laut.de-Kritik
Der Aggregatszustand wechselt zu Bass.
Review von Kay SchierDas Album beginnt mit den Reglern auf 11 und steigert sich dann langsam. Der Auftakt erfolgt in Form der akustischen Kriegserklärung "F.I.A.S.O.M. Pt. 1" und "F.I.A.S.O.M. Pt. 2" und einer halben Minute übersteuertem, dissoziativem Lärm direkt ins Gesicht, darauf noch eine halbe Minute gesamplete Chants, ein kurzes, meditatives Luftholen vor dem Sprung, bis schließlich der Schlachtruf "Freedom is a state of mind / what are you gonna do with mine" einmal durch Herz und Hirn vibriert – klingt nach, fühlt sich an wie und ist es auch endlich wieder: M.I.A.
Ich habe ihr für einen Moment lang wirklich geglaubt, dass das Album kommt, sobald Doja Cat und Nicki Minaj ihre Features geschickt haben. Genau so wie ich ihr kurz abgekauft habe, dass "Popular" eine zynische Abrechnung mit dem Influencertum sein soll, eine Message, die einem das Video zum Track dick aufs Brot schmiert, damit sie ja nicht verloren geht. Aber mittlerweile bin ich mir ziemlich sicher, dass diese Features eher eben jenem zynischen Humor entsprungen sind. Und wenn sie über ein unglaublich rohes, bratziges Reggaeton-Abrissbirnen-Instrumental die Losung "Now you wanna be around me, round me' / 'cause I love myself, I'm living my best life" ausgibt, dann hat das natürlich eine zweite Ebene, andererseits spricht sie damit simple Tatsachen aus: Maya is feeling herself.
Meine Erwartungen waren nach dem in meinen Ohren eher schleppend vor sich hinplätschernden "Aim", der langen Pause danach und dem bizarren Schwachsinn, den sie derzeit so auf Twitter postet, eher gedämpft. Doch dann kam Maya Arulpragasam, sah und droppte den Bass. So aggro und energetisch hat sie seit "Maya" nicht mehr geklungen. M.I.A. ist angepisst und hat großen Spaß dabei, ist also ganz bei sich.
"Mata" läuft knapp über eine halbe Stunde lang und ist damit ihr bislang kürzestes Album. Die Reduktion aufs Wesentliche hat der Musik gutgetan. Ihr chaotischer, transkultureller, sich aus Samples und Stilen unterschiedlichster Herkunft speisender Sound klang noch nie so fokussiert wie hier. Der ekstatische Rave "Beep" etwa speist seinen enormen Suchtfaktor unter anderem gerade daraus, dass er nur zwei Minuten braucht, um eine Überdosis Serotonin freizusetzen.
Obwohl M.I.A. weit vom Höhepunkt ihrer Relevanz entfernt ist, sofern man diese an den nackten Streaming-Zahlen misst, hat eine illustre Truppe an internationalen Hochkarätern "Mata" mitgeformt. In den Credits finden sich Namen wie Rick Rubin, Skrillex, Pharrell, ihr langjähriger Spezi Diplo oder Lil Uzi Vert (angeblich auf "Marigold", ich höre Uzi dort nicht heraus, aber wird wohl so sein). Als Anti-Popmusikerin vom Dienst hat sie mit der Popmusik schon immer in fruchtbarer Konversation gestanden, und das versammelte Genre-Know How zahlt sich aus, zum Beispiel wenn auf "The One" zu der sich selbst feiernden Zeile "head for the gate / art in the Tate / I'm the thing that sons imitate" der Bass dermaßen trocken und humorlos abgemischt durch den Beat bumst, das man nicht weiß, ob man noch mitnickt oder schon headbangt, und dann ist es auch egal, ob es in dem Track nun um Christus geht oder sie selbst.
"Zoo Girl" beweist, dass sie Afrotrap studiert, verstanden und gemeistert hat. Auf dem Beat von "Time Traveller" baut Pharell seine kauzige, knarzige Seite weiter aus, die schon das letzte Pusha T-Album bereichert hat, M.I.A. rappt darauf über ihre Migrationsbewegungen über Grenzen, Raum und Zeit hinweg. Auf "Puththi" sind die Vocals zunächst dermaßen durch den psychedelischen Fleischwolf gedreht, dass ich nicht sagen kann, ob das ein Sample ist oder sie selbst oder eine Mischung aus beidem, bevor sie die Bühne der tamilischen Rapperin Navz 47 überlässt, welche diese einmal anzündet, abreißt und dann den Beat weiterlaufen lässt.
Es fällt mir tatsächlich aber schwer, groß auf einzelne Songs einzugehen. "Mata" fühlt sich an, als würde das Gehirn für eine halbe Stunde seinen Aggregatszustand ändern, von fest zu Bass. M.I.A. rappt, singsangt, klagt an, flirtet und macht sich lustig. Die Beats ballern durch Beton. Mir fällt nach sorgfältigstem Kopfzerbrechen nichts ein, was mich an dem Album stört, sogar die abschließende Rockballade "Marigold" macht im Kontext Sinn als großes Verschnaufen nach brutalem Moshpit.
