laut.de-Kritik
Sinkflug im Zeitlupentempo.
Review von Rinko HeidrichEs dauert relativ lange, bis das neunte Lana Del Rey-Werk an Fahrt und Kontur gewinnt. Bis zum sehr gravitätischen "A&W" mit seinen radioheadartigen Rhythmusverschiebungen läuft "Did You Know That There's A Tunnel Under Ocean Blvd" zögerlich an. Der Gospelsong "The Grants" zitiert gar John Denver und sein friedliches Refugium in den Bergen: "I’m gonna take mine of you with me / Like Rocky Mountain High / The Way John Denver sings". Der große Romantiker des amerikanischen Country-Folk schützte hinter den majestätischen Bergmassiven seine empfindsame Seele vor der manchmal fiesen Welt da draußen. "Keine Angst, ich bin für dich da", möchte wohl auch das unaufdringliche "Sweet" ausdrücken und wiegt mit süßer Wärme in Sicherheit. Wenn alles zusammenbricht, gibt es nach alter amerikanischer Sitte eben immer noch die Familie und Gott.
Der Allmächtige spricht wohl auch durch den gleichnamigen Influencer-Christen im "Judah Smith Interlude". Nahezu fanatisch lässt sich der kontroverse Instagram-Pfarrer hier über Nächstenliebe und die Sünde der Fleischeslust aus. Lanas Gelächter begleitet den Mitschnitt der Messe, ohne dass erkennbar wird, ob sie mit oder über die wirre Predigt lacht. Kurz zuvor betitelte sie sich in "A&W" zynisch als "American Whore", übernimmt damit das Narrativ der urteilenden Öffentlichkeit über weibliche Lust und fügt es in ihre eigene Geschichte ein. Schon die Rehäugigkeit in ihrem 13 Jahre alten Hit "Video Games" wirkte wie gefährliche Maskerade. Hinter der Unschuld lauerte der Abgrund des weißen Amerikas und seinem versnobten Nihilismus.
In Lanas hollywoodesker Finsternis verlaufen Trends nur als Randnotiz im zeitlosen Sound-Gewand. Klavier und ätherisch-geisterhafter Gesang bilden die Grundstruktur ihrer Karriere, "Did You Know That There's A Tunnel Under Ocean Blvd" entschlackt dieses Konzept nochmals und bewegt sich im Zeitlupentempo. Ein Album gegen den Zeitgeist, mal wieder. Eine Aufforderung, auf den Second Screen zu verzichten, wie für Vinyl gemacht. Im Sommer spielt sie auf dem Glastonbury Festival und noch fehlt die Fantasie, wie diese schweren und orchestralen Songs vor einer nach Eskalation gierenden Masse funktionieren. Ein transzendentes Lied wie "Paris, Texas" zwischen Selfie-Gute-Laune und schubsenden Bierträgern?
Irgendwann auf der Hälfte, im Nachtflug, mehrere Meter über dem Ozean, jenseits aller Ablenkung, kommt dieser sehr würdevolle Song wahrscheinlich am besten zur Entfaltung. Gedanken über Existenz und den größeren Sinn waren schon immer der Stoff für Lanas Alben. Intimus und Produzent Jack Antonoff stört sie nicht in ihren Grübeleien. So sehr mittlerweile über die gefälligen Indie-Produktionen des Bleachers-Sängers gespottet wird, die Chemie zwischen ihm und Lana ist nach wie vor perfekt.
Die monumentale Entfaltung in "Grandfather Please Stand On The Shoulders Of My Father While He's Deep-Sea Fishing" funktioniert nur zwischen zwei Menschen, die im blinden Verständnis miteinander arbeiten. Genau wie in "A&W" erleben wir abstrakte Songführungen, die eher an Jazz erinnern. Ein präzises Timing der Instrumente, die nur beinahe die Statik des Songs zerstört hätten. Darüber eine Stimme, die immer weiter an Intensität gewinnt, je mehr dieser Song in seinem avantgardistischen Kammer-Pop-Feeling weiter alles verdichtet.
"Candy Necklace" geht dieses dunkle, magische Spiel noch weiter. Ein geheimnisvolles Duett zwischen zwei Geistern. Lana und der Grammy-Musiker Jon Batiste wirken kaum noch greifbar, wenn sie dieses fast furchteinflößende Stück gemeinsam interpretieren. Der Song hebt endgültig die Zeitbestimmung auf, weil er wie ein uraltes Lied aus einer Zeit klingt, in der Amerika noch nicht mal erschlossen war. Wie ein keltischer Chant auf einem vergilbten Papier, der ein Ritual beschwört und unheilvoll seinen Zauber verbreitet. Batistes Klavier klingt nicht einmal wie vom ihm selbst gespielt. Da müsste Juda Smith noch zehn weitere Interludes bekommen, um dieses großartige Teufelswerk zu bannen.
