2. November 2019

"Auf deutschen Festivals geht es nur ums Saufen"

Interview geführt von

Längst zählen Long Distance Calling zur Speerspitze experimenteller Rockbands aus Deutschland. Nach der letztjährigen Rückkehr zu ihren instrumentalen Wurzeln erscheint diesen November nach dreizehn Jahren Bandgeschichte erstmals eine längst überfällige Liveplatte der Münsteraner. Deren Release begehen sie mit einem eigenen Festival.

Im April 2019 gaben Long Distance Calling im Rahmen ihrer "Seats & Sounds"-Minitour an drei aufeinanderfolgenden Tagen in der Ludwigsburger Scala, der Kölner Kulturkirche sowie der Altonaer Kulturkirche in Hamburg drei außergewöhnliche Konzerte in erlesenen und für eine Rockband mit progressiven Elementen eher nicht alltäglichen Locations. LDC statteten die ausnahmslos bestuhlten Spielstätten mit Surround-Sound, Visuals und einer eigens erstellten Lightshow aus. Gastmusiker waren selbstverständlich auch mit dabei. Unter dem Namen "Stummfilm – Live From Hamburg" erscheint der Mitschnitt des Hamburger Konzertes jetzt als erstes offizielles Livealbum des Westfalener Quartetts.

Zusätzlich feiern Long Distance Calling dieses Jahr das zehnjährige Erscheinen von "Avoid The Light". Kein Wunder also, dass es fast alle Songs dieses Albums auf die äußerst exquisite Setlist von "Stummfilm" geschafft haben, die sich wie eine Werkschau über das Schaffen der Post Rock- und Post Metal-Institution liest. Die Veröffentlichung ihres Livealbums feiern die Münsteraner mit einer Release-Show auf dem eigens zu diesem Anlass ins Leben gerufene "Golden Silence Festival" am 2. November in ihrer Heimatstadt im ehrwürdigen Skaters Palace. Gründe genug also für ein Ferngespräch von Süddeutschland in Richtung Münsterland mit dem bestens gelaunten und redseligen Drummer Janosch Rathmer.

Moin Janosch, wie geht es? Alles im Lot?

Ja, auf jeden Fall. Wir sind gerade ein bisschen im Stress, weil wir nächste Woche unsere Release-Show zum brandneuen Album spielen und jetzt zusätzlich auch noch frische Tourdaten für kommendes Jahr angekündigt haben. Abgesehen davon aber ist alles in bester Ordnung.

Mit eurer CD / DVD "Stummfilm" habt ihr echt eine starke Leistung aufs Parkett gebracht. Nach mittlerweile dreizehn Jahren Bandgeschichte ohne Livealbum ein längst überfälliges Release. Warum war jetzt die Zeit reif dafür?

Vielen Dank. Du hast natürlich absolut recht. Wir sind jetzt schon eine lange Zeit unterwegs und eigentlich ist unsere Musik auch prädestiniert dazu, eine offizielle Liveplatte zu machen. Eines war für uns im Vorfeld aber immer klar: Wenn wir ein solches Album machen, dann muss es wirklich etwas Spezielles sein, das absolut auf den Punkt gebracht ist. Das heißt, dass wir dazu eine spezielle Show liefern wollten, um unseren Fans mit dem filmischen Mitschnitt via Blue-ray auch visuell etwas Besonderes bieten zu können. Deswegen haben wir uns so lange Zeit gelassen. Letztlich hat sich das Warten aber gelohnt, denn das Ambiente in der Altonaer Kulturkirche war wirklich außergewöhnlich toll. Wir konnten die Band dadurch ein bisschen auf das nächste Level hieven. Für uns ist das jetzt Long Distance Calling 2.0. Von daher denke ich, dass es eine gute Entscheidung war, das Konzert jetzt als Liveplatte zu veröffentlichen und das Ganze auch zu visualisieren.

Inwiefern empfindest du diese Erfahrung als Long Distance Calling 2.0?

