laut.de-Kritik

Pop, Politics & Provokation um des Anliegens willen.

Review von

Gemeinhin fällt die Halbwertszeit von Künstlern, die gezielt auf Mediabuzz durch Provokation setzen, eher bescheiden aus. Marilyn Mansons Antichrist-Inszenierung oder die aufgeblasene Straßenpose des 00er-Deutschraps hinterlassen in der gegenwärtigen Poprezeption eigentlich nur noch müdes Lächeln. Wenn es heute überhaupt unironisierten Protest gegen dezidierten künstlerischen Ausdruck gibt, dann etwa lediglich von Seite der katholischen Kirche, die sich unlängst über Lady Gagas Videoclip zu "Alejandro" echauffierte.

Um so erstaunlicher erscheint in diesem Licht der Wirbel, den Mathangi "Maya" Arulpragasam nach Flirts mit Militanz und US-Einreiseverbot in den vergangenen Jahren auch im Vorfeld zum Albumrelease Nr. 3 erzeugt: Facebook und Google wecken bei M.I.A. neuerdings Geheimdienst-Assoziationen, mit der New York Times liefert sie sich einen Kampf um die Wahrheit und mit dem vieldiskutierten Gewaltvideo zur Single "Born Free" ein plakatives Feuerwerk an herrschaftskritischen Gleichnissen.

Verwurzelt auf Sri-Lanka gefällt sich M.I.A. ohne Zweifel sehr in der Rolle der Stimme der Unterdrückten, die ihr nie angetragen wurde. Diesem Umstand und allen oft vereinfachenden Bemerkungen zum Weltgeschehen zum Trotz bleibt ihr jedoch das Gespür für die offenliegenden Nerven unserer Zeit unbenommen – zeigt allein die mediale Aufmerksamkeit, die ihr auch jetzt wieder zuteil wird.

Auf "Maya" widmet sich Arulpragasam nun also der Thematik Informationspolitik. Sie, die sich als profitierende Nutzerin kommerzieller Webangebote wie Twitter oder MySpace zur Neuen Digitalen Elite rechnen darf, warnt jetzt vor den Wirklichkeitsverzerrungspotenzialen der Onlinewelt. "Du kannst 'Sri Lanka' googlen, und erst auf Seite 56 tauchen Infos über die im Bürgerkrieg Ermordeten und Bombardierten auf."

Daher sei es Pflicht der nächsten Generation gegenüber, der Meinungsmacht von Google und Nachrichtenkonglomeraten alternative Informationsquellen gegenüberzustellen. Verständliche Sorgen, die mit Sicherheit, hallo Piratenpartei, nicht nur die Mutter eines anderthalbjährigen Jungen umtreiben. "The hand-bone connects to the internet / Connects to the Google / Connects to the government", ergänzt "The Message" das Thema Info War um überwachungsstaatliche Tendenzen im Internet.

Deutlich provokationsträchtiger sind allerdings die Zeilen des Tracks "Lovalot", der ursprünglich "Abdurakh-manova" heißen sollte. Darin versetzt sich Maya hinein in die mutmaßliche Selbstmordattentäterin Dzhennet Abdurakh-manova, die sich im März 2010 in der Moskauer U-Bahn in die Luft gesprengt haben soll: "Like a Taliban trucker, eating boiled up yucca / I keep my eyez down like I'm in a black burka." Auf trockenem Bassfundament wagt sich Arulpragasam vor in den Kopf junger islamistischer Terroristen – eine tatsächlich gewagte Vermischung von Pop & Politics.

Passend zum düsteren Gegenwartsbild, das M.I.A. auf "Maya" über weite Strecken zeichnet, hat sie gemeinsam mit Baltimore Club-Blaqstarr und Dubstep-Producer Rusko auch ihren Sound radikalisiert. Die Luft, die auf "Kala" sogar in einem Popbrecher wie "Paper Planes" noch eine gewisse Mellowness vermittelte, wird hier vom Produzentengespann ein erstes halbes Album lang beharrlich verdichtet.

Subtonale Vibrationen, E-Gitarren und ein Industrial-Set aus Knarzen, Zischen und Motorsäge macht etwa "Steppin Up" zur ambulanten Soundereignis-Baustelle. Zwischen energieberstendem Pow-Pow und Mayas Robotnik-Sprechgesang bleibt kein Deutungsraum unbesetzt. Alles ist Event, zwingend, ein Bassbombardement. In dieselbe Kerbe schlägt das dschungelfiebrige "Teqkilla" anstrengende 6,5 Minuten lang.