"Let The Light In", das Duett mit Father John Misty wirkt zu einem Zeitpunkt, in dem das Album mit seiner schweren Anziehungskraft erdrückt, wie ein greifbarer Rettungsanker. Doch es entpuppt sich als Griff nach einer klebrigen Zuckerstange. Schlimmer Dad-Indie im zuckersüßesten Rod Stewart-Balladen-Gewand. Und das auf einem Album, dass bis dahin seichte Gewässer gekonnt vermied. Die mystische Nachtkönigin als wiederauferstandene Balladen-Sängerin im bunten Pailletten-Hemd. man lösche bitte sofort dieses Bild.
Ähnlich überflüssig auch der beliebige Trap-Funk "Peppers" mit Tommy Genesis, der überhaupt nicht zum Blueprint des Albums passt. In einem naiven Posting sinnierte Del Rey 2020 über modernen Feminismus und trug dafür hässliche Brandwunden des entfesselten Internet-Mobs davon. Das tut sicher weh, ist aber kein Grund, diese Trolle auf "Did You Know That There's A Tunnel Under Ocean Blvd" mit Zeilen wie "Cause I'm good in spirit, warm-bodied / A fallible deity wrapped up in white (Oh-oh) / I'm folk, I'm jazz, I'm blue, I'm green / Regrettably, also a white woman (Oh-oh) / But I have good intentions even if I'm one of the last ones" abermals heraus zu fordern. Eine Rechtfertigung verleiht diesen gehässigen Edegelords nur weitere Relevanz und zerstört nebenher das entrückte Bild einer Rätselhaften, die über derlei Kleingeistigkeit steht.
Lana Del Rey-Alben bleiben zu gleichen Teilen eine Huldigung und ein bitterer Abgesang auf eine Traumwelt im Auflösungszustand. Eine Welt, deren Symbolik sie stets aufnimmt und wieder dekonstruiert. Sie schreibt seit Anbeginn ihrer Karriere eine eigene amerikanische Story, die mal in sibyllenhafter Poesie, dannn wieder explizit offenherzig ihr Privatleben thematisiert. Alle Menschen um sie herum sind längst Teil der großen Erzählung. Margaret Qualley, Antonoffs Verlobte und Schauspielerin, bekommt ihren Auftritt in dem gleichnamigen Song - zu ihrem Glück als Ideal einer Liebe, für die sich langes Suchen, all die Zweifel und möglichen Wunden am Schluss lohnen. Lana fleht sie förmlich an, nicht aufzugeben. Hoffen wir, dass diese Liebe bleibt, aber falls nicht, dürfte dies allein genügend Grundlage für das nächste Kapitel im schwierigen Gesamtkunstwerk Lana Del Reys bieten.
17 Kommentare mit 24 Antworten
Hmm, ich fand das Album wieder deutlich besser als die Vorgänger. Diesmal hat sie mich wieder mehr bekommen.
mehr dazu: https://youtu.be/FMnsPGXmfuE
Dieser Kommentar wurde vor einem Jahr durch den Autor entfernt.
Jepp. Ganz easy und locker ihre beste Platte bisher. Das noch immer intensive Bild der US-amerikanischen Hausfrau, die mittels Psychopillen ihrer Langeweile und ihren Abgründen entflieht, ist nun nicht mehr wichtiger als das Songwriting.
Stimme ich dir zu weiß nicht was der Rezensent hat ich gebe dem Album 4 von 5 Punkten.
welchem Album?
5/5. Wie man ausgerechnet bei diesem Album auf 3 Punkte kommt (während "Lust For Life" hier 5 Punkte abgestaubt hat) ist mir schleierhaft. Ein Kleinod jagt das nächste.
Hm, bin eher bei dieser Review hier.
https://www.plattentests.de/rezi.php?show=…
Klar, ganz so viele Klavierballaden hätte es nicht gebraucht und auf das unsägliche Judah Smith Interlude kann ich auch gut verzichten, aber Lana zeigt hier wieder ihre volle Bandbreite. Erinnert mich mit dem Abdriften in elektronischere Stücke gegen Ende ein wenig an „Ultraviolence“, auch wegen der „Peppers“ statt der „Guns And Roses“. Kommt auch ziemlich nah an das Niveau von „Ultraviolence“ ran.
Cool auch, wie sie sich ganz locker traditionelle spirituelle amerikanische Musik zu eigen macht. Ein bisschen der Anti-Ye: ruhige, getragene Songs statt wirre Gospel-Soundschnipsel mit hektischen Beats und fanatischem Extremismus.
Kann die Bewertung auch nicht verstehen jedes Lied auf dem neuen Album von Lana Del Rey hat was eigenes von mir auch 5 Punkte.
"Kann die Bewertung auch nicht verstehen"
Glaub ich dir.