2. Mai 2016

"Planung wird überbewertet"

Interview geführt von

Neuer Sänger, neues Album, neues Label: Drei Jahre nach ihrem letzten Studioalbum "The Flood Inside" melden sich Long Distance Calling mit einem runderneuerten Gesamtpaket zurück.

Bei den Jungs von Long Distance Calling hat sich in der jüngeren Vergangenheit viel verändert. Den Status einer reinen Instrumental-Band haben die Post-Rocker aus Münster ja schon lange abgelegt. Mit ihrem letzten Album "The Flood Inside" gingen sie aber noch einen Schritt weiter. Plötzlich präsentierte sich in Gestalt von Martin Fischer ein fester Sänger, der der Hälfte des Albums seinen Stempel aufdrückte.

Auch das neue Album "Trips" wartet mit vielen Gesangsspuren auf. Die wurden allerdings nicht von Martin Fischer verewigt sondern von einem Norweger namens Petter Carlsen. Bei der Produktion gingen Long Distance Calling ebenfalls neue Wege. Erstmals wurde ein externer Produzent engagiert (Vincent Sorg). Des Weiteren isolierte man sich für die Songwriting-Phase. Statt in der heimatlichen Komfortzone die Köpfe zusammen zu stecken, verbarrikadierte man sich in einsame Hütten fernab der Zivilisation. Und um dem Veränderungsprozess noch die Krone aufzusetzen, wechselte man auch noch das Label. Es gibt also Redebedarf. Und so treffen wir uns in Berlin mit Gitarrist Florian Füntmann und plaudern über Prioritäten, abgeschiedenes Arbeiten und nicht vorhandene Pläne.

Florian, bei euch ist ganz schön was los. Neues Album, neuer Sänger, neuer Produzent, neues Label: Womit wollen wir anfangen?

Florian Füntmann: (lacht) Du hast die freie Auswahl.

Ich würde es ja ganz gerne chronologisch angehen. Aber irgendwie hängt ja fast alles auch zeitlich miteinander zusammen, oder?

Ja, das stimmt. Ich könnte jetzt auch keinen Ausgangspunkt benennen. Die Dinge haben sich einfach so entwickelt.

Dann lass uns doch einfach mit eurem neuen Sänger Petter Carlsen anfangen. Was war der Auslöser für den Abschied von Martin Fischer. Und wie kamt ihr dann auf Herrn Carlsen?

Bei Martins war es einfach so, dass er irgendwann das Gefühl hatte, sich zwischen Privatleben und Band entscheiden zu müssen. Wir bewegen uns ja gerade auf einer semi-professionellen Ebene. Da ist es natürlich oftmals schwer, eine Balance zu finden. Wir haben neben der Band alle noch unsere Jobs und Verpflichtungen, damit wir über die Runden kommen. Und Martin hat halt auch noch eine Familie am Start. Wir wollen aber mit dem neuen Album unbedingt viel live unterwegs sein. Das war ihm dann letztlich zu viel.

Es gab also keine persönlichen oder musikalischen Differenzen?

Nein, gar nicht. Wir sind immer noch befreundet.

Die ganzen elektronischen Elemente auf dem neuen Album stammen noch aus seiner Feder, richtig?

Ja. Die Entscheidung hat er getroffen, da war das Album bereits im Kasten. Zumindest die erste Version.

Die erste Version?

Er hat das Album auch eingesungen. Direkt im Anschluss haben wir dann über die Live-Situation gesprochen. Und da war dann Schluss.

"Diese Phase hat uns musikalisch weitergebracht"

Was passiert denn jetzt mit der Fischer-Version?

Die bleibt bei uns in der Schublade. Vielleicht hauen wir sie irgendwann raus. Aber im Moment ist das kein Thema.

Wie ging es danach weiter?

Uns war ziemlich schnell klar, dass es Blödsinn wäre, ein Album zu veröffentlichen, das wir live so nicht präsentieren können. Das war dann der Moment, in dem Petter Carlsen ins Spiel kam. Petter kennen wir schon seit 2010. Er war schon immer an einer Zusammenarbeit interessiert. Es hat sich aber nie so richtig ergeben. Eine Woche vor Martins Abschied hat Jan (Jan Hoffmann, Bassist) mal wieder eine SMS von Petter erhalten. Er schrieb: Man könne sich doch mal wieder treffen. Er hätte Lust, uns mal wieder zu sehen. Nun, zwei Wochen später saß er dann mit uns im Studio und hat das neue Album eingesungen. So schnell kann's gehen.

Perfektes Timimg.

Absolut. (lacht)

Neben Petter habt ihr auch noch einen neuen Produzenten an Bord. Sein Name: Vincent Sorg (Die Toten Hosen, Broilers, Donots). Wie kam es zu dieser Personalentscheidung?

