laut.de-Kritik

Mit 85 noch obenauf.

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2004 gelang ihr, wovon die meisten Performer in ihrem Alter nur träumen: Mit 72 eroberte sie ein jüngeres Publikum im Sturm. Es lag nicht nur an Jack White, der ihre Schunkel-Country-Songs mit verzerrten Gitarren und Indie-Vibe pimpte - "Van Lear Rose" zeichnete das Bild einer starken Frau, die sich ein Leben lang zu helfen gewusst hatte. Die Nashville-Legende war nun auch in Rock-Kreisen eine große Nummer.

Gesundheitliche Probleme machten Loretta Lynn jedoch das Touren schwer, um das Studio machte sie lange einen Bogen. Bis 2016 überraschenderweise eine neue Platte von ihr in den Regalen stand, "Full Circle", noch im selben Jahr gefolgt von einem in den USA ach so wichtigen Christmas-Album. Die beiden ersten neuen Werke von fünf, wie ihr neuer Vertrag bei Sony Legacy vorsah.

Full Circle" erntete Lob und platzierte sich in den Billboard-Charts, doch trotz Duetteinlagen von Willie Nelson und Elvis Costello klang es eine Spur zu gediegen - zumindest im Vergleich zu "Van Lear Rose". Die größte Überraschung war Lynns Stimme, die auch jenseits der 80 noch frisch und voll klang.

Album Nummer drei aus dem Legacy-Vertrag kam 2017 in die Regale. Doch dann erlitt Lynn nach den Aufnahmen erst einen Schlaganfall und brach sich bei einem Sturz die Hüfte. Von beidem erholte sie sich und promotet nun ein Jahr später die Veröffentlichung von "Wouldn't It Be Great".

Wie beim Vorgänger fanden die Aufnahmen in Hendersonville statt, auf dem Anwesen der Familie Cash, in dem der große Johnny seine letzten Platten mit Rick Rubin aufnahm. Johnnys Sohn John Carter Cash, der seit einigen Jahren einen ordentlichen Geschäftssinn entwickelt hat, führte erneut Regie.

Was nicht böse gemeint ist. Jedenfalls gelingt ihm dieses Mal das, woran es beim letzten Mal haperte: Lynns Geschichten und Stimme so einzufassen, dass die Instrumente nicht im Weg stehen, sondern untermalen. Fast möchte man meinen, in einer Bar, oder gar irischem Pub, zu sitzen, so intim klingt die Platte.

Passend dazu liefert Lynn gute Geschichten. Im Opener erzählt sie von der dunklen Seite ihres 1996 verstorbenen Ehemannes, der Alkoholiker war. "Wäre es nicht toll, wenn du mich noch einmal lieben könntest - nüchtern?", fragt sie zu Beginn. "Love went to waste / When my sexy lace couldn't turn his face / The bottle took my place" kurz danach: Die Liebe ging den Bach runter, als er sich nicht mal mehr umdrehte, wenn ich mich in sexy Spitze kleidete. Die Flasche hatte meinen Platz eingenommen". Ein aussagekräftiges Bild.

Traurig klingt Lynn dabei nicht, eher sachlich. Was auch daran liegen mag, dass sie das Lied schon mehrmals aufgenommen hat, zum ersten Mal 1985. Ganz anders als das folgende neue Stück "Ruby's Stool", in dem sie einem Flittchen die Grenzen aufzeigt, ein Aschenbecher in ihr Bier leert und ihren Barhocker beschlagnahmt.

Dass die Männer bei ihr Schlange stehen, sieht sie gleichwohl nicht als Rubys Schuld, es liegt an den Männern selbst, die einfach zu blöd sind, um es besser zu wissen. Ein Thema, das sich durch das Album und ihre ganze Karriere zieht. Auch wenn es natürlich nicht so einfach ist, keinen Mann an der Seite zu haben, wie sie im ebenfalls frisch geschriebenen "I'm Dying For Someone To Live For" darstellt.

Trotzdem ist es ihr altes Material, das hängen bleibt. "My Angel Mother" und "Darkest Day" sind von 1960, gehören also zu ihren allerersten Stücken. "Don't Come Home A Drinkin'" ist von 1967, "God Makes No Mistakes" ein Auszug aus "Van Lear Rose". Das abschließende "Coal Miner's Daughter" ist gar ihr Signature-Stück aus dem Jahr 1970, das sie sechs Jahre später für den Titel ihrer Autobiographie verwendete. Der Bestseller kam 1980 mit Sissy Spacek und Tommy Lee Jones in den Hauptrollen ins Kino, Spacek gewann mit ihrer Interpretation den Oscar als beste Darstellerin.

Eine der vielen unglaublichen Episoden aus Lynns Leben. Auch wenn es zunächst nicht danach aussah, hat sie mit ihrer Stimme, ihren Geschichten und ihre Willenskraft eine bewundernswerte Karriere hingelegt. Obwohl sie mit 15 heiratete und kurz danach ihr erstes von sechs Kindern bekam, wurde sie zu einem Country-Superstar und hätte eigentlich allen Grund, sich auf dem Sofa auszuruhen. Dass sie mit 85 noch in der Lage ist, ein so frisch klingendes Album aufzunehmen, ist eine großartige Leistung.

Trackliste

  1. 1. Wouldn't It Be Great?
  2. 2. Ruby's Stool
  3. 3. I'm Dying For Someone To Live For
  4. 4. Another Bridge to Burn
  5. 5. Ain't No Time To Go
  6. 6. God Makes No Mistakes
  7. 7. These Ole Blues
  8. 8. My Angel Mother
  9. 9. Don't Come Home A Drinkin'
  10. 10. The Big Man
  11. 11. Lulie Vars
  12. 12. Darkest Day
  13. 13. Coal Miner's Daughter

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