Es gibt immer noch niemanden, der auf ihrem Level so eine Musik produziert – ein großes Vermischen und Feiern der Musikstile des globalen Südens Seite an Seite mit den Clubsounds der europäischen und US-amerikanischen Großstädte, emotional, aggressiv, auf den Punkt, dabei den Pop umarmend. Ich rücke ihr die 5 jetzt mal raus, weil ich hoffe, dass sie nicht den Kanye machen und aktiv den Schulterschluss mit der völkischen Rechten suchen wird, weil sie die 5 im Rückblick betrachtet für jedes Album (außer meiner Meinung nach "Aim") verdient hätte, und weil "Mata" einfach der Shit ist. Wer etwas anderes behauptet, hat keinen Plan.
4 Kommentare mit 12 Antworten
Was für ein mieser Leberhaken, dieses wirklich perfekt verdichtete und bassiv übersteigerte Groovemonster völlig zurecht mit 5 Sternen zu bewerten und dann unten drunter auf das Profil dieser absolut egalen deutschen Befindlichkeitspop-Tanzmausband zu verlinken.
Groovemonster? Naja...die balanciert oft zwischen "richtig gut" und "könnte musikalisch auch von einer Eurodance Kapelle sein"
Dieser Kommentar wurde vor 2 Jahren durch den Autor entfernt.
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Pfffft... Da hat einer den GB505-Sound offensichtlich in allzu romantisch verklärter Erinnerung behalten. Kompositorisch mag sie da augenzwinkernd die ein oder oder andere Reminiszenz an diese Zeit auf dem Album verweben, aber hör doch einfach zum Spaß nochmal schnell "Tribal Dance" von 2Unlimited oder "Mr. Vain" von Culture Beat. Fang beim Vergleich jedoch lieber mit M.I.A. an, da zieht dir der Ansaugdruck vom Subwoofer vorher noch genug Schmalz aus den Ohren, damit du in unserem Alter im Eurodance der 90er überhaupt noch so was wie Bassfrequenzen entdeckst.
"Tanzmaus", putzig. Hast du noch mehr Sexismus am Start?
Kommt drauf an... Haben Mia noch mehr deutschen tanzbaren Befindlichkeitspop mit verkaufsfördernd attraktiv inszenierter Sängerin im Hipsterklischeewunderland am Start?
Okay, Eurodance hat ja aber auch die Flo Ridas und Will.I.ams dieser Welt mit zu verantworten. Das war eher meine Vergleichsfläche. Ist ja auch wurst, ich hab mir teils mehr Banger und weniger Dance erhofft.
Wenn soulburn für eins bekannt ist, dann ganz klar für seinen Sexismus.
Dance höre ich raus, Euro eher nicht. Wenn schon Vergleiche mit Charts-Trash-Mugge, dann fällt mir hier spontan der zurecht vergessene Panjabi MC ein.
"[...] fällt mir hier spontan der zurecht vergessene Panjabi MC ein"
Hab ihn genauso wenig wirklich vergessen können wie du...
Aus dessen "Mundian to Bach Ke" und "Get Busy" von Sean Paul lässt sich ohne viel technischen Schnickschnack ein übelster Mashup-Banger live improvisieren, der zumindest meiner Auflege-Erfahrung nach auch im letzten Schmuddelmeddler-Loch um kurz vor 02 Uhr nachts mit bloß zwei Crossfader-Zügen und einem Augenzwinkern die Tanzfläche füllt und danach den an der Decke kondensierenden Schweiß aufs selbigen produzierende Publikum niederregnen lässt.
Naja, wer Panjabi MC und Sean Paul im Koffer hat, kann dann auch gleich noch Mia mit draufpacken.
Zu Auflegejobs fahr ich mit'm Traktor, da brauch ich keinen Koffer, mein dadurch schwindendes Ansehen unter traditionellen Plattentellerartist*innen ist mir eh völlig wumpe und meine im Gegensatz zur digitalisierten CD-Sammlung zahlenmäßig stark unterlegenen LPs sind mir trotz etlicher billiger Nachpressungen doch irgendwie zu schade für die Schmuddelmeddler- und linksgrünsiffigen Kulturzentren.
Zumal ich so Schmarrn wie Sean Paul und Panjabi MC eher von Single-CDs aus Flohmarktkäufen sowie aus der berüchtigten Zeit regelmäßiger inflationärer Überausstattung mit sog. "Promoexemplaren" übrig hab und mich bei den Schallplatten seit Wiedereinstieg ins Sammeln mehr auf die persönlichen Alltime-Favs konzentriere.
Finde das Album wirklich richtig gut, bis es dann plötzlich mit mit Puthtihi, KTP und Marigold unerträglich wird. Was ist das denn? Nachdem die ganze Zeit extrem pushende, bassballernde funky Angepisstheit regiert, bekomme ich zum Ende hin diese miesen Heal The World - Vibes? Und das ist ja bei nur 30 min Spielzeit schon ein ganz schön großer Teil. Schade.
Ich muss gestehen, dass es mir nicht gefallen hat. Ich hab grundsätzlich bei M.I.A. das Problem, dass die Alben größtenteils nicht meins sind. Einzelne Songs finde ich überragend, der Rest verschwimmt für mich immer wieder in einer homogenen Masse. Bei dem Album ist es auch wieder so: 2 überragende Songs, ansonsten dieselbe Beatstruktur, dieselbe Delivery. Ich habs nebenher beim Schreiben gehört und dachte mir bei einigen Songs so "Mensch, die gehen aber echt lange." nur um festzustellen, dass ich schon 2 Tracks weiter bin.
Verdammt starkes Album von meiner Lieblingsschwurblerin.