laut.de-Kritik
"Guys get away with so much bullshit in art"
Review von Manuel BergerDie musikalische Geschichte, die Lydmor 2018 auf "I Told You I'd Tell Them Our Story" erzählte, gehört zu den spannendsten, die Popmusik in jüngerer Vergangenheit hervorgebracht hat. Mit intelligenten Texten, Sensibilität für emotionale Nuancen und nahezu perfekter künstlerischer Balance zwischen Experimentierfreude und Zugänglichkeit verarbeitete sie Eindrücke aus ihrem Aufenthalt in Shanghai zu einem modernen Großstadtmythos. Teile dieser Atmosphäre überführt die Dänin nun auch zu "Capacity" – bricht aber gleichzeitig die Dichte des Vorgängers auf und öffnet sich einer loseren Albumstruktur. Die Tracks liegen teils an recht weit voneinander entfernten Punkten eines Spektrums, ergänzen sich mehr, statt klar vom selben Schlag zu sein.
Wie unterschiedlich die Songs ausfallen würden, deutete Lydmor schon mit über anderthalb Jahre hinweg bröckchenweise veröffentlichten Singles an. Den Anfang machte im Herbst 2019 das enigmatische "LSD Heart" – ein sperriges Kunststück ohne echten Refrain, das sich dank seines klaustrophobischen Sounddesigns und messerscharfen Hooklines trotzdem sofort ins Gedächtnis fräst. Die dort aufgebaute Spannung löst nun das ebenfalls bereits bekannte und musikalisch wesentlich leichter gestaltete "Guilty (Kill Me)" auf. Einzeln betrachtet fällt der Track zwar etwas beliebig aus, erfüllt im Albumkontext aber seinen Zweck als angenehme Verschnaufpause.
Ganz anders wiederum "Someone We Used To Love", wo Lydmor einen irren Spannungsbogen von düster-atmosphärischem, gar zerbrechlichem Artpop hin zu entfesselter Techno-Ekstase schafft. Dabei spielt sie mit Hörgewohnheiten, lauert lange im Schatten wummernder Bässe, bis der Chorus regelrecht explodiert. Brachialen Momenten wie diesem steht mit psychedelischer Gitarre vor sich hinwabernder Dreampop ("Diamond Breeze") gegenüber und der glatt produzierte Trap-Pop-Hitkandidat "Nevada". Letzterer von Oliver Cilwik Andersen co-produzierte Track sticht im Sound tatsächlich deutlich heraus. Im aufgeräumten Klangbild bewegt sich Lydmor kompositorisch linearer als üblich. Gastsängerin Eivør punktet mit wunderbaren Melodiebögen.
Trotz der vielen Schattierungen fasst Lydmor alles in einen stimmigen Rahmen. Durch geschicktes Sequencing und Transitioning entsteht ein angenehmer Fluss, dessen Facetten sich in bedächtigem Auf und Ab langsam entfalten, statt einander abrupt abzulösen. Während sie "Diamond Breeze" entspannt auflöst, formt Lydmor bereits das verschlungene Geklimper von "Labyrinth Faced Man", die Überleitung zur Klavierballade "Emma Spins". Solch klassische Singer/Songwriter-Qualität hatte sie bereits auf ihrem Debüt "Y" präsentiert, in den letzten Jahren aber zunehmend in den Hintergrund gerückt. Wie die beiden Seiten ihres künstlerischen Ausdrucks miteinander harmonieren, erlebte man bisweilen live, wo sie in Ausnahmefällen durchproduzierte Stücke wie "LSD Heart" auf diese Essenz herunterbricht. Das auf "Emma Spins" folgende "Someone We Used To Love" schlägt in funktionalen Breaks mit weichen Pianoklängen ebenfalls die Brücke dazu.
