laut.de-Kritik
Wenige Noten, viel Gänsehaut.
Review von Giuliano BenassiDer Umstand, dass Leonard Cohen mit über 70 noch einmal den Weg auf die Bühne gefunden hat, ist einer unschönen Situation zu verdanken: Während sich der Kanadier am Rande von Los Angeles mit Meditation und Gedichte Schreiben den Lebensabend versüßte, brachte sein ehemaliger Manager sein gesamtes Vermögen durch. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als den Hut vom Nagel zu angeln und sich die Rente mit Konzerten zu sichern.
Wer das Glück hatte, eines der Konzerte der Tour 2008-2009 zu erleben, weiß, dass persönliches Pech durchaus öffentliches Glück bedeuten kann. Cohen ist ein begnadeter Performer, der mit wenigen Noten viel Gänsehaut erzeugt. Über dreistündige Auftritte waren keine Seltenheit, eine neue Setlist gab es jeden Abend auch. Nicht nur das Publikum hatte seinen Spaß, sondern auch die beteiligten Musiker.
Doch der kommerzielle Aspekt spielt eben doch eine Rolle, weshalb nun nach London 2008 bereits der zweite Live-Mitschnitt erscheint. Erneut auf CD, DVD und Blu-Ray, damit auch jedes Format abgedeckt ist. Diesmal handelt es sich nicht um einen einzelnen Gig, sondern um Highlights aus Europa und den USA, auserwählt von Produzenten Ed Sanders, der Cohen bei allen 195 Auftritten begleitete.
Von der Qualität des Materials abgesehen, die sowohl visuell als auch tontechnisch sehr gut ist, gewinnt man dabei drei Erkenntnisse.
Erstens: Egal, wo Cohen auftritt, sind ihm Begeisterung und Rührung sicher. Am Besten zu sehen beim Coachella Festival in Kalifornien, sonst eher die Heimat von rockigen Combos und gerne für spektakuläre Reunions genutzt. Bei "Hallelujah" brechen sowohl im Publikum als auch auf der Bühne Tränen aus. Das muss man erst mal hinkriegen.
Zweitens: Egal, wie gut ein Mitschnitt ist, die Atmosphäre eines Livekonzerts ist kaum festzuhalten. Cohen beim Nichtbewegen auf dem Bildschirm zuzuschauen ist auf Dauer unspannend. Vor Ort allerdings unvergesslich.
Drittens: Die Performance der Akteure kennt keinen qualitativen Bruch. Obwohl die Stücke an den unterschiedlichsten Orten aufgenommen wurden, hört sich das ausgewählte Material wie aus einem Guss an. Und das, obwohl die einzelnen Musiker auch durchaus die Möglichkeit zum improvisieren hatten.
Über die Auswahl der Stücke lässt sich wie so oft streiten. Zum Beispiel stellt sich die Frage, warum "Sisters Of Mercy", "First We Take Manhattan" oder "Joan Of Arc" nicht dabei sind, obwohl der Speicherplatz nach 70 Minuten sicherlich noch nicht aufgebracht ist. Außerdem hätte man auf die ereignislose 20-minütige Reportage von Cohens Tochter Lorca verzichten können, die Backstage die beteiligten Musiker interviewt.
Andererseits sind mit "Avalanche" oder "The Partisan" – bei dem Cohen passenderweise mal nicht frisch rasiert ist und einen verwegenen Eindruck macht – auch weniger bekannte frühe Stücke vertreten, was wieder positiv zu vermerken ist.
Insgesamt ist "Songs From The Road" ein gelungener Mitschnitt. Dass ein Auftritt Cohens nicht mit technischen Mitteln zu erfassen ist, liegt am Medium und nicht an den Machern. Ein Ersatz für einen Konzertbesuch ist die Aufnahme jedenfalls nicht. Höchstens ein Appetithappen.
1 Kommentar
eigentlich lässt sich über die auswahl der tracks nicht streiten.
sisters of mery und first we take sind schon auf der london dvd.
bis auf eine ausnahme hat man ja bewusst wiederholungen vermieden.
aber endlich mal famous blue raincoat und chelsea hotel