laut.de-Kritik
Halsbrecherische Fahrt durch Hardcore-Stromschnellen.
Review von Thomas KlausEasy Listening geht definitiv anders. Nach einem verspulten Bandsalat-Intro, das ernsthafte Zweifel an der Funktionstüchtigkeit der heimischen Stereoanlage aufkommen lässt, wird man von Llynch im Opener "Symbol Repetition" ab Sekunde 13 ohne Vorwarnung mit ins wacklige Boot gerissen. Es steht eine halsbrecherische Fahrt durch Avantgarde-Hardcore Stromschnellen bevor.
Begleitet von hypnotischen Stakkato-Riffs und anpeitschenden Drums keift der Sänger so unvermittelt los, dass man erst mal einen Schritt von den Boxen zurückweicht, um Sicherheitsabstand zu gewinnen. "Better run fast, you won't get time to hide" – treffender könnte diese Ansage nicht gewählt sein.
Warum auch nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen? Den Atem verschlägt es einem beim Debütalbum von Llynch früher oder später sowieso.
Nachdem die Band ihr letztes Kurzformat "Transition Songs" 2005 auf dem DIY-Kanal veröffentlicht hat, feilten die fünf Klangforscher mit notorisch ausgeprägtem Hang zu Experimentiertrieb, Detailverliebtheit und Perfektionismus drei lichtarme und modergeruchs-schwangere Jahre in einem Saarbrücker Kellerloch - Pardon: Proberaum – an diesen zehn vertrackten Bastarden. Ihrer ureigenen Vision, inspiriert von Grenzen sprengenden Artgenossen wie Botch, Converge, Deftones oder Shora sind sie bis heute konsequent treu geblieben.
Llynch zelebrieren auf "We are our Ghosts" nach wie vor ihre düstere, noisige Version von Heavy-Rock. Auf Albumlänge setzen sie ihre klaustrophobischen Soundscapes allerdings noch wirkungsvoller und durchschlagender in Szene. Diese 65 Minuten sind wahrlich eine echte Herausforderung für die Synapsen. Nicht nur aufgrund ihres Namens empfehlen sich die Künstler als adäquates musikalisches Pendant zu jener verstörenden, seltsam ungreifbaren Atmosphäre, die Kultregisseur David Lynch in seinen Filmen heraufbeschwört.
Natürlich will auch dieser schwere Brocken erst mal verdaut sein, doch wer sich durchbeißt, wird mit einer der vielleicht vielschichtigsten und intensivsten Freistil-Hardcore-Platten seit "White Pony" belohnt. Aber Vorsicht: je mehr sich der Schleier lüftet, je klarer man hier durchblickt, desto unaufhaltsamer scheint sich diese albumgewordene Flutwelle in all ihren Klang-Dimensionen auszubreiten. Dabei gehen Llynch dermaßen dynamisch zu Werke, dass das Gefühl für Zeit und Raum gehörig aus den Fugen gerät.
Beim Arrangieren der Stücke scheinen Llynch jede einzelne Note von allen Blickwinkeln aus betrachtet und ausgiebig auf ihre Halbwertszeit hin abgeklopft zu haben. Nach der anfänglich großen Konfusion angesichts der sperrigen, dichten und unnahbaren Songkolosse fällt es einem mit jedem weiteren Hördurchgang wie Schuppen von den Ohren.
Nach und nach entdeckt man die beeindruckende musikalische Finesse hinter den Tracks, die unglaubliche Stilvielfalt, mit der Llynch hier operieren. Inmitten der überwiegend im Scream-Modus angelegten Vocals schälen sich immer mehr tragende Harmonien heraus. Der Gesangsstil erinnert oftmals an Chino Moreno von den Deftones, zumal die Stimme auch bei Llynch immer wieder als Instrument eingesetzt- und durch zahlreiche Effekte verfremdet wird.
Hardcore ist anno 2008 immer noch ein verdammt breites Feld. Mit "We Are Our Ghosts" bewegen sich Llynch inmitten dieses weit verzweigten Labyrinths an Sub-Sparten auf einem bislang unentdeckten Trampelpfad und bringen noch mehr Dunkel ins diffuse Licht. Wer in Belangen ambitionierter und kreativer Heavy Mucke zum Jahresende Bilanz ziehen oder gar mitreden will, ist gut beraten, sich dieses Musterbeispiel von Llynch zu besorgen.
1 Kommentar
...durchweg gutes Material, allerdings Frage ich mich ernsthaft wie man Llynch zum Album der Woche machen kann und Escapado aus Flensburg (trotz mehrer Hinweise) einfach ignoriet - Die beiden Bands zusammen auf Tour, wäre ein voller Erfolg