16. Mai 2011
Mitleid beim Blick in Lenas leere Augen
Interview geführt von Artur SchulzMit Titulierungen als Mainstream- und Schmusesänger geht Laith Al-Deen gelassen um - schließlich will er im absehbarer Zeit auch noch ein Metal-Album veröffentlichen ...Im Gespräch mit laut.de erläutert Laith Al-Deen seine Gedanken über Stilwechsel, die Halbwertzeit von Casting-Sängern und sein Unbehagen an der Diskussion über Sarrazins Thesen.
Hallo Laith, wie geht es dir? Hast du einen arbeitsreichen Tag, heute am Telefon?
Ja, ich bin schon richtig heißgelaufen! (Lacht ansteckend) All das zu machen, ist - wegen der langen Pause seit der letzten CD - schon ein Weilchen her. Gerade darum genieße ich es aber auch sehr!
Im Vorlauf zum neuen Album heißt es, du hättest mit den neuen Songs viel herum experimentiert. Wie sah das aus, und wie kann man sich das vorstellen?
Vorgaben gab es eigentlich keine, und ich glaube, gerade das war wohl das Problem. Gerade nach der letzten Platte "Session", die auch im eigenen Fanblock recht stark polarisierte, zweifelte ich: Wie gehts weiter? Geht es überhaupt weiter? Will ich, will ich nicht? Ich habe die Zeit Zeit sein lassen, mich mehr mit anderen Dingen beschäftigt. Begann dann langsam, in einem kleinen gemieteten Studio-Räumchen, ein wenig zu schreiben und zu produzieren. Irgendwann war es eher mein privates Umfeld, das sagte: 'das klingt doch richtig gut, klingt nach dir, aber gib doch ruhig noch ein wenig mehr Gas!'. Ich war selbst überglücklich, wie gut die Arbeit voran ging. Dann kam der Kontakt mit Kiko zustande, mit dem ich das Album zusammen produzierte. Und jetzt liegt es endlich vor!
Der Titel und der dazugehörige Song "Der Letzte Deiner Art" - wie kann das interpretiert werden?
Die Nummer hat eigentlich zwei Seiten. Die eine behandelt so eine ganz persönliche Miniatur-Alltags-Depression, die immer mal auftaucht in einem. Ich glaube, ab und zu muss das der Geist für sich beanspruchen. Auf der anderen Seite dreht es sich für mich darum, dass es immer mehr Leute gibt, die einen wesentlich größeren virtuellen Freundeskreis als einen realen besitzen, also nur wenige 'richtige' Menschen. Für mich ist das rein Technische eine Entwicklung, die ihre positiven Seiten besitzt, gar keine Frage. Aber es würde mich nicht wundern, wenn es - heute junge - Leute gibt, die dann später mit 50 bis 60 Jahren irgendwann feststellen, dass sie die ganze Zeit nur großen Illusionen hintergelaufen sind. Das sind dann Menschen, die in einer Art Einsamkeit stecken, die man heute so noch gar nicht kennt. Das basiert auf all diesen neuen Medien, ist längst da, und wird noch weiter um sich greifen. Ich finde das sehr schade.
Es liegt ein gewisser Fluch auf dieser ganzen Herrlichkeit, ständig und überall präsent sein zu können, das birgt auch die Gefahr des Verzettelns in sich. MySpace, Facebook, eigene Homepage, das will alles gepflegt und aktualisiert sein, was geht da allein für Zeit drauf ...
Richtig. ich selbst besitze z. B. auch gar kein Smartphone ...
... Ich traue mich nicht mal an Facebook ran ...
... ja, ich hatte sogar eine ganze Zeitlang Facebook, ohne davon zu wissen! (Lacht) Die Plattenfirma war damit ziemlich fix. Aber ich finde das schon schwierig, wenn da jemand anderes in deinem Namen Dinge beantwortet und so etwas. Sicher ist es ein komplett legitimes Werkzeug, gerade in professioneller, beruflicher Hinsicht. Doch es passiert oft eine Vermischung von privaten und beruflichen Angelegenheiten, die nicht immer postiv ist. Sogar in meinem Bekanntenkreis gibt es schon mal untereinander Ärger, wenn es z. B. um hochgeladene Fotos geht, die keiner autorisiert hat.
