laut.de-Kritik
Würdiger Abschluss der "Carter"-Reihe.
Review von Yannik GölzVier Jahre ist es her, seit Lil Wayne die fünfte Episode seiner ikonischen "Carter"-Reihe ankündigte. Vier Jahre. In Rap-Zeitrechnungen sind das etwa zwei bis drei Generationen an Zeit, die verstrichen ist, während die Idee eines neuen Wayne-Albums am Horizont stand. Viel Zeit für die Kultur, sich zu verändern. So viel, dass der Stil, den er selbst einst mit etablierte, drauf und dran scheint, ihn komplett abzuhängen. Ein bisschen verhält es sich da wie mit dem Schiff des Theseus, Detail für Detail veränderte sich der Sound, bis er kaum noch auf ihn zurückzuführen war.
Nicht, dass "Tha Carter V" nicht kosmetisch versuchen würde, einigermaßen zeitgemäß zu klingen. Die posthum an den Opener "Don't Cry" geklebte XXXTentacion-Hook und ein Verse von Travis Scott aus der "Rodeo"-Ära überschminken aber nicht, dass dieses so lange angekündigte Projekt einen Throwback in die Zeit darstellt, in der Obama noch Präsident der Vereinigten Staaten war, Autotune noch das neue, provokante Ding in der Hip-Hop-Welt und Wortwitz das Allheilmittel für einen gelungenen Verse darstellte.
Im Gegensatz zu ähnlichen Projekten, die gewaltsam versuchen, die aktuellen Raptrends in die Vergangenheit zurückzuprügeln (Hust, "Kamikaze"), zeigt "Tha Carter V", wie problemlos auch die Trends älterer Tage heute parallel zum Zeitgeist existieren können. Das kann man sowohl als die große Stärke als auch Schwäche des Projekts verstehen.
Über 23 Tracks zeigt Wayne einen so vielfältigen Katalog an Ideen, Stilen und musikalischen Einflüssen, dass es über die monumentale 90-Minuten-Laufzeit tatsächlich fast nie langweilig wird, aber schlussendlich auch kein wahnsinnig kohärentes Projekt entsteht. Man spürt zwar an der Ernsthaftigkeit des Writings, dass Tunechi im Album-Modus ist. Als Ganzes konsumiert fühlt sich das Projekt trotzdem mehr wie ein überbordendes Mixtape an.
Als Hauptthema kristallisiert sich heraus, dass Wayne sein Vermächtnis reflektiert. "You tatted your face and changed the culture", attestiert ihm so 2 Chainz bereits im dritten Track "Dedicate". Auf der anderen Seite der Medaille steht selbstbewusstem Besitzanspruch eine unkonkrete Existenzangst gegenüber, die nur ein Mann entwickeln kann, der über Jahre die Abgründe und Höhenflüge des Superstarlebens durchlebt hat.
Diese Ernsthaftigkeit bildet er auf Tracks wie "Don't Cry" oder "Open Letter" ab, darüber hinaus gibt es gewohnt gekonnte Punchlineraps wie auf "Uproar" und "Dope N*ggaz" oder triumphale Hymnen auf sein Vermächtnis ("Famous"). Interessante Momente finden sich im Akkord, nur ihre Form ist vielgestaltig. "Mona Lisa" sticht mit irrwitzigem "The Art Of Storytelling"-Gefühl und hysterischem Kendrick Lamar-Feature hervor, "Start This Shit Off Right" begeht zusammen mit Ashanti und Mannie Fresh "Ms. Officer"-Territorium und auf "Dark Side Of The Moon" wagen sich Wayne und Nicki Minaj an eine direkte, psychedelische Liebesballade.
Wayne beweist, dass er ein Mann vieler Stärken ist. Nur wenige Konzepte gehen nicht auf, eher ist es die Anordnung und Dichte, die "Tha Carter V" zu einem schwer konsumierbaren Projekt anschwellen lassen. Zum Beispiel, wenn auf "Mona Lisa" mit "What About Me" ein weinerliches Post Malone-Feature ohne Post Malone auftaucht. Oder wenn die Representer zu Beginn der zweiten Hälfte ein wenig zu gleichförmig geraten.
Es hätte definitiv Raum gegeben, die Tracklist ein wenig knackiger zu machen, auch wenn sie in dieser Form in guter Tradition seines Katalogs steht. Es bedarf eben ein wenig Kraft, sich dieses Album komplett zu Gemüte zu führen. Der Konsum macht jedoch klar, dass die große Stärke eben immer noch in seinem Protagonisten liegt.
Wayne strotzt über die volle Spielfilmlänge nur so vor Energie, Flows und Bars. Egal, was der Song konzeptuell vorgibt oder wie der Beat sich entwickelt, fast durchgehend bewegt sich der selbsterklärte beste lebende Rapper unterhaltsam, witzig oder clever. Es verbindet ein wenig die Stunt-Rap-Affinität der "Dedication"-Serie mit seinem ausgefallenen Songthema-Faible aus der Mitte der Zweitausender.
"Tha Carter V" ist kein perfektes Album, aber eines, das Lil Wayne in einem hervorragenden Licht präsentiert und hält auch mit den ikonischeren Ablegern der Serie durchaus mit. Ob der durchschnittliche Fan allzu oft zu allen 23 Tracks zurückkehrt, ist natürlich fraglich, gleichzeitig kann auf diesem reichen Buffet sicherlich jeder eine gute handvoll Tracks abgreifen, die nachhaltig Spaß machen. Dass dazu kein Track qualitativ aus dem Raster fällt, ist schon eine beeindruckende Leistung.
7 Kommentare mit 5 Antworten
bei Don't Cry hatte ich direkt wieder Feel Like Dying Vibes bekommen, Gänsehaut der Track
3/5.
einfach zu viele songs. gute ansätze. kendrick song beattechnisch tonne. dafür song mit snoop highlight.
Kann ich so unterschreiben. Dope N**az mit Snoop Überhit aufgrund des zeitlosen Dre-Beats/Samples!
Wie wäre es eigentlich mal mit einer 6LACK Review? Das Teil ist ein ganz starker AOTY-Anwärter und kriegt hier mal wieder absolut keine Aufmerksamkeit.
istn gutes album geworden. zwar viele filler und etwas in der qualität streuend, aber macht nichts: lil wayne war lange nicht mehr so gut. die positiven elemente überwiegen. 4/5
"Ikonisch" sollte man mit Vorsicht verwenden.
Absolut, sonst verletzt sich noch jemand!
Das ist die goldene Gölz'sche Regel: Pro Rezension mindestens ein aus dem Englischen eingedeutschter Begriff, den es im Deutschen (so) gar nicht gibt.
Also, respektiere mal seine künslerische Freiheit, hm?
iko·nisch
/ikónisch/
Adjektiv
1.
in der Art der Ikonen
2.
bildhaft, anschaulich
Von (1.) her stammt die englische Verwendung des Begriffs bzw. "er/sie/es ist eine Ikone" ist sogar im Deutschen gebräuchlich.
Auch wenn Gleepi in der Tendenz natürlich recht hat, dass Gölzi gerne besonders nah an englischsprachigen Vorbildern formuliert und dadurch auch Begriffe verwendet, die es entweder offiziell nicht gibt oder die kaum jemand verwendet.
So schön, dass Wheezy wieder richtig da ist! Immernoch der best rapper alive!