laut.de-Kritik

Führt auf durchweg tränenverhangenes Terrain.

Review von

So, nun bin ich wieder sonntags in's Büro geflüchtet. Für zuhause hatte ich mir vorgenommen, Lucinda Williams "World Without Tears", eigentlich ja ein vielversprechender Titel, noch einmal in Ruhe von vorne bis hinten durchzuhören. Leider jedoch führt der Albumname komplett in die Irre und Lucinda uns auf durchweg tränenverhangenes Terrain.

Während "Fruits Of My Labor" und "Righteously" dabei noch einen gewissen trockenen Charme ausspielen, stört "Ventura", in dem die Williams zu wimmernder Countrygitarre einem "ocean of love" nachheult, zum ersten Mal ganz erheblich den Feiertagsfrieden. Und spätestens bei der weinerlichen Klage über ein frühes Verlassenwerden nach "Those Three Days" denkt man insgeheim, "ich würd' schon nach drei Stunden Fersengeld geben".

Immerhin traut sich die Songwriterin, böse lustige Worte wie 'pornografisch' zu verwenden, und schreckt auch nicht davor zurück, einem Junkie Symphatie zu bezeugen, was den großen Erfolg in Amerika wohl dauerhaft behindern dürfte. Auch beeindruckt der tiefe Ernst, den Lucinda stets in ihre variable Stimme legt.

Dass das Leben trotzdem tatsächlich jederzeit "full of misery and pain" sein kann, machen vor allem ihre Begleiter an den Instrumenten erschreckend deutlich. Solche Einfallslosigkeit in Harmonie und melodischer Verzierung ist nicht mehr sparsam, sondern schon geizig (und Geiz ist ganz und gar ungeil). Am schlimmsten müssen das schon gescholtene "Ventura" und "Minneapolis" leiden, die Jim Christie mit seinem 'Vox Organ' vollständig einnebelt.

Nun will man ja selbst an einem Maisonntag, an dem die Vögel heiter zwitschern, ruhig zugeben, dass die irdische Existenz auch ihre Schattenseiten hat. Doch mit ihren Leidensberichten weckt Lucinda Williams Mitleid statt Wut. Zu selten zeigt sie große Leidenschaft, wie etwa in dem geheimnisvoll schwebenden "American Dream" oder in "Atonement": in diesem echten Rock'n'Roll-Song sind die Instrumente fast ganz auf den Rhythmus reduziert, und Lucinda scheint für einmal alle Ängste abzulegen.

Trackliste

  1. 1. Fruits of My Labor
  2. 2. Righteously
  3. 3. Ventura
  4. 4. Bleeding Fingers
  5. 5. Over Time
  6. 6. Those Three Days
  7. 7. Atonement
  8. 8. Sweet Side
  9. 9. Minneapolis
  10. 10. People Talkin'
  11. 11. American Dream
  12. 12. World Without Tears
  13. 13. Words Fell

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