Ach, man kann sich schon selbst das Leben ganz schön schwer machen mit solchen Dingen! Auch, was die Hinterlegung von Daten angeht, etwa im Playstation-Netz. Ich habe mich da zwar angemeldet, aber eigentlich nie richtig genutzt. Es gibt dir einfach ein schlechtes Gefühl, wenn du weißt, dass da eine gewisse Machtlosigkeit im Spiel ist, was nun eigentlich tatsächlich mit persönlich hinterlegten Daten geschieht. Das kann man eigentlich nur dadurch bekämpfen, indem man gar nicht erst mitmacht. Klingt auch nach einer altmodischen Haltung, ich weiß ...
Du hast explizit erklärt, dass der Begriff 'Mainstream' für dich kein Schimpfwort bedeutet. Wie gehst du damit um, dass viele - vermeintlich höherstehende - Musiker-Kollegen und Kritiker etwa aus dem Independent-Bereich in gewisser Weise auf dich herabschauen, was das künstlerische Element angeht?
In meinem Umfeld habe ich ein paar Leute, die können sich zu Recht als Independent-Künstler bezeichnen. Sie sind vertragsfrei, verlagsfrei, kümmern sich um alles selbst, glauben an ihre eigene Musik, die genauso verträglich ist, wie die Anzahl der Leute, die gerade vor der Bühne stehen. Alle Indie-Bands, die mit ihrer Musik unfassbar bekannt werden, sind - in meiner Sicht - aus diesem Status aber eigentlich raus. Ich finde das auch nicht schlimm. Wenn du etwas machst, was vielen Leuten gefällt, gehörst du meiner Auffassung nach zum Mainstream - in einer sehr positven Art und Weise.
Weil du vielleicht trotzdem polarisierst, aber gleichzeitig eine Menge von Leuten einfach interessierst und zusammenführst. Deswegen halte diese Diskussion für müßig. Viele Leute, die mit Musik anfangen, haben das Ziel, viele Leute zu erreichen. Und einige finden das dann uncool. Das versteh' ich nicht. Es gibt ja diese absolut respektablen Musiker, die ihr Ding voll durchziehen und zufrieden sind, auch wenn da nur zehn Leute vor der Bühne stehen. Doch viele mit diesem Anspruch verfallen dann doch dem irgendwann einsetzenden Erfolg und Geld, und dann wird so eine Haltung unfassbar unehrlich.
"Ich hatte einen Flyer mit der Aufschrift 'Schmusepapst'"
Für die Seemanns-Kompilation "Captain's Club" hast du den Song "5000 Meilen Von Zuhaus" von Freddy Quinn eingespielt. Wie kamst du ausgerechnet auf Freddy?Ich habe mich sehr gefreut, mit Franz Plasa zu arbeiten, und dem ganzen anderen Musiker-Haufen. Doch zuerst habe ich verzweifelt nach einem passenden Lied für mich gesucht. Ich recherchierte wochenlang im Internet, bei all den Shantys, Seemanns-Sachen und so weiter. Dabei habe ich festgestellt: 'Alter, du bist doch eigentlich gar kein See-Typ. Du hast nie an der See gewohnt, hast mit der See nichts zu tun'. Andererseits geht es in solchen Liedern immer irgendwie um Heimweh, und dazu existieren doch auch andere Sachen als nur Maritimes. Dann entdeckte ich diese Nummer. Ich muss im Nachhinein gestehen, dass ich es sehr schade finde, Freddys Original-Sprechteil nicht mit übernommen zu haben. Der Part ist so kitschig, aber er ist gleichzeitig auch einfach großartig.
Es ist eine sehr unterhaltsame Zusammenstellung geworden, und hoffe immer noch auf einen zweiten Teil.
Wir haben wirklich viel Gas gegeben, ich glaube aber, in das ganze Projekt wurde mehr reingesteckt, als dann am Ende bei rumgekommen ist. Doch, wer weiß: vielleicht findet sich dafür dennoch mal wieder ein großes Herz!
Wie beurteilst du die heutige - sich immer schneller drehende - Spirale des sogenannten 'Star-Seins', gerade, was all diese Casting-Geschichten angeht? Sprich: diese Sterne stürzen doch schneller vom Himmel herab, als sie nach oben geschossen werden.