Wir hatten eine deutlich größere Produktion als sonst und haben dafür natürlich auch mit Gästen und Visuals gearbeitet. Das hat den Gig deutlich aufgewertet. Die Konzertbesucher saßen zudem alle, konnten die Show also ein bisschen wie einen Besuch im Theater oder Kino genießen. Es war eine sehr eigene Atmosphäre dort in der Kirche. Es war sehr viel stiller als sonst, auch während der ruhigen Passagen. Eben ein bisschen wie im Kino. Dort traut sich meistens ja auch niemand zu reden, wenn man erst einmal sitzt. Für uns Musiker ist das sehr, sehr schön. Klar, die Leute rasten bei uns jetzt auch so nicht aus, da machen wir einfach die falsche Musik dafür. Die Leute hatten aber auch viel mehr Hemmungen, ihre Smartphones aus den Taschen zu holen und nach oben zu halten. Es war rundum eine sehr intime Atmosphäre und wir hatten das Gefühl, dass sich die Fans noch mehr als sonst auf das Konzert einließen und konzentrierten. Das war eine total angenehme Erfahrung und etwas durch und durch Besonderes für uns.

Gerade wegen der intimen Atmosphäre musste ich während des Schauens von "Stummfilm" öfters an "Live in Pompeii" von Pink Floyd denken...

...das ist natürlich eine sehr schöne Referenz (lacht).

Hinsichtlich der Atmosphäre fällt mir der Philosoph und Ästhetiker Gernot Böhme ein, der Atmosphäre in seinem gleichnamigen Buch als "die gemeinsame Wirklichkeit des Wahrnehmenden und des Wahrgenommenen" definiert. Inwiefern hat dieser Gedanke bei den Vorbereitungen eurer "Sounds & Seats"-Konzerte hinsichtlich Bühnenbild und der akustischen Möblierung eine Rolle gespielt?

Das Zitat trifft den sprichwörtlichen Nagel auf den Kopf. Letztlich geht es nämlich genau darum, bei einem solchen Konzert eine gemeinsame Stimmung zu erleben. Da sind die Zuschauer wichtig, da ist das Visuelle wichtig, genau wie natürlich die Akustik und das ganze restliche Drumherum. Wir möchten einfach, dass die Zuschauer Long Distance Calling in der bestmöglichen Form erleben. Das heißt, sowohl visuell als auch vom Sound her und natürlich auch von uns. Wir geben uns da größte Mühe, unseren Fans spezielle Sachen zu bieten. Seien es nun die Gastmusiker, bestimmte Arrangements, oder sonstige außergewöhnliche Dinge. Wir haben da einen sehr hohen Anspruch an uns selbst. Die Erfüllung dieses Anspruches funktionierte bei dieser Show bestens und das erhoffen wir uns natürlich auch von den zukünftigen Gigs.

Ein wesentlicher Teil davon ist der unglaublich gute Sound, den ihr auf "Stummfilm" konserviert habt. Im Vergleich zu den Studioaufnahmen kommen die Songs druckvoller, organischer und vor allem um einiges dynamischer herüber. War es sehr schwer, dieses für eure Spielweise von Instrumentalmusik elementare Klangbild in einer Kirche zu erreichen?

Ja! Unser Soundmann [Florian "Flow" Steppke; Anm. d. Red.] hat auf gut Deutsch gesagt gekotzt, als er die Kirche betrat (lachen). Ich sehe ihn wirklich selten schlecht gelaunt. Gerade in Hamburg aber ist die Kirche einfach sehr hoch und sehr groß und deswegen enorm hallig. Das machte es klangtechnisch für ihn überaus schwierig, doch er meisterte die Herausforderung hervorragend. Das gilt natürlich ebenfalls für denjenigen, der unsere Platte gemischt und gemastert hat [Johannes "Jojo" Brunn; Anm. d. Red.]. Auch er hat wahnsinnig gute Arbeit geleistet. Bei so schwierigen Umgebungen sind wir natürlich definitiv auf die Hilfe anderer angewiesen, die uns bezüglich des Erreichens unserer Ziele und Klangideale jederzeit Tipps und Hinweise geben können. Gerade unser Gitarrist Dave Jordan und ich haben einen sehr hohen Anspruch in punkto Klangbild, auch bei unseren regulären Platten. Dazu hören wir einfach selbst zu gerne Musik, die gut klingt. Meiner Meinung nach wird leider bei vielen Konzerten nicht genug Wert auf einen guten Klang gelegt, auch wenn Konzertbesucher das vielleicht oftmals nicht wirklich direkt wahrnehmen. Unterbewusst aber spürt glaube ich jeder, wenn der Sound gut ist. Ich finde, dass man das den Leuten auch schuldig ist. Wenn die Fans Eintritt bezahlen, dann muss (betont) man ihnen einen guten Sound bieten.

