laut.de-Kritik
Von Dixi-Klos und anderen Festival-Katastrophen.
Review von Philipp KauseVor Kurzem noch war Hamburg-Sankt Pauli mit dem Reeperbahn-Festival im Visier der hiesigen Musiklandschaft, nun heben Le Fly mit ihrem Indie-Label Sankt Pauli Tanzmusik zur deutschlandweiten Tour ab. Im Gepäck hat die Band, die über 15 Jahren Bühnenerfahrung aufweist, ein neues Studioalbum: "La Vie, Oder Was?" sprüht nur so vor schwungvoll deutschsprachigen Wort-Wasserfällen.
Le Fly erzählen Geschichten, in denen sich ein junges und urbanes Festival-Publikum widerspiegelt, sie hinterfragen und veralbern. Party-Garanten wie "Halblang" mit Gitarrenwand und unentrinnbaren Riffs fahren direkt in die Beine. Stilistisch liegt die Ska- und Alternativerock-geprägte Mischung indes nicht so ganz natürlich auf der Hand: Le Fly kreieren durchaus ihr eigenes Sounduniversum.
So groovt Knäuel" so nah am Two Tone und harmonisch so dicht am Soul, dass keiner mit dem Wah Wah-E-Bass-Solo bei Minute 1:48 rechnen würde. "L'amour" positioniert sich mit Ska-Bläsern irgendwo zwischen The Offspring und Skater-Pop-Hardcore. Das Motto: "Alle ha'm ein Recht auf ihre Endorphine (...) l'amour! - wir reiben alle / ein mit Liebe pur."
Stilistisch zeichnet das Reggae-Hip Hop-Crossover etlicher Tracks (z.B. Mutter Natur") eine Parallele zu Seeed in Rhythmik, Sprach- und Spieltechnik. Doch diese Rezeptur unterliegt zugleich dem Einfluss harter Gitarren. Textlich spricht "Mutter Natur" den Kopf an, philosophiert über die Absurdität der Selbstzerstörung menschlicher Lebensgrundlagen durch Abholzung der Urwälder. Der Videoclip bricht mittels Überspitzung und pantomimischer Clown-Einlagen wiederum mit dem Ernst der Lage.
Teil der Hansestadt-Identität ist fünf Jahre nach dem dem G20-Desaster das unvergessliche Chaos (Autonomen-Szene und eine überforderte Polizei) geblieben, worauf der Text von "Dixi" eingangs anspielt. Hier wird die Hip Hop-Wurzel von Le Fly deutlich, gleiten Raps zum Thema Festival-Manieren ("schubs' das Dixi um") über ein fettes Kaliber an Crossover-Rock-Gewitter. Die Lyrics sezieren die oftmals auf Campingplätzen ausgelebte Dekadenz mit Steak zum Frühstück und Kotz-Attacken brutal ehrlich und detailliert.
Grunge und Rock'n'Roll sind weitere Referenzen. "Walk Of Fame" namedroppt im Refrain Kurt Cobain und Elvis. Die Struktur des herum wirbelnden, messerscharfen und tanzbaren Tunes gliedert sich in Rap-Punk in den Strophen, 90er-Alternative im Chorus und zwei Bridges mit Rock'n'Roll und schließlich Rap-Metal. Der Track richtet sich gegen Poser, die ihre "Me First-Mentalität" ausleben und macht diese Haltung an einem prominenten 'Vorbild' fest: "Fahr mit Donald Trump seine Karre an die Wand!".
Das zugehörige Video in Split-Screen-Optik offenbart das generelle Merkmal der LP: Die wenigsten Nummern verfolgen geradlinige Stories. Eher laufen die Tracks wie assoziative Wortspiel-Ketten von Gag zu Gag, als wären sie Freestyles entsprungen. Ein bisschen Marx Brothers- oder Monty Python, wo mehr der einzelne Joke als der rote Faden zählt, und ausgeprägte Loser ihren Platz als Lied-Anti-Helden haben, der süffisante Humor der Zeitgeist-Kritik aber manchmal zwischen Themensprüngen, Übertreibung und Figuren-Skizzen untergeht.
Beispiel: "Ich bin so'n krasser Kiffer / ich hab Grasnarben / (...) mein Leben ist so Bifi Roll / mein Leben ist so Bier" in "Timbodirk - Le Fly + 257ers". Le Fly legen großen Wert darauf, nicht alleine im Mittelpunkt zu stehen. Befreundete Bands sind keine bloßen Feature-Gäste, sondern gleichrangig. Der Humor der 257ers oder der Latin-Polka-Vibe von Russkaja tragen indes schon zu einem Übermaß an quirligem Input bei. Teilweise aber schlängelt sich die (Tragi-)Komik aber auch subtiler durch, wenn etwa in "Caroline" die postmoderne Haltung zur Partnersuche parodiert wird: "Caroline" fahndet gemäß Shopping-Checklist nach ihrem Traumprinzen.
"Rap für den Kopf / Bass für den Bauch" heißt es in "Klassenfahrt" vor sieben Jahren. Ein programmatischer Slogan von Le Fly. Trotz aller Party-Vibes machen sie Hinhör-Musik. Die vier großen Stärken der Platte sind ihre rhythmische Energie und Vielfalt mit zahlreichen Breaks zwischen und innerhalb der Songs, der originelle Stile-Mix, der satte Sound in treibendem Tempo und die entlarvend konkreten Texte, mit denen Le Fly den Alltag und manche Mikrokosmen der Gesellschaft sezieren. Vom lokalen Act setzt die Band an, sich mit "La Vie, Oder Was?" bundesweite Größe zu erarbeiten. Ein neues Dutzend gepfefferter Songs, das man live erleben sollte.
Noch keine Kommentare