Es ist ein Tagesgeschäft. Es hat etwas Abgebrühtes. Was auch die Toleranz der eigentlichen Mediennutzer, sprich Zuschauer etc. beinhaltet, denen das ebenfalls von vornherein klar ist. Wenn man mit Freunden über diesen und jenen Künstler aus dem Bereich spricht, kommt immer häufiger: 'Von dem und dem hört man auch gar nichts mehr'. Zunächst wundert man sich nur, andererseits ist dieses 'man hört nichts mehr' nur ein Garant dafür, dass inzwischen jemand anderes am Start ist. Diese Halbwertzeit ist allen Beteiligtem klar, keiner rechnet mehr auch großartig damit, dass das Starsein länger andauert. Was auch mit der Fan-Treue zu tun hat. Die Fans kaufen sich vielleicht mal die erste Platte, und das wars dann. Dann wundern sie sich, dass da nichts mehr passiert. Aber ohne selbst Einsatz zu zeigen, als Anhänger, ist das nicht verwunderlich.
Es würde mich jetzt wirklich überraschen, wenn jemand bei seiner Bewerbung zu so einer Show davon ausgeht, es wäre einfach, über die Ein-Album-Hürde hinauszukommen - wenn er denn überhaupt gewinnt. Ich schätze Mike Leon Gosch, seinerzeit mal Zweitplatzierter, guter Mann, wie ich finde. Habe ihn ein paarmal live gesehen, und bei ihm verhält es sich ähnlich. Da scheiterte beim Label gleich die zweite Platte. Er hätte dennoch locker eine Tour spielen können, er hätte sicher Zuschauer da hineinbekommen, er hätte bestimmt auch weiterhin Platten verkauft, nur nicht in diesem hohen Zahlen-Segment wie zu Beginn. Doch damit war er fürs Label eigentlich schon abgeschrieben, und bei den Leuten schnell in Vergessenheit geraten. Aber wenn - bösartig gesagt - alle eine solche Vorgehensweise unterstützen, kann es auch nicht anders laufen.
In der Presse wirst du immer gern als Schmusesänger und Liebling der Frauen tituliert. Empfindest du das als schmeichelhaft?
Nun, zeig' mir mal den Mann, der das Attribut Liebling der Frauen NICHT als schmeichelhaft empfindet! Auch wenn es bei mir nicht mehr unbedingt stimmt, leider bin ich inzwischen eher Liebling der Paare. (Lacht) Vielleicht habe ich das Ganze auch selbst etwas zu sehr forciert. Als wir in der Schweiz gespielt haben, gab es einen Flyer, auf dem stand: 'Schmusepapst'. Na gut, Papst - damit kann man schließlich leben, in welcher Form auch immer. Wenn man sich ausschließlich meine Singles ansieht, acht, neun Nummern, die vornehmlich das Verliebtsein betiteln, übersieht man dabei gern den ganzen Rest.
Ich bin es überhaupt nicht müde, jedesmal von Neuem zu erklären, dass Themen wie Selbstliebe und Nächstenliebe - um die eigentliche Liebe herum - als Schlagwörter viel wichtiger sind. Vielleicht wird das Anliegen mit der neuen Platte etwas klarer, denn die klassischen Liebeslieder halten sich in Grenzen. Aber ich glaube nicht daran, dass es so funktioniert, und werde das weiterhin wie eben erklären müssen. Aber das ist für mich o.k. Ich habe festgestellt, dass der Bezug zwischen mir und Liebestexten so groß ist, dass man sich zum Teil medial sehr schwertut, mich mit anderen Dinge zu assoziieren.
"Sarrazin stellt gewagte Behauptungen auf"
Du hast in deiner Jugend ja in Blues- Heavy- und Funkbands gespielt, also alles Sachen, die man sehr mit dampfiger und erdiger Musik verbindet. Hättest du Interesse daran, mal so eine richtig schmutzige, schwitzende Platte zu machen? Schlicht: musikalisch einfach mal die Sau rauszulassen?Das wird passieren! Die Frage ist nur, wann. Ich habe zum Beispiel eine halbfertige, selbst eingespielte Metal-Platte im Gepäck. Wenn ich Metal sage, dann meine ich das Spektrum zwischen Saxon und Metallica. Gemischt mit Hardrock, daran schraube ich schon ewig rum. Es ist ein Wunsch von mir, mal eine Platte komplett selbst einzuspielen. Zum Blues-Ding: da hatte ich den Plan, mit "Session" einen Grundstein zu legen, für eine zwischendurch erscheinende Reihe von Part I bis sonstwo betitelt. Der Grundstein ist auf jeden Fall gelegt, Part II wird also kommen. Einige Leute werden sich vielleicht wundern und das Teil auch nicht kaufen, aber das wäre dann auch völlig egal. Das Ganze dann mal bluesmäßig - und vielleicht auch auf Deutsch - aufzuziehen, fänd' ich tierisch spannend. Leute dafür hätte ich schon - schaun' mer mal!
