laut.de-Kritik

Abrechnung mal anders.

Review von

Nein, Danke. Oder doch kein Danke? Das neue Album von Little Simz ist, egal wie man es übersetzt, eine deutliche Absage. An ihren Ex-Manager. An die Musik-Industrie. An die Gesellschaft. Selten hat sich eine Abrechnung so gut angehört.

Sind wir ganz ehrlich: "No Thank You" ist kein innovatives Konzept. Dass Künstler*innen nach den ersten Erfahrungen im erbarmungslosen Mahlwerk der Unterhaltungsindustrie wütend ihre Stimme erheben und dem Gefühl von Ausbeutung, Hilflosigkeit und kreativer Beschränkung auf musikalische Weise Luft verschaffen, kam schon öfter vor. Man denke an Eminem, Pink, Maroon 5, The White Stripes, GZA und so weiter und so fort.

Gemein haben sehr viele dieser Werke vor allem eins: Als stinknormale Büro- bzw. Werkstatt-Mockels können viele Hörende relativ wenig mit dem Inhalt anfangen. Während wir alle schon mal Herzschmerz hatten, den Alltag gehasst oder härtere Tage durchgemacht haben, haben sich vermutlich die wenigsten von uns mit Menschen über Lizenzgebühren, Tour-Bedingungen oder künstlerische Feinheiten gestritten. Der Wert dieser Alben und Songs liegt daher häufiger in der emotionalen Befreiung der Künstler*innen als im kreativen Schaffen selbst.

Anders ist das bei Little Simz. Sie nutzt ihr Ausnahme-Talent dazu, um selbst persönlichste Business-Details so lyrisch zu schleifen, dass zeitlose Poesie dabei entsteht. "Yeah I refuse to be on a slave ship / give me all my Masters and lower your wages / What I'm bringing to the table is more than a feast for the belly of the beast!" Die zehn Songs, aus denen "No Thank You" besteht, haben es in sich. Und das ist durchaus mehrdeutig gemeint, denn nicht nur wettert die Rapperin gehörig gegen ihre Ex-Businesspartner, sie tut das auch mit hoher textlicher Intensität. Auf der ersten Hälfte des Albums bekommen die Produktionen kaum Raum zum Atmen, vielmehr ist jeder Beat prall gefüllt mit glühender Wut und angestautem Frust. "They say 'Don't give up to much of the truth to 'em' / well I got nine more songs in the boot for 'em."

Bloß gut, dass Simz mit Inflo einen Produzenten im Rücken hat, der erstens sein Handwerk beherrscht und zweitens einfühlsam genug ist, um ihr den Raum auch zuzugestehen. Anders als bei "Sometimes I Might Be Introvert" oder fünfteiligen Sault-Alben geht es auf "No Thank You" sehr reduziert zu. Die Beats bestehen zum großen Teil aus verhältnismäßig einfach strukturierten Loops, die, wo immer es passt, atmosphärische Instrumentale oder Synthies anbieten. Das wohl beste Beispiel hierfür ist "Broken", das mit ein paar Streichern, tickenden HiHats und einem Chor, der die ganze Zeit über genau zwei Verse wiederholt, ganze sieben Minuten füllt. Und dabei einfach nicht langweilig wird.

Auch sonst überzeugen die Produktionen. Stilistisch knüpft "No Thank You" an den Vorgänger an, bietet filmreife Orchester-Dramatik, genauso wie sanfte, organische Bassläufe und anschmiegsame Synthesizer. Ein wahrer Gaumenschmaus für die Ohren. Das Album verdient sich seine Lorbeeren natürlich nicht nur durch die Produktion, sondern hauptsächlich durch Little Simz, die sich lyrisch nicht in Abrechnungen verliert, sondern den Blick fürs Große & Ganze beibehält.

So macht "No Thank You" sehr deutlich, warum für viele Angehörige benachteiligter Gruppen in Situationen von persönlichem Ungerechtigkeitsempfinden auch Rassismus, Sexismus, Ableismus & Co. reinspielen. Denn das Trauma, das strukturelle Benachteiligungen in Betroffenen hinterlassen, lässt sich nicht einfach ein oder ausschalten. Es wird einfach ungefragt getriggert. "Been beatin on, we been chewed on / but it happened years go, so we should just move on / you think that man don't know pain cause he got a suit on / cause he finally got a plate that he can have food on", rappt Simz beispielsweise in "X". Und: "Generational Trauma, you've had to deal with it alone."