Wir sind ja eine experimentelle Band. Das betrifft nicht nur unseren Sound, sondern auch die Art und Weise wie wir arbeiten. Und nach vielen Jahren, in denen wir die Zügel selbst in der Hand hatten, war es einfach mal an der Zeit für neuen Input. Und mit Vincent lief es einfach super. Wir haben uns ein paar Mal getroffen, uns beschnuppert und dann einfach losgelegt. Mit dem Ergebnis sind wir alle total happy.

Nächste Veränderung: Songwritingprozess. Ihr habt euch in einsame Hütten eingemietet. Warum?

Auch in diesem Fall ging es darum, uns ein bisschen von eingefahrenen Dingen loszureißen. Irgendwie war vom ersten Tag an klar, dass wir in dieses Album besonders viel Arbeit stecken werden. Warum? Keine Ahnung. Es war einfach so ein Gefühl. Wir spürten einfach den Drang, das Ganze irgendwie zu intensivieren. Um den Kopf frei zu bekommen, braucht es manchmal eine neue Umgebung. Und dann haben wir uns hingesetzt und überlegt, wo das am besten funktionieren könnte. Naja, und dann haben wir uns eben für die Einsamkeit und Abgeschiedenheit entschieden. So ein Schritt hat ja nicht nur eine Auswirkung auf die Musik. Man kommt sich auch persönlich viel näher. Es finden andere Gespräche statt. Es gibt nichts, das ablenkt. Das war schon eine tolle Erfahrung. Und ich glaube, dass uns diese Phase auch musikalisch weitergebracht hat.

"Wir wollten uns in einem neuen Licht präsentieren"

Musik ist ein gutes Stichwort: Die erste Single vom neuen Album versprüht einen leichten 80s-Vibe.

Ja, das stimmt. Aber keine Bange, es geht auf dem Album auch in andere Richtungen. Uns war wichtig, dass wir uns abermals in einem neuen Licht präsentieren. Wir sind einfach eine Band, die sich nur ungern wiederholt. Das macht es ja so spannend. Im Grunde ist alles erlaubt. Es muss halt nur passen. Und mit Petters Stimme hatten wir diesmal ein zusätzliches Instrument mit dabei, das uns viele neue Türen geöffnet hat. "Trips" wird bei vielen Hörern sicherlich mehrere Durchläufe brauchen. Aber genau das war auch das Ziel.

Noch mal kurz zur Personalie Petter Carlsen: Plant ihr jetzt längerfristig mit ihm?

Wir planen überhaupt nicht (lacht). Ich meine, die jüngere Vergangenheit hat ja gezeigt, dass Pläne völlig überbewertet werden. Wir freuen uns jetzt erst einmal darüber, dass Petter einen tollen Job erledigt hat. Und wir hoffen natürlich auch, dass er uns so oft wie möglich live zur Verfügung stehen wird. Das wäre natürlich super. Aber Petter hat auch viele eigene Sachen am Start. Man muss einfach gucken, wie wir da in Zukunft eine gemeinsame Linie finden. Wir würden uns auf jeden Fall über eine längerfristige Zusammenarbeit freuen. Aber es wäre auch kein Weltuntergang, wenn wir zwischendurch ein paar Instrumental-Shows mit einbinden müssten. Damit kennen wir uns ja aus. (lacht)

Womit ihr euch noch nicht so auskennt ist das Arbeiten im Hause InsideOut. Wie läuft's bisher? Und warum der Label-Wechsel?

Also bisher läuft es super. Und warum überhaupt? Nun, wir hatten von Superball schon das Angebot zu verlängern. Eigentlich war das auch eine Option für uns. Irgendwann haben wir uns aber gedacht, dass es vielleicht auch mal sinnvoll wäre, zu gucken, wie es woanders passen könnte. Wir wollten aber jetzt keinen großen Umbruch einleiten. Also haben wir innerhalb der Century Media-Familie geguckt, was eventuell in Frage käme. Und bei Superball sind wir dann schließlich auf offene Türen gestoßen. Das war jetzt auch gar keine so große Sache. Wir denken einfach, dass das Team, das uns jetzt begleitet, für das, was wir uns vorstellen etwas breiter und besser aufgestellt ist.

Was stellt ihr euch denn so vor?

Wir hoffen, dass wir mit dem neuen Album neue Leute ansprechen. Reine Instrumental-Musik ist ja nun mal eher was für Sparten-Hörer. Die breite Masse erreicht man nur selten. Wir wollen mit unserem mittlerweile gefestigten 50/50-Programm auch die Leute erreichen, die uns früher vielleicht nur aufgrund der fehlenden Stimme nicht so richtig auf dem Schirm hatten. Auf der anderen Seite wollen wir aber natürlich unsere alten Fans nicht vergraulen. Ich denke, dass wir dahingehend auf einem guten Weg sind. Ich glaube, dass wir diese Basis auch beibehalten werden.

Also doch ein Plan?

Ein Basis-Plan, ja. (lacht) Alles andere lassen wir auf uns zukommen.

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