Nicht weniger wichtig allerdings ist ja immer auch eine adäquate Setlist. Wie habt ihr diese nach dramaturgischen Standpunkten ausgearbeitet?

Das war ehrlich gesagt relativ einfach. Bei allen drei Konzerten der Tour haben wie die Setlist in zwei Blöcke aufgeteilt. Ein Set bestand nahezu komplett aus unserer zweiten Platte "Avoid The Light". Erstens war es, wenn man so will, so etwas wie unser Durchbruchsalbum und zweitens feierten wir damit dieses Jahr dessen zehnjähriges Jubiläum. Lediglich das einzige gesungene Stück [The Nearing Grave; Anm. d. Red] haben wir ausgelassen. Damit war die erste Hälfte der Playlist im Prinzip schon gefüllt. Die andere Hälfte war dann mehr oder weniger so etwas wie ein Best-of-Set, bei dem wir geschaut haben, an welcher Position jene Songs besonders gut passen, die wir mit unserem Gast-Cellisten [Luca Gilles; Anm. d. Red.] spielten. Das gleiche gilt auch für die etwas elektronischer klingenden Songs von uns, da wir ebenfalls jemanden mit dabei hatten, der Percussion und Electronics bediente [Aaron Schrade; Anm. d. Red.]. Der gesamte Prozess gestaltete sich aber insgesamt relativ einfach. Natürlich haben wir auch relativ viele Songs von unserem letzten Album "Boundless" gespielt.

Tatsächlich genau die Hälfte der Tracklist der Platte.

Genau, ja. Dazu gehört auch das Stück "Like A River", welches wir das erste Mal live umgesetzt haben. Auch ein sehr spezieller Song für uns, da er diese Westernfilm-Atmosphäre hat. Den haben wir jetzt mit Cello gespielt. Das hat super gepasst. In so einer Kirche muss man aufpassen, dass man jetzt kein bretthartes Set spielt. Vor allem ist es zusätzlich wichtig, dass es nicht zu schnell wird. Da mussten wir wirklich streng Rücksicht drauf nehmen. Hast du zu viele Drum-Schläge, dann wird es wieder schwierig den Sound gut hinzukriegen. Wir haben uns da also definitiv vorher mit unserem Tontechniker abgesprochen. Es nutzt dir ja nichts, wenn du einen total schnellen und harten Song spielst, der dann aber im Vergleich zu den anderen Stücken vom Sound her total abfällt. Aus dieser Hinsicht war das Zusammenstellen der Setlist dann doch durchaus eine Herausforderung.

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Lucas Gilles und Aaron Schrade?

Aaron ist ein Münsteraner Beatproduzent, der sonst auch eher aus der Hip Hop-Ecke kommt. Ich habe mich selbst in den letzten zwei oder drei Jahren mehr mit elektronischer Musik, instrumentalem Hip Hop und vor allem mit dem Bauen von Beats beschäftigt. In diesem Rahmen hab ich ihn dann irgendwann kennengelernt. Witzigerweise spielt er auch Schlagzeug und hat mich letztes Jahr bei zwei Shows vertreten, weil ich Vater geworden bin und dann auf Festivals nicht spielen konnte. Ihn zu fragen, ob er Lust hat ein paar Percussions und elektronische Sachen beizusteuern, lag also einfach nahe.

Luca haben wir über zwei, drei Ecken gefunden. Wir haben einen Cellisten gesucht, der jetzt nicht nur aus dem klassischen Bereich kommt, sondern sein Instrument auch experimenteller bedient. Wir sind mit sehr viel Glück auf ihn gestoßen. Er ist ein toller und Musiker und hat sich gut in das Gesamtgefüge eingebracht. Das passt total gut und wir werden ihn mit Sicherheit auch in Zukunft wieder das ein oder andere Mal dabei haben.

Warum habt ihr "The Nearing Grave" ausgelassen?

Weil wir diesen Song wenn, dann nur mit Katatonia-Sänger Jonas Renske spielen. Er hat ihn damals für uns ja auch eingesungen. Terminlich war er im Rahmen der drei Dates aber einfach nicht verfügbar und zudem wäre es ja eh nur für diesen einen Song gewesen. Das war dann letztlich auch der Grund, weswegen wir ihn weggelassen haben. Wenn wir ihn aber irgendwann einmal mit ihm spielen, dann würden wir das auch echt gerne machen. Aber wir wollten das Stück ungern von irgendwem singen lassen. Das kam einfach nicht in Frage.

