laut.de-Kritik
Resilient wie ein Stehaufmännchen.
Review von Josephine Maria BayerDas Time Magazin bezeichnete sie einst als "Amerikas beste Songwriterin". Manch einem würde diese Anerkennung zu Kopf steigen, Country-Rockerin Lucinda Williams wirkt jedoch stets bodenständig und bescheiden. Der Charme der Herzblut-Musikerin aus Louisiana liegt in ihrer Authentizität und unerschütterlichen Resilienz.
Williams, deren musikalische Karriere erst mit Mitte Vierzig an Fahrt aufnahm, ist an das Durchhalten und Weitermachen gewöhnt. Nicht einmal das verflixte Jahr 2020, in dem eine Pandemie ausbrach, Williams' neues Haus von einem Tornado zerstört wurde und die Sängerin einen Schlaganfall erlitt, konnte sie von ihrer großen Leidenschaft, dem Liederschreiben, abhalten.
Nach dem Schlaganfall musste sie wieder von Neuem Laufen lernen. Die Krücken braucht sie immer noch. Auch das Gitarrespielen gelingt nicht mehr so gut, wie vorher. Stattdessen verlässt sich Williams auf den Support ihrer Musikerkollegen, die sie bei der Entstehung von "Stories From A Rock 'N'Roll Heart" tatkräftig unterstützten. Zahlreiche Features, darunter auch "The Boss", wirkten bei der Produktion des Albums mit. In "New York Comeback" steuerte Springsteen gemeinsam mit Ehefrau Patti Scialfa den Backgroundgesang bei.
Passend zu ihrem jüngsten Umzug nach Nashville, ist auch das Album fest im Country beheimatet. Daher ist der Plattentitel etwas irreführend. Es gibt jedoch kleine Abstecher in andere Genres. Das besagte "New York Comeback" klingt wie ein typischer Springsteen-Song: Softer, sehnsuchtsvoller Rock mit einem Text, der von einem festen Überlebenswillen handelt. Der Opener "Let's Get The Band Back Together" klingt wie ein Zitat aus dem Blues Brothers-Film, und auch musikalisch könnte er aus der Feder der bluesigen Brüder stammen. Der groovende Song lässt gute Laune aufkommen.
Die meiste Zeit wirkt Williams jedoch so, als säße sie melancholisch mit einem Glas Whiskey an der Bar, während sie immer wieder über das Gefühl von Einsamkeit und Isolation sinniert. Hinzukommt Lucindas geschwächte Stimme, die zu allem Übel schlecht abgemischt wurde. Oft überpowern die Instrumente den Gesang. In "This Is Not My Town" stiehlt Country-Nachwuchs Margo Price die Show. Die beiden Sängerinnen harmonieren nicht miteinander. Die Nummer wirkt eher wie ein ermüdender Wettkampf.
Amerikas größte Songwriterin mag Williams nicht (mehr) sein, aber vielleicht die sorgfältigste. An ihren Texten feilt sie mit perfektionistischem Anspruch, sammelt für jede ihrer Kompositionen ordnerweise Notizen voller Ideen. Davon, dass die Inspiration immer einen Weg zu ihr finde, singt sie im ruhigen "Where The Song Can Find Me", begleitet von einem leidenschaftlichen E-Gitarren-Solo. Der selbstreferenzielle Track ist gleichtig die interessanteste Nummer der Platte. An Williams' ruhmvolle Tage um die Jahrtausendwende kommt das Album nicht ran. Teilweise wirken die Kompositionen regelrecht plump, zum Beispiel der 0815-Country-Track "Jukebox", in dem Williams davon singt, dass ihre "Lieblingsjukebox" ihr einziger Freund sei.
"Stories From A Rock 'N' Roll Heart" ist ein (Über-)Lebenszeichen einer leidenschaftlichen Musikerin, die trotz allem Fleiß nie an ihren kreativen Höhepunkt Ende der 90er anknüpfen konnte. Das Album schindet zwar wenig Eindruck, die Tatsache, dass Lucinda nach jedem Rückschlag wieder aufsteht, dafür um so mehr.
1 Kommentar
Album zwar noch nicht gehört aber gestern auf dem Konzert gewesen: ein Stern für Stolen Moments, im Gedenken an den großen Tom Petty, ein Stern für das wunderbare Where the Song will find me - und mindestens einen Stern dass jemand nach einem Schlaganfall wieder laufen lernt und anschließend weiter Platten macht und auf Welttournee geht! Hut ab vor dieser Frau!