediger aufgenommen werde. Das wurde mir vor allem im Internet immer wieder unterstellt. Viele sind der Meinung, dass Metal und Politik nichts mit einander zu tun haben. Das finde ich nicht! Ich denke, man kann beides miteinander verbinden, man kann auf jeden Fall seine Meinung vertreten, und exakt das werde ich auch weiterhin tun. Wenn ich irgendwelche Fans damit vor den Kopf stoße, dann ist Kreator vielleicht die falsche Band für die. Aber noch mal in aller Deutlichkeit: Ich hab die Weisheit auch nicht mit Löffeln gefressen!

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