Hier aber erreicht M.I.A.s durchprozessierte Stimme gegen den Wust der Dissonanzen lediglich ein Unentschieden. Es fragt sich, warum ausgerechnet dieses Songexperiment mit der zentralen Zeile "I got sticky sticky icky icky weed / And a shot of tequila in me" von einem politisch motivierten Popstar derart viel Raum erhält. Letzten Endes unterbricht einzig der Singlehit "XXXO" den aggressiven, konfrontativen Albumpart. Ganz Adlerauge urbaner Populärkultur, nimmt sie sich darin der Twitter-Leidenschaft eines Lebensabschnittsgefährten an.

Ähnlich in sich geschlossen wie die erste Hälfte - und doch komplett konträr - geben sich die Tracks 7 bis 12. Wäre da nicht "Born Free", die auf einem Suicide-Sample basierende Atari Teenage Riot-Raserei, man riebe sich verwundert die Augen: Plötzlich scheint karibische Sonne in die Dancehall ("It Takes A Muscle") oder setzt es gelassenen Synthpop ("It Iz What It Iz").

Diplo zimmert mit "Tell Me Why" ein "Paper Planes II", und auch dass Arulpragasam schwer Gefallen an ihrem N.E.E.T. Recordings-Signing Sleigh Bells gefunden hat, wird offenbar: Für "Meds And Feds" holte sie deren Derek E. Miller nebst Overdrivegitarre persönlich ins Studio.

So schmeckt das musikalische Gesamtergebnis bei aller Songfinesse letztlich ein wenig nach zwei nebeneinandergestellten EPs mit nur minimaler Durchmischung. Kurz erwähnt sei an dieser Stelle die interessante gegenläufige Strategie von Popschwedens Darling Robyn, die statt eines regulären Langspielers drei kurzweilige Minialben veröffentlichen wird - ein Konzept, das sich mit M.I.A.s progressivem Popverständnis wohl durchaus in Einklang bringen lassen würde.

Dass Maya Arulpragasam jedoch unbeirrt jeder (auch physischen) Anfeindung auf politischer Message beharrt, macht "Maya" abseits von Formatfragen zu einem Beweis seltener künstlerischer Reife. Ihre Provokationen sind nie Selbstzweck, sondern erfolgen stets um des Anliegens willen. "Kein Mensch will zu politischen Songs tanzen. Ich wollte sehen, ob ich Nummern über wichtige Dinge schreiben und sie klingen lassen könnte, als ginge es darin um nichts Bedeutendes. And it kind of worked."

Trackliste

  1. 1. The Message
  2. 2. Steppin Up
  3. 3. XXXO
  4. 4. Teqkilla
  5. 5. Lovalot
  6. 6. Story To Be Told
  7. 7. It Takes A Muscle
  8. 8. It Iz What It Iz
  9. 9. Born Free
  10. 10. Meds And Feds
  11. 11. Tell Me Why
  12. 12. Space

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT M.I.A. (UK)

In London geboren, auf Sri Lanka die Kindheit verbracht, wieder in London in den Clubs erwachsen geworden und bereits mit Anfang zwanzig ein unstreitbares …

9 Kommentare

  • Vor 13 Jahren

    Wie kann man über so eine Platte so ein Gehirngeschwurbel schreiben?

  • Vor 13 Jahren

    Props an SillyWalk, habe ich mich auch gefragt.

    MIA ist top.

  • Vor 13 Jahren

    Ich bin immer wieder sprachlos wie belanglos manche Reviews hier gelingen. Nicht bloß, dass die ganze Zeit ein offensichtliches Unverständnis der Musik durchschimmert, nein, sie ist auch einfach schlecht geschrieben. Nachdem ihr in letzter Zeit so viel - zumeist relativ positiv - über M.I.A. berichtet habt dürfte man meinen, dass sich regelrecht um die Rezensionsaufgabe gerissen wird und am ENde etwas herauskommt, was zumindest etwas Herzblut aufweist. Es ist mir gleich, ob die Platte jetzt 1 oder 5 (oder die auf jeden Fall angemessenen 4) Punkte kriegt, aber die Bespreche ist zwar lang, aber nichtssagend. Wir wissen jetzt M.I.A. hat politische Botschaften und Interessen und die Platte hat zwei sehr unterschiedliche Seiten, aber die Bemühungen sowas wie einen roten Faden in die Review einzuweben ist gründlich daneben gegangen. Wenn ich das Album nicht schon seit Tagen ununterbrochen pumpen würde (obgleich ich Kala anch wie vor um Klassen besser finde), eure Review würde mir nicht viel Auskunft darüber geben, ob die CD was für mich ist...
    Schade eigentlich..