laut.de-Kritik
Versteckt euch, Omis!
Review von Franz MauererLet's Eat Grandma, bestehend aus den den beiden Songwriterinnen, Multiinstrumentalistinnen und Sängerinnen Rosa Walton und Jenny Hollingworth, servierten schon auf ihren ersten beiden Alben keine einfache Kost. Das bejubelte "I, Gemini" war eines der weirdesten und geglücktesten Pop-Debüts überhaupt. Das nicht unumstritten geglückte "I'm All Ears" unternahm Erkundungen Richtung Mainstream-Pop und zeigte mehr Mut zur Einfachheit.
Nun liegt "Two Ribbons" vor, und diese zwei Schleifchen wickeln sich um den Hals. Die ausgesprochen reflektierte Platte dreht sich in einer irrwitzig anmutenden Tiefe und Ehrlichkeit um die Beziehung der beiden Bandmitglieder. Ein gegenseitiger Seelenstriptease mit Zuschauern, in dem mit enttäuschten Hoffnungen, Unsicherheiten, Begehren und Nähe um sich geworfen wird. Passenderweise ist "Two Ribbons" die erste Scheibe der Band, in der die beiden Sängerinnen einzelne Songs verantworten. Herausgekommen ist ein disparates Album, das mehr ist als die Summe seiner Teile.
Man blicke nur auf den Opener "Happy New Year". Ein heftiger 80-Vibe, den so auch Katy Perry gerne singen würde, wenn sie originellere Produzenten hätte. "Do you think if we'd have been together we’d be breaking up?" und "It's okay / To say what you wanna say / And that we've grown in different ways" zeigt, dass die beiden Norfolkerinnen den brutalen lyrischen Magenschlag nach wie vor in Klitschkoschen Ausmaßen beherrschen. "Two Ribbons" besteht aus Briefchen, die sich die beiden Songwriterinnen in toten Briefkästen hinterlassen.
Musikalisch gehen sie dabei wahrnehmbar neue Wege: Die erste Hälfte des Albums ist eine sehr straighte und bemerkenswert souveräne Pop-New Wave-Angelegenheit. Im Spannungsfeld von Twin Shadow, Lorde und Mainstream-Pop nimmt Rosa Walton immer den direkten Weg. "Levitation" ist ein flirrender, aufgeregter Popsong, "Hall Of Mirrors" gerät entspannt und doch komplex genug, gefällt jedoch am besten, wenn Tempo rausgenommen wird und die alte Weirdness durchschimmert. "Watching You Go" ist dann einer zu viel und wirkt zum Schluss, auf hohem Niveau, ein Stück weit zu glatt, zu wenig erinnerungswürdig.
Die gitarrenlastigere B-Seite beginnt mit "Insect Loop" richtig gut, der Weirdness-Regler wurde wiederentdeckt, ohne das Kompromisslose, Treibende, der ersten Hälfte zu verlieren. Dann verliert sich aber das Tempo, "Sunday" gerät zu lang und ersäuft in Schönheit. "Strange Conversations" zeigt besser, was die beiden Norfolkerinnen mit viel Raum und Zeit aufbauen können, ein vorsichtiger, aber nie zaghafter Pop-Folk. Das wunderschöne Instrumental "In The Cemetery" hat die Ideen, die an anderen Stellen etwas fehlen. Augen schließen und man sieht förmlich die Blumen, Klettpflanzen und das Leben auf dem Friedhof. Hätte gut auf "The Boatman's Call" gepasst.
Die gemeinsame musikalische Klammer der Albenteile sind die Stimmen der Sängerinnen, die viel weniger als auf den Vorgängern melodiös als Teil des Instrumentariums eingesetzt werden, sondern deutlich hervorproduziert Inhalt transportieren sollen. Weniger Kunst und Affekt also, allerdings auch weniger Tragkraft, die Synths und Gitarren müssen es richten. An den Reglern saßen neben den beiden Engländerinnen David Wrench, bekannt von den Vorgängern und Großwerken wie Process & Swim. Eine Auszeichnung für die Musikerinnen, dass dieses Kaliber weiter an ihrer Seite bleibt.
Schlusspunkt ist der Titeltrack "Two Ribbons", der den Raum zwischen First Aid Kit und Aphex Twin im traurigen Marsch erobert. Das schon im Titel als solches erkennbare Freundschaftslied stammt von Hollingworth und unterstreicht eindrücklich die Ernsthaftigkeit und Bereitschaft von "Let's Eat Grandma", sich in schwierigem Gelände zu bewegen. Walton und Hollingworth bleiben beeindruckend in ihrer Reife.
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