Überlegungen, andere Songs von euch mit Gesang in einer angepassten, alternativen Instrumentalversion mit in die Setlist einfließen zu lassen gab es keine?

Nein, das kam auch nicht in Frage. Diese Songs sind bewusst mit Gesang. Wir haben auch beim vorletzten Album "Trips" sogar sehr viel mit Gesang gearbeitet und haben damals ja auch mit Sänger Petter Carlsen eine Tour gespielt. Aber wir haben gemerkt, dass Long Distance Calling instrumental einfach am besten funktionieren. Genau das schätzen die Leute aber auch an uns. Diese Nische, die wir da so für uns haben, die wollen wir weiter ausbauen und da gibt es ja auch noch unheimlich viele Möglichkeiten. Wir haben die Sache jetzt mit "Stummfilm", beziehungsweise dem "Seats & Sounds"-Konzept, zum ersten Mal in jeglicher Hinsicht ein bisschen aufgepimpt. Wir hatten Surround-Sound, sehr viel mehr Licht, Visuals und so weiter. In diese Richtung gibt es noch so viele Ideen, wie wir das Ganze noch mehr in Art eines Soundtracks gestalten können. So, dass man quasi diese Kino- oder Theateratmosphäre hat – nur halt ohne Sprecher. Deswegen ist das momentan für uns erst einmal kein Thema mehr. Das heißt jetzt nicht, dass wir uns für die nächste Platte nicht vorstellen können, einen weiteren Song mit Gesang zu machen. Aber wenn wir das dann live spielen, dann nur mit Gesang und nicht instrumental.

"In Köln wird es im komplett bestuhlten E-Werk ein bisschen experimentell werden."

Das hört sich für mich nach Bestrebungen an, die konzeptionelle Ausrichtung der Band teilweise etwas mehr in Richtung Programmmusik zu bewegen, um ein verstärkt ganzheitliches Gesamterlebnis aufzubauen.

Definitiv, ja! Das ist genau das, was wir jetzt zum ersten Mal ein bisschen probiert haben und was auch total gut funktioniert hat. Das hat super viel Spaß gemacht. Aber nicht nur uns, dem Publikum ebenfalls. Im Umkehrschluss bedeutet das natürlich auch, dass es sich im Eintrittspreis widerspiegelt, wenn man die Produktionskosten hebt und in solchen speziellen Locations spielt. Aber jeder, der sich darauf einlässt, ist letztlich auch gewillt zehn oder fünfzehn Euro mehr zu bezahlen und dafür dann aber auch etwas Besonderes zu erleben. Wir achten sehr darauf, dass wir das gewährleisten können. Wir nehmen eigenes Licht mit, eigenen Sound und auch die eigene Surround-Anlage. Deswegen haben wir jetzt auch spezielle Locations, die man jetzt nicht zwanzig Mal im Jahr besucht. Auf der kommenden Tour spielen wir zum Beispiel auch erstmals in Hamburg im kleinen Saal der Elbphilharmonie - die haben sich dort mittlerweile auch für unsere Art von Musik geöffnet. Ich denke, viele Leute, die zu unseren Konzerten kommen, waren vielleicht noch nie da. Jetzt haben sie die Möglichkeit, sich dort auch einmal ein Konzert anzuschauen, das jetzt nicht unbedingt Klassik oder Jazz ist. Solche besonderen Locations sorgen eben immer für besondere Erlebnisse, weswegen wir das möchten unbedingt weiterführen möchten. Wir hoffen natürlich, dass die Leute uns da auch folgen.

Kanntet ihr die für die Fortsetzung der "Seats & Sounds"-Tour im Herbst 2020 gebuchten Locations bereits? Wenn nicht, nach welchen spezifischen Kriterien habt ihr sie ausgewählt?