Bei Künstlern mit nicht ausschließlich deutschem Hintergrund - wie bei dir - habe ich oft das Gefühl, dass ihr euch mehr Mühe mit der deutschen Sprache gebt, als reine 'Eingeborene'. Ich denke da z. B. an Frauen wie Pat Appleton oder Joy Denalane. Oder täusche ich mich da?
Ich kenne genug deutschsprachige 'Sänger', die eigentlich eher Interpreten sind. Bei denen der Wortfluss, die Textgewalt kaum stattfindet, und der eigentliche Gesang mehr im Vordergrund steht. Wenn man aus dem Englischen kommt, was den Gesang betrifft, ist man es gewohnt, Wörter ein Stück weit anders zu dehnen, Xavier macht das ja z. B. par excellence. Dass er eben teilweise sehr ausgesuchte Wörter an bestimmte metrische Stellen setzt, damit es richtig funktioniert. Ich glaube, das macht so ein bisschen den Unterschied, und gottseidank wird so etwas immer populärer. Ich finde, das ist eine tolle Entwicklung.
Wie bewertest du als Deutscher mit Wurzeln von außerhalb die Debatte um die Thesen des Thilo Sarrazin? Fühlt man sich dabei sehr unwohl, oder lässt es einen kalt?
Unberührt bleibe ich nicht, das Thema ist sicher sehr kontrovers. Man kann so einem Thema nicht aus dem Wege gehen, wenn sich ein Land mit der Migrantenfrage auseinandersetzt. Es ist schwierig für mich, dazu etwas zu sagen. Ich glaube, dass es heutzutage schwer genug ist, sich einer Sache unbefangen anzunehmen, ohne vorher schon mit mindestens drei oder vier Auslegungen konfrontiert worden zu sein. Auch Eva Hermanns Buch ist da ein gutes Beispiel. Ich bin einer von den Leuten, die all das ziemlich seltsam finden, ich kann bis heute nicht sagen, was sie eigentlich wirklich meint. Ich habe ihr Buch bislang nicht gelesen, und kann deswegen auch nicht beurteilen, ob das, was man ihr unterstellt, stimmt, oder nicht stimmt.
Bei Sarrazin geht es mir ähnlich. Es sind natürlich, bei dem, was man mitbekam, gewagte Behauptungen dabei. An einem Teil davon, rein wissenschaftlich betrachtet, könnte durchaus was dran sein - aber ich weiß es nicht. Dass gewisse Dinge nur auf Migranten zutreffen, will ich aber in Frage stellen. Er hat gesellschaftliche Entwicklungen angesprochen und an den Tag geholt, die uns als Deutsche betreffen. Es ist wahnsinnig schwierig, wenn man nicht nah dran an der Materie ist - das war ich bislang nicht, das gestehe ich offen. Ich versuche, so etwas im Kleinen und mit meinem Umfeld auszumachen. Sprachrohrmäßig war ich bei diesen Themen nicht dabei.
Wie beurteilst du Lenas Chancen beim Song-Contest?
Also, ich habe sie zwischendurch beim Echo gesehen, und hatte Mitleid mit der Leere in ihren Augen, die nach so einem Jahr durchaus verständlich ist. Es wird ja im Vorlauf eine ganze Woche im TV Promotion betrieben, aber letztendlich wird es der Song entscheiden. Ob sie noch mal so strahlen kann, das weiß man nicht, würde es ihr aber nicht verübeln, wenn sie es nicht kann. Allein, nach so einem Sieg noch mal an den Start zu gehen, ist schon eine sehr gewagte Sache. Doch das ist irgendwie ein Raab-Klassiker: er braucht einfach diese Herausforderung. Aber man weiß auch nicht, ob er nun der Alleinverantwortliche dafür war. Ich bin vorsichtig in Sachen Prognose, drücke Lena aber die Daumen!
Laith, vielen Dank für das Gespräch!
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