laut.de-Kritik
Rap-Fiktion trifft Geschichtsunterricht.
Review von Stefan MertlikNach "Drogas Light" veröffentlicht Lupe Fiasco mit "Drogas Wave" den zweiten Teil einer Trilogie, die Fiktion und Geschichtsunterricht verbindet. Der Rapper erzählt von Sklaven, die auf dem Weg nach Amerika vom Schiff ihrer Peiniger springen. Sie überleben und siedeln sich unter dem Meeresspiegel an. Von dort aus attackieren sie andere Sklavenschiffe: "Got 'em, ship gets pulled to the bottom / By a group of men and women holdin' ropes / With large hooks on the ends specifically designed for catchin' boats".
Wer an Coheed And Cambrias Science-Fiction-Saga "Amory Wars" oder Prinz Pis Fantasy-Spektakel "Der Herr der Dinge" denkt, geht gedanklich in die falsche Richtung. Die Geschichte zieht sich nicht durch alle 24 Anspielpunkte. Fiasco unterbricht die Erzählung immer wieder, um Bezüge zur Realität herzustellen. Die besten Beispiele hierfür liefern "Alan Forever" und "Jonylah Forever". Beide Stücke beschäftigen sich mit alternativen Lebensläufen real existierender Personen.
In "Alan Forever" ertrinkt der zweijährige syrische Flüchtling Alan Kurdi 2012 nicht beim Versuch, das europäische Festland zu erreichen, sondern überlebt und wird als Erwachsener olympischer Schwimmer. "Jonylah Forever" beschäftigt sich mit der alternativen Realität von Jonylah Watkins, die 2013 als sechs Monate alter Säugling bei einer Gangschießerei ums Leben kam. In Fiascos Vorstellung wächst sie zu einer intelligenten Frau heran, die Menschen hilft: "At six, you started reading whole books / At seven, you knew how a brain looked / And could roughly describe, all the different regions / Could tell when we was sick and even knew the reason."
Aber auch den eigenen Werdegang lässt Fiasco nicht aus. In "Imagine" berichtet er von der schwierigen Zeit bei Atlantic Records. Ausbeuterische Verträge und Eingriffe ins kreative Schaffen bereiteten ihm Bauchschmerzen, was er mit eindeutigen Worten zusammenfasst: "Fuck Craig, fuck rap, fuck this, fuck that / Fuck your 360 deal, nigga, that shit's wack." Dabei ist der Sprung von Atlantic Records zum atlantischen Ozean, in dem die Unterwassermenschen zugegen sind, schon alleine durch die Namen nicht weit.
"Drogas" ist das spanische Wort für "Drogen". Lupe Fiasco macht den Begriff im komplett spanischsprachigen Titellied zu einem Akronym: "Don't Ruin Us God Said". Damit nimmt er Bezug auf die spanischen Kolonialisten, die als erste Europäer Afrikaner für die Sklaverei nach Amerika verschleppten. "You can survive anything if you can survive blackness", heißt es im darauffolgenden "Manilla", das die Botschaft der Platte auf den Punkt bringt. Ein Satz, der in Zeiten von tödlicher Polizeigewalt aktueller denn je klingt.
Musikalisch zieht "Drogas Wave" nicht mit der Qualität der Texte gleich. Die Platte ist solide produziert, in einem experimentellen Instrumentalstück wie "Slave Ship" überrascht sie sogar. Ansonsten kommen die Produktionen nur allzu selten über das Mittelmaß hinaus. Saxophon und Piano strahlen in Stücken wie "King Nas" und "Cripple" eine jazzige Aura aus, bleiben aber nicht hängen. Bei einer Spielzeit von 98 Minuten wären deutlich mehr musikalische Leuchttürme nötig gewesen.
Den Superstarstatus, den Lupe Fiasco Anfang des Jahrzehnts prophezeit bekam, erreichte er nie. Stattdessen schuf er sich eine eigene Nische. Nur so konnte möglicherweise ein Konzeptalbum wie "Drogas Wave" entstehen, das mit Fleiß alles andere als zugänglich ist. Nächstes Jahr soll mit "Skulls" das Finale des "Drogas"-Dreiteilers erscheinen. Hoffentlich fällt diese Platte dann etwas prägnanter aus.
3 Kommentare
Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.
1 pkt zu wenig. beats stimmen, inhaltlich interessant und ein lupe in peakform. aber lupe is halt nicht kendrick und wird daher kriminell unterbewertet. gibt nur wenige, die so elegant und geschmeidig wie lupe rappen. als geschichtenerzähler ist er sogar oft besser und interessanter als kdot. was beide eint, ist der strenge und rigorose moralismus.
Kommt 10 Jahre zu spät, zum str8 edge hype damals hätte ich das sicher mit meinen veganen Skaterkumpels von der Soziologie gepumpt.