Das war ein längerer Prozess. Wir haben jetzt auch tatsächlich zum ersten Mal eine Tour fast ein Jahr im Voraus angekündigt. Zum Teil kannten wir die Locations. Einige Spielstätten konnten wir nicht buchen, weswegen wir ausweichen mussten. In Köln wird es ein bisschen experimentell werden. Ich stelle es mir total schön vor, ein komplett bestuhltes E-Werk zu bespielen. Natürlich werden wir auch dort unsere Surround-Anlage und so weiter aufbauen. Auch dort werden die Leute etwas Spezielles erleben, denn viele bestuhlte Konzerte finden im E-Werk nicht statt. Auf der anderen Seite haben wir aber auch Theater gebucht, in Mannheim das Capitol, in Stuttgart den Mozartsaal der Liederhalle oder, wie gesagt, die Elbphilharmonie. Ein paar Kirchen sind auch wieder dabei. Wir haben also schon darauf geachtet, dass sich der Anspruch, etwas Besonderes zu bieten wie ein roter Faden durch die kommende Tourplanung zieht. Es macht uns großen Spaß, das alles vorzubereiten. Und es ist natürlich auch für uns toll, all diese Locations zu sehen. In zwei oder drei Stätten war ich bereits zu Gast, aber gespielt habe ich noch in keiner davon. Es ist also nicht nur für die Fans, sondern auch für uns immer außergewöhnlich – vor allem in Hinsicht auf die Stimmung während solcher Konzerte. Klar, eine schwitzige Rockshow zu spielen macht auch total Spaß und wir werden das zukünftig auch immer wieder machen. Das wollen wir jetzt nicht komplett weglassen. Für den Moment aber konzentrieren wir uns auf das aktuelle Ding.

Gibt es, abgesehen von den neu bestätigten Konzerten, weitere Traum-Locations, die ihr unbedingt bespielen wollt?

Ach, da gibt es echt viele. Wenn wir das Ganze jetzt so weiterführen können, dann wäre der absolute Ritterschlag, irgendwann in der Royal Albert Hall in London zu spielen. Aber auch sonst gibt es so viele tolle Orte für Konzerte. Zum Beispiel das Tivoli in Utrecht. Eine Wahnsinns-Location mit einer ganz tollen Akustik. Mit dieser Show unter freiem Himmel in einem komplett bestuhlten Amphitheater zu gastieren wäre ebenfalls eine tolle Geschichte. "Live In Pompeii" hast du ja selbst schon angesprochen. Da gibt es noch viele Möglichkeiten, klar. Die nächste Tour ist für uns jetzt, aufgrund der Größe und der Art der Locations, ein sehr großer Schritt.

Wie habt ihr selbst die im Vergleich zu normale Shows anderen Erfahrungen/Erlebnisse bei den bereits gespielten drei Shows der "Sounds & Seats"-Tour auf der Bühne wahrgenommen?

Es fängt schon damit an, dass die Leute ruhig sind. Wenn du einen zu ruhigen Song spielst, dann kannst du dir sicher sein, dass du die Leute vor der Bühne bei den ganz leisen Passagen reden hörst. Völlig egal ob du eine Clubshow oder ein Festival spielst. Du kannst den Leuten vor der Bühne das Reden natürlich nicht verbieten. Das ist ja in gewissem Rahmen auch völlig okay. Teilweise ist es aber so ätzend laut, dass ich es schon fast als respektlos empfinde. Das ist nicht schön. Handys sind auch nicht schön. Wir haben irgendwann eine Show gespielt, ich glaube, das war sogar in Hamburg, bei der es so extrem war mit den Handys, dass die Leute zum Teil das komplette Konzert damit beschäftigt waren. Das sind Dinge, die wohl jeden Musiker irgendwie stören. Bei den aktuell gespielten Shows war das überhaupt nicht der Fall. Es war ruhig, die Leute haben zugehört und die Konzerte genossen. Uns hat das auf diese Art sehr viel Spaß gemacht.

"Ich kann mir durchaus vorstellen, dass Bands wie Explosions In The Sky oder aber auch Bonobo bei uns auf dem "Golden Silence Festival" spielen."

Wir müssen noch auf euer eigenes Festival zu sprechen kommen, das dieses Jahr erstmalig stattfindet und auf dem ihr die Release-Show zu "Stummfilm" spielen werdet...

...Ja, sehr gerne.

Das Festival wird am 2. November im Skaters Palace in Münster unter dem Motto "Golden Silence" stattfinden. Was war eure Hintergrundidee dazu?

