laut.de-Kritik

"Ein Ort, an dem die Zeit stehen bleibt."

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Nostalgie liegt im Trend. Mit ihrer "Essenz EP" huldigt Lena Stoehrfaktor dem hiesigen Hip Hop der 1990er Jahre. Die Instrumentals fallen dabei stets so simpel wie möglich aus. Ohnehin soll es die trockene Trias aus Bass, Kick und Snare in erster Linie vermeiden, den genauestens ausgemessenen Raps in die Quere zu kommen. Nun ist es völlig legitim, sich alter Werkzeuge zu bedienen. Dennoch wirkt es fast bedrohlich, wenn der Pressetext verspricht, dass das Publikum "beim Hören schnell einmal vergessen kann, in welchem Jahrzehnt wir uns gerade eigentlich befinden."

Mit "Runde Eins" wählt die Rapperin einen sportlichen Einstieg: "Du siehst keine Möglichkeit, die Schläge landen treffsicher. Hier geht es um Rap, Mann!" In diesem verbalen Boxkampf schützt auch der Gong nicht vor dem Knockout: "Es rettet dich kein Ringrichter. Ich feuer' die Schwinger sicher." Lena Stoehrfaktor führt erfrischend unsentimental durch ihre Rap-Welt, doch die Metapher offenbart auch die Misere der EP. Kunst funktioniert anders als der ergebnisorientierte Sport. Wenn sie den nüchternen Blick des Boxens übernimmt, fällt das kreative Ergebnis eben nur semispannend aus.

Zu staubtrockenen Drums und frei von Allüren zelebriert sie in "Sonnenallee" ihre gestrandete Biografie, die sich erfolgreich dem "Erwachsenenleben" entzieht und ganz in ihrer Wahlfamilie Hip Hop aufgeht: "Die Welt ist ein Zimmer mit paar Chillern und 'nem Mic. Ein Ort, an dem die Zeit stehen bleibt." Fast schüchtern fügt sie Samples aus "The Next Episode" und "Still D.R.E." von Dr. Dre und Snoop Dogg in ihren bedrohten Kosmos ein: "Rap ist jetzt mein Job. Wer weiß wie lange noch?" Doch selbst wenn der musikalische Weg endet, gilt für die Überzeugungstäterin: "Einmal Rap, immer Rap."

Hand in Hand mit der Heiligsprechung der eigenen Wurzeln geht in "Urban Sports" die Verdammung der nachfolgenden Generationen, die "mit Gangsterrap den Kindern in den Kopf kacken." Während sich Lena Stoehrfaktor noch auf erlesene Vorbilder wie MC Lyte und Remy Ma berufen konnte, führe sie heute "ein Leben unter Clowns", deren Rap-Versuche fast schon in die Kategorie 'kulturelle Aneignung' fallen: "Zieh' dein Hip-Hop-Kostüm aus, fast hätt' ich's dir geglaubt." Es stimmt, "Realness kannst du nicht kaufen", sie lässt sich aber auch nicht mit Kulturpessimismus gleichsetzen.

Im selben Song fragt Lena Stoehrfaktor: "Wer ist diese Frau mit dem Bauarbeitergang?" Die heutzutage sehr präsenten Identitätsfragen vermeidet sie fast völlig. Statt umständlich auf eine queerpolitische Agenda zu pochen, geht sie ganz natürlich in einem männlich dominierten Genre auf, lässt sich Whisky reichen und übt sich im körperbetonten Boxsport. Wenn sie sich einmal politisch positioniert, geht es wie in "Nich' Reich" ganz traditionell um die Klassenfrage. So beschreibt sie anschaulich wie Preissteigerungen den Menschen ihres Milieus Freiheit und Freizeit rauben.

Doch schnell findet sie zum Hauptthema zurück. "Ich komm' aus einer Zeit als Rap noch nicht Pop war", klagt sie in "Was Bleibt" ganz so, als handele es sich um eine moralische Frage, ob Rap nun die Schulhöfe dominiert. Dabei könnte sie den kaspernden Kollegen ganz gleichgültig gegenüberstehen, wenn sie Sinnfragen ohnehin verneint: "Ich weiß, es gibt kein' Grund und darum bin ich Atheistin." Anstelle eines Gegenentwurfs zum kapitalistischen Rap gelingt Lena Stoehrfaktor eine solide EP, die sich in die herrschende Nostalgie einfügt und der Gegenwart leider nichts entgegen setzt.

Trackliste

  1. 1. Runde Eins
  2. 2. Sonnenallee
  3. 3. Nich' Reich
  4. 4. Urban Sports
  5. 5. Was Bleibt
  6. 6. Essenz

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