Little Simz schlägt aber auch persönliche Brücken, zum Beispiel zu ihrem Vater. Dessen Geschichte arbeitet sie in "Broken" auf, das gleichzeitig als wortgewaltiges Beispiel für Migrations-Biografien in ganz Europa dient. Sie spricht über das wohltuende Gefühl des Verliebtseins. Und sie setzt ihrer Wut und Enttäuschung über die Industrie ein aalglattes Selbstbewusstsein & Empowerment entgegen - wie in "Gorilla", dass vor kreativem Ego nur so trieft. "I'm cut with a different scissor / from the same cloth as my dear ancestors / that's why this shit gives you the shivers / I'm that cold."

Kurzum, "No Thank You" ist wahnsinnig unterhaltsam, auch wenn man von Industrie-Gebashe nicht viel hält. Little Simz beweist wieder einmal, dass sie zu den besten Lyriker*innen unserer Zeit gehört. Die Paarung mit Produzent Inflo tut dabei ihr übriges. Und übrigens deutet Simz bereits an, dass hier noch längst nicht Schluss ist.

"Bank got bigger, been a different species / tunes in the locker, been waitin to unleash these." Aufmerksame Tour-Besucher könnten bereits ahnen, wohin die Reise geht - denn während der Konzerte quer durch Europa spielte die Britin einen noch unveröffentlichten Song, der, sagen wir mal, nicht mit seiner organischen Wärme überzeugte. Der Ton, er wird wohl wieder etwas rauer, bei Little Simz.

Trackliste

  1. 1. Angel
  2. 2. Gorilla
  3. 3. Silhouette
  4. 4. No Merci
  5. 5. X
  6. 6. Heart On Fire
  7. 7. Broken
  8. 8. Sideways
  9. 9. Who Even Cares
  10. 10. Control

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4 Kommentare mit 4 Antworten

  • Vor einem Jahr

    Zwei Skandale in einem. In

    1. Dreck wie Feuerschweif wird hier praktisch Stunden nach Erscheinen rezensiert, während ich auf diese Zeilen über Little Simz wochenlang warten muss. Täglich habe ich mindestens 87 Mal nachgeschaut, ob ich die Würdigung übersehen habe. Nein, habe ich tatsächlich nicht.

    2. Nur vier Sterne? Ernsthaft???

  • Vor einem Jahr

    Finde Rezi und Wertung eigentlich recht passend. Dass das etwas Reduziertere im Sound ihr besser steht gehe ich mit, sind auch ein paar sehr heftige Strophen drauf, aber jetzt mMn auch nicht DER übertriebene Banger-Track für die Dauerschleife, hinten raus zudem ein bisschen dudelig/schwülstig.

    Aber ja, von mir aus gerne weiter angepisst, macht schon Bock, sie granteln zu hören. Auch wenn ich ihr natürlich wünsche, dass sie mit dem Album ein Stück weit Katharsis erfahren hat.

  • Vor einem Jahr

    Positiv finde ich die Rückkehr zu 10 Tracks und das der Bombast des Vorgängers abgelegt wurde. Was mich aber etwas stört ist, dass sowohl Beats als auch Vortrag zu monoton sind, um die durchschnittlich 5 Minuten pro Track zu füllen. Ich vermisse so ein bisschen die Variation und habe beim wiederholten Hören gemerkt, wie ich nur auf den nächsten Track gewartet habe. Auch thematisch erreicht es mich nicht wirklich. Das wettern gegen unfaire Businesspartner langweilt etwas, vielleicht weil ich auch einfach keinen Bezug dazu habe. Aber an einigen Stellen habe ich den Eindruck, dass sie ihre eigene Verantwortung für die getroffenen Entscheidungen etwas außen vor lässt und der Trotz zu viel Raum einnimmt.
    Insgesamt immer noch 4/5, da es immer noch Little Simz ist, aber auch ein weiterer Release, der hinter meinen Erwartungen zurück bleibt.

  • Vor einem Jahr

    Weiteres Meisterwerk der Hip-Hop-Göttin. Mein Favorit ist Silhoutte. Mein meistgehörtes Album, seit es an einem Montag im Dezember plötzlich erschienen ist. Ich war beim Konzert im November 22 im Zoom in Frankfurt in der ersten Reihe, pure Magie. Neben Little Simz hat mich auch das sehr musikalische Publikum beeindruckt, selten so präzise Fan-Gesänge gehört.