Die Idee war, ein komplettes Instrumentalfestival auf die Beine zu stellen. Das klingt vielleicht erst einmal komisch. Ich glaube aber, dass ein Festival in dieser Form so noch nicht wirklich existiert. Zwar gibt es ein paar Post Rock-Festivals, aber die bedienen im Prinzip nur eine Art von Musik ...

Gleiches gilt auch für derartige Festivals im aktuellen Psychedelic- und Stoner Rock-Bereich. Allerdings fahren die Veranstalter dort meist auch nur eine Schiene ...

Deswegen finden wir unser Konzept auch so interessant. Unser Bassist Jan Hoffmann und ich waren federführend bei der Planung des Festivals. Falls es ein Erfolg wird, hätten wir auch Lust, das Festival in den nächsten ein oder zwei Jahren mit einem musikalisch noch etwas breiter gefächerten Line-Up weiterzuführen. Wenn man jetzt groß denkt, dann könnte ich mir durchaus vorstellen, dass Bands wie Explosions In The Sky oder aber auch Bonobo bei uns spielen. Für uns ist das deshalb so spannend, da wir selbst einen ziemlich breit aufgestellten Musikgeschmack haben, der oft von Rock oder Metal in Richtung Hip Hop, Electronic und so weiter abweicht. Gerade in diesem Bereich gibt es auch sehr viele spannende Acts. In diesem Jahr wollen wir das Risiko ein bisschen minimieren und fungieren deswegen selbst als Headliner. Das soll jetzt aber kein reines Long Distance Calling Festival werden, auf dem wir jedes Jahr spielen. Wir wollen das schon so aufziehen, dass die Leute allgemein neugierig werden auf instrumentale Musik und feststellen, dass es auch ohne Gesang sehr spannend sein kann.

Aber besteht nicht gerade aufgrund der gebotenen Vielfalt an unterschiedlichen Genres von Hip Hop mit KUF über Stoner Rock mit Monkey3 bis hin zu den Post Rock-Klängen von euch selbst die Gefahr, dass Teile der Konzertbesucher überfordert sein könnten?

Das glaube ich nicht, nein. Ich denke, man muss sich nur darauf einlassen. Dann kann man mit jeder Band des Line-Ups auch etwas anfangen. Ich glaube schon, dass das sehr gut zusammen funktioniert und dass die Leute dadurch etwas offener werden und sich nicht nur immer vor ihrer eigenen musikalischen Haustüre umschauen. Man muss sich einfach auch mal aktiv andere Sachen anhören. Das habe ich selbst in den letzten Jahren sehr oft gemacht und habe dadurch total viel gewonnen. Man muss sich natürlich seine Sachen überall herauspicken, aber es gibt in jedem Genre gute Musik. Ich glaube aber sowieso, dass Fans von Instrumentalmusik offener gegenüber Experimentellem sind. Von daher denke ich schon, dass das gut funktioniert.

Warum braucht es deiner Meinung nach dieses Festival innerhalb der bereits schon sehr reichhaltig gefüllten Festivallandschaft in Deutschland?

Es braucht dieses Festival, um die Leute einfach neugierig auf spezielle Musik zu machen, die auch abseits von drei Minuten andauernden Popsongs im Radio Relevanz hat und bei der man es schaffen kann, in der Musik abzutauchen und sich nicht einfach nur berieseln zu lassen. Das fehlt unserer Meinung nach in der deutschen Festivalkultur, in der es eigentlich nur darum geht sich richtig zu besaufen und ein Wochenende lang Party zu machen. Die Bands sind dabei vordergründig erst einmal zweitrangig. Das wollen wir damit ein bisschen ändern. Die Leute sollen die Musik sehr bewusst wahrnehmen und ich glaube, das wird man auf unserem Festival sehr gut können.

Gibt es noch etwas, das du unseren Lesern mitgeben möchtest?

Alle, die uns jetzt bis Mitte oder Ende 2020 noch einmal sehen wollen, sollten die Gelegenheit dazu jetzt wahrnehmen. Wir werden uns nach dem Festival ein bisschen zurückziehen und anfangen, neue Sachen zu schreiben. Wann dann ein neues Album kommt, das ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht so richtig klar. Ansonsten: Bleibt neugierig auf neue Musik, neue Ideen und neue Konzepte. Und natürlich: Kommt zu den Konzerten und unterstützt die Künstler!

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