Im Wesen des Albums steckt dennoch mehr als nur sonische Kompatibilität. Auch ein thematisches Konzept verbindet die Stücke. Verschiedene Protagonisten bevölkern die Welt von "Capacity" und verkörpern unterschiedliche Teilaspekte. Neben Emma und dem ominösen labyrinthgesichtigen Herrn begegnen wir auch einer gewissen Amanda. Sie beginnt das Album als Erzählerin ("Amandas Lullaby"), später erwacht sie aus einem schrecklichen Traum ("Amandas Dream"). Amanda schildert verkrustete Strukturen, in denen Frauen weder laut, noch leise und erst recht nicht zu selbstbewusst sein sollten, doch gleichzeitig gilt: "guys get away with so much bullshit in art". Sie spürt allerdings auch eine Aufbruchstimmung, Willen und Momentum zum Wandel. Haften bleibt der Appell: "The more that we open, the less space they'll get."
Lydmor lässt viel Platz für Unklarheiten, die es als Hörer*in eigenständig zu beantworten oder wenigstens zu reflektieren gilt. Oft agiert sie interpretationsoffen, wie im diffusen "Nevada", wo die (wohl metaphorische) Wüste Nevadas zum Schauplatz eines nicht näher erklärten inneren Konflikts wird. Schlüsselstellen entstehen dann, wenn sie das Vage mit einzelnen, scharf auf den Punkt gebrachten Passagen kombiniert – im Text ebenso wie in der Musik. Das zeichnete schon "I Told You I'd Tell Them Our Story" aus und trifft nun in neuer Form auch auf "Capacity" zu.
2 Kommentare mit 5 Antworten
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bruder ich verstehe dich ich war auch mal wi du aber du musst nur machen bischen sport und achte auf deine frisure dann klappt das mit frauen sehr bald und diese hass geht auch weg dann
Mirko Leisenberg hat nicht nicht ganz Unrecht. Hatten das Thema auch eben im Büro, dass Frauen ihre Opferrollen oft ausnutzen. Stört ihr euch jetzt an der Verallgemeinerung "typisch Frau" oder darüber dass er es tatsächlich mal ausgesprochen hat?
Vllt daran, dass dies oberflächlich so gesehen werden kann, in Einzelfällen durchaus vorkommen mag, aber dennoch insgesamt eine ziemlich undifferenzierte und somit dämliche Aussage ist, die die soziale Evolution und das Prinzip systematischer Ungleichbehandlung außen vor lässt. Selbst wenn in Relation privilegierte Frauen das argumentativ für sich nutzen, sind sie zwar unsympathisch, aber nur ein Symptom.
"Oh mein Gott schon wieder jammert eine angeblich gute Künstlerin davon, dass Männer angeblich alles dürfen."
Das ist nicht was das Zitat bedeutet oder impliziert. Ich empfehle dir, Englisch zu lernen, das Zitat noch einmal richtig zu lesen & zu verstehen, und dann kannst mit deiner mehr oder weniger latenten Misogynie weiter spammen, okay?
Reg dich nicht auf Chris. morpheau ist ein Feigling, der entweder denkt, nur weil er jemanden kennt, der ne Frau ist und man sie in den Bauch fickt, kann er hier auf einen toxisch maskulinen Kreuzzug gehen und alles anprangern was vermutlich misogyn ist und sie schlagen, bis sie blau ist, oder er denkt, mit mir kann er es ja machen. Für letzteres spricht auch die Tatsache, dass er nur einen von drei Personen geantwortet hat, welche sich abfällig über die Aktion äussern. So oder so, es ist mir scheiss egal was so ein Möchtegern schreibt. Wers braucht.
Musikalisch ist das verkopfter, gekonnter als das letzte Album (das ich echt gut fand, vermutlich sogar in den Top 30 of Decade), aber irgendwie kommts nicht in die Pötte.
“Amandas Lullaby“ wegen Imogen-Heap-Gedächtnis-Vocalizer, und „Someone we used to Love“ als Athmo-X-Techno - Geballer sind irgendwie die einzigen beiden Tracks die hängen bleiben. Da hatte der Vorgänger trotz einiger Durststrecken mehr zu bieten - vermutlich aber auch nur wieder als Beweis, dass aus Abenteuer und Krise die grössere Kunst entsteht, als aus der Absicht was grosses zu schaffen.