laut.de-Kritik

Ein Blueprint für den Soundcloud-Rockstar.

Review von

Wenn es einen Rapper gibt, der alle Feindbilder und Ängste der älteren Generation von Hip Hop-Hörern in sich vereint, dann dürfte das wohl Lil Uzi Vert sein. Geboren in Philadelphia machte er sich in den vergangenen Jahren einen Namen unter den Musikern, die exzentrischen Gesang mit intensivem Autotune-Einsatz auf eigenwillige Trap-Instrumentals zimmern. Eine visuelle Ästhetik zwischen femininem Auftreten, bunten Dreadlocks und einer ignoranten Rockstar-Attitüde sorgen dabei zusätzlich dafür, dass allein Erscheinungsbild und seine Singles ein klares Bekenntnis zur Soundcloud-Ära der Rapgeschichte darstellen.

Doch auch wenn all das recht typisch für die Sparte klingen mag, sollte man sich durchaus bewusst machen, dass er seit seinem Durchbruch an der Relevanz-Speerspitze im Trap-Kosmos steht, gewissermaßen die Vorherrschaft der Einflüsse mit wenigen anderen MCs wie Young Thug, Future oder den Migos teilt.

Uzi ist es dabei auch, der den Begriff des Rockstars zurück ins kulturelle Bewusstsein gebracht hat, nicht indem er allerdings auch nur ansatzweise Einflüsse aus der Rockmusik aufblitzen lässt, sondern einfach nur, indem er den Begriff für sich angeeignet hat. Ein Motiv, das auch sein neues, lang erwartetes Album "Luv Is Rage 2" immer wieder etabliert.

Über 16 Titel zeigt sich Lil Uzi Vert als komplexer Charakter zwischen hedonistischer, jugendlicher Ignoranz ("Early 20 Rager", "444+222") und selbstzerstörerischen, depressiven Liebesallüren ("The Way Life Goes", "XO Tour Llif3"), die ein Bild des Rappers so exzessiv zeichnen, dass die scheinbare Intensität seines Lebens auch in den Songs präsent und erlebbar wird. Dies spiegelt sich nicht nur im ausufernden Gesang, der trotz Autotune auf Anschlag eine beeindruckende emotionale Tiefe mitbringt, sondern auch im generellen Vibe des Projektes wider.

Uzi beansprucht an keiner Stelle, irgendein Verständnis über die Welt zu haben. Vielmehr lässt er sich frei und aufgewühlt im Wechselbad seiner Emotionen treiben (diese pendeln zwischen beschriebenem jugendlichen Übermut, der sich in überschwänglichem Narzissmus und adressatenlosen Punchlines ausdrücken und schwermütiger, zerbrechlicher Melancholie bis zur Verzweiflung ein). Diese Emotionen bleiben ohne Filter, ohne Kohärenz, ohne Kontext, man könnte fast den Eindruck gewinnen, man erlebe einen Stream-of-Consciousness-Roman, wobei der Protagonist nur die Stimmungsfarben und den Puls liefert, während die Geschichten selbst viel mehr in den Instrumentals stattfinden.

Diese funktionieren über die gesamte Laufzeit übrigens fantastisch, setzen natürlich durchgehend auf nicht untypischen Trapsound als Fundament, ergänzen ihn aber mit so futuristischen und wertig klingenden Synthesizern und unorthodoxen Melodieläufen, dass sich tatsächlich das Gefühl einstellt, man würde Musik aus der Zukunft hören. Grell bunt schimmernd, Musik die klingt, wie der Regenbogen-Boulevard in "Mario Kart" aussieht.

Auch das Mixing ist sehr potent, jede 808-Bassline drückt quer durch die Magengegend, während das Flimmern von hypnotischen Klängen mit perfekt kontrollierten Ambient-Effekten eine Stimmung der Verlorenheit entstehen lässt, die einwandfrei zu Uzis Persönlichkeit passt. Besondere Highlights sind die eigenwilligen Stakkato-Produktionen auf dem Pharrell-Feature "Neon Guts", die melodischen Samples auf "Sauce It Up" und der komplett hypnotische 8Bit-Melodielauf auf "The Way Life Goes".

"Luv Is Rage 2" ist Musik, die klingt, als wäre sie um 5 Uhr morgens auf dem Dach eines gigantischen Clubs nach einer Trennung via Textnachricht entstanden. Ein Wechselbad der Gefühle, ein Testament an die ausufernde Orientierungslosigkeit und Verständnislosigkeit für die erschlagende Komplexität der Welt und der Liebe, das die Phänomene nicht detailliert oder tiefgreifend einfangen oder gar erklären will, sondern einfach nur vor ihrer schieren Größenordnung kollabiert. In diesem Kontext macht es auch wenig Sinn, Lil Uzi Vert an gängigen Kritikpunkten zu Lyrics oder Songwriting zu messen. Ihm fehlende Kohärenz, Substanz oder zu wenig Tiefgang vorzuwerfen wäre, als würde man einem Dokumentarfilm eine langweilige Handlung unterstellen.

Natürlich funktioniert das Tape insgesamt dennoch als Nachfolger für "Luv Is Rage" und "Luv Is Rage 1.5" und ist somit vielmehr als Mixtape zu verstehen. Das führt dazu, dass die Erarbeitung der Titel vielmehr darauf orientiert ist, so viele potente Singles wie möglich entstehen zu lassen statt ein dramaturgisch sinnvolles oder ausgeklügeltes Gesamtwerk zu schaffen. Was schade ist, denn dadurch entstehen gerade auf der zweiten Hälfte immer wieder gewisse Längen.

"Luv Is Rage 2" liefert Hits am Fließband, die die Persona des Protagonisten kompromisslos scheinen lassen. "Sauce It Up", "The Way Life Goes", "Neon Guts", "UnFazed" mit The Weeknd und allen voran die schon im Vorfeld explodierte Single "XO Tour Llif3" werden in viele Playlists wandern und Uzis Status als Exzellenzfigur des modernen Hip Hops weiter zementieren. Und wenn er weiter Projekte wie dieses abliefert, kann man das auch nur befürworten: "Luv Is Rage 2" könnte ein Blueprint für alle Rockstar-Alben der Zukunft sein.

Trackliste

  1. 1. Two
  2. 2. 444+222
  3. 3. Sauce It Up
  4. 4. No Sleep Leak
  5. 5. The Way Life Goes
  6. 6. For Real
  7. 7. Feelings Mutual
  8. 8. Neon Guts f. Pharrell Williams
  9. 9. Early 20 Rager
  10. 10. UnFazed f. The Weeknd
  11. 11. Pretty Mami
  12. 12. How To Talk
  13. 13. X
  14. 14. Malfunction
  15. 15. Dark Queen
  16. 16. XO Tour Llif3

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