laut.de-Kritik

Sie könnte viel, aber das Geld liegt woanders.

Review von

Es ist gar nicht so schwer, Latto nicht ernst zu nehmen. Sie unternimmt immer wieder Versuche, ernstgenommen zu werden, aber immer, wenn für sie etwas durch die Decke geht, dann ist es der Sellout-igste Blödsinn. Wie bei "Big Energy" mit DJ Khaled und einem extrem langweiligen Sample oder als hintendran getackerter Credibility-Boost für Jungkook von BTS. Von weitem betrachtet wirkt Latto wie der Inbegriff von Mid - eine Rapperin, die auf nicht viel mehr aus ist, als cool genug zu wirken, um ein paar trendy Features zu verkaufen.

Ein Eindruck, an dem auch die Tatsache nichts geändert hat, dass sie im diesjährigen Beef zwischen Megan Thee Stallion und Nicki Minaj eine Art bescheuerten Juniorpartner-Stellvertreterkrieg mit Ice Spice ausgefochten hat (ja, sie ist die Frau, auf die die Line "you think you the shit? Bitch you not even a fart" gezielt hat - und man munkelt, der Albumtitel hier rekurriere darauf). Das ist alles mehr oder weniger frustrierend, denn hinter den Gimmicks und dem Blödsinn steht eine Rapperin, die sich auf ihren Alben regelmäßig viel Mühe gibt: Auf das überraschend starke "777" folgt nun ein Album, gezeichnet von der Sorge, dass all das, was ihr Respekt verschaffen könnte, ungeachtet vorbeischrammt und ihre unrühmlichsten Momente oft den größten Erfolg einspielen.

"Sugar Honey Iced Tea" zeigt, dass sie durchaus noch Hunger hat. Es sind die Tracks wie "Georiga Peach", "Big Mama" oder "Brokey", in denen sie die Linie zwischen Fashion-Talk und Oben-Herab-Punchline am besten trifft. Sie ist kein Flow-Ungetüm, aber hat ihre Technik definitiv drauf. Vor allem weiß sie, wie sie ihre Pockets landet. Ihr Flow nimmt Notizen bei verschiedenen Atlanta-Artists, wenn er kompakter wird, hört man in ihr einen 21 Savage, aber sie kann auch melodisch, sie kann R'n'B, sie geht mal in Richtung einer Cardi, dann doch wieder in Richtung eines Young Nudys.

Letzterer kommt dann auch für eins der starken Features der Platte vorbei, und der Regionalstolz kommt durch. Ihre Atlanta-Kredibilität könnte viel mehr Unique Selling Point sein, auch, wie sie mit R'n'B-Newcomerin Mariah The Scientist auf "Look What You Did" hin und her schießt, zeigt eine ganze Menge Talent. Respekt fordert sie ebenfalls mit dem Drake-esken Closer "S/O To Me" ein, ein introspektiver Track, der von einem Typen sicherlich mehr honoriert worden wäre. Außerdem ging sie auf den beiden Leadsingles "Put It On Da Floor" und "Sunday Service" mit ihren härtesten Flows nach vorne.

In Latto steckt ein MC, der allen Respekt verdient hätte. Sie kann. Und irgendwo in "Sugar Honey Iced Tea" ist diese Ambition, ein riesiges Album mit vielen Sounds und Facetten zu machen, das es ihnen allen zeigen könnte. Aber am Ende des Tages wird sie den Fast Fashion-Flavor halt doch leider nie ganz los.

Abseits der Genannten helfen ihr die Features leider überhaupt nicht. Zum Bespiel ist da Hunxho, eine wirklich nicht sehr gute ATL-Industry Plant, die gerade bei jedem und seiner Tante auf das Album geschmissen wird, in der Hoffnung, mal wieder einen Crooner aufzubauen. Oder da kommt eine Ciara, um auf einem vielversprechenden Instrumental doch nicht ganz die Anwesenheit zu erreichen, die man erwarten würde. Teezo Touchdown, Coco Jones, Flo Milli, das sind im Namen coole Ideen für Features, die gut klingen. Aber irgendwie bleibt fast immer das Gefühl zurück, diese Tracklist zeichnet Latto mehr als eine gute Networkerin aus, als als jemand, für dessen Album sich diese Artists jetzt ein Bein ausreißen würden. Dass Mariah Carey herself für ein Interlude vorbeikommt, das sollte ikonisch und groß sein. Es fühlt sich an wie ein zurückgegebener Gefallen.

Nein, man kann es nicht leugnen: Dieses Album ist mid. Aber irgenwdie ist Latto, wenn man sie mal als Phänomen ansieht, auf eine irgendwie interessante Art mid. Sie will offensichtlich mehr, sie hat mehr zu bieten als der handelsübliche Pop-MC, der für ein oder zwei Saisons ausgeschlachtet werden kann. Aber die Kultur will das nicht von ihr. Und so weit gehen, dass man für ein gewagtes Album die leichten Crossover-Dollars beiseite lassen würde, das will sie dann halt leider auch nicht. Was bleibt, ist solide Musik mit etwas anonymem Flair und einem ganz entfernt hallenden Hauch von Tragik.

Trackliste

  1. 1. Georgia Peach
  2. 2. Big Mama
  3. 3. Blick Sum
  4. 4. Settle Down
  5. 5. Shrimp & Grits (feat. Young Nudy)
  6. 6. There She Go
  7. 7. Brokey
  8. 8. Mimi Interlude
  9. 9. H&M
  10. 10. Copper Cove (feat. Hunxho)
  11. 11. Ear Candy (feat. Coco Jones)
  12. 12. Liquor
  13. 13. Squeeze (feat. Megan Thee Stallion)
  14. 14. Good 2 You (feat. Ciara)
  15. 15. Look What You Did (feat. Mariah The Scientist)
  16. 16. Prized Possession (feat. Teezo Touchdown)
  17. 17. S/O To Me
  18. 18. Put It On Da Floor
  19. 19. Put It On Da Floor Again (feat. Cardi B)
  20. 20. Sunday Service
  21. 21. Sunday Service (feat. Megan Thee Stallion & Flo Milli)

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2 Kommentare

  • Vor 2 Monaten

    Sunday Service fand ich sehr stark. Irgendwann hör ich mal rein. Ich war bisher sehr überzeugt von ihren Skills mit 25 Jahren. Da wird es schon sehr dünn in Deutschland, vor allem auch bei den Herren. Auf der anderen Seite hat sie ein riesen Team um sich, die geisteskrank kreativ sind. Einfach eine andere Struktur.

  • Vor 2 Monaten

    Die putzt echt gern Felgen? Oder steckt da womöglich eine versteckte Botschaft dahinter, die ich als Nichtkenner nicht blicke?