laut.de-Kritik

Es muss nicht immer Lärm und Gedresche sein.

Review von

Provokation mit Ansage oder Weiterentwicklung einer Band, die sich in ihrem alten Sound nicht mehr komplett wohl fühlt? Möglicherweise beides. Machine Head in Form ihres Masterminds Robb Flynn wissen jedenfalls genau, welche Reaktionen dieses Album hervorrufen wird. Flynn tat gut daran, im Vorfeld die Hoffnungen auf eine ultraharte und schnelle Platte zu dämpfen. In Zeiten von Musikern, die sich gegenseitig mit Superlativen im Vorfeld neuer Veröffentlichungen überbieten, eine reine Wohltat.

Dabei verhält es sich mit "Catharsis" gar nicht so anders als beim unmittelbaren Vorgänger "Bloodstone & Diamonds". Machine Head bleiben eine Metalband, die nicht urplötzlich das musikalische Lager gewechselt hat. Lediglich ihre stilistische Bandbreite ist um einige Elemente angewachsen. Schnellere und langsamere Songs finden sich auf dem Album, härtere und softere - und die mutmaßlichen Steine des Anstoßes, "Behind The Mask" und "Bastards". Ersterer kommt in Gestalt einer melancholischen Rock-Ballade daher und erstmalig in ihrer Geschichte verwenden die Musiker aus Oakland keine einzige E-Gitarre. Lediglich akustische Saiteninstrumente erklingen auf diesem Stück.

Bassist Jared MacEachern beweist mit ein paar Gesangseinlagen, dass er auch eine Position als Frontmann ausfüllen könnte. Der zwingenden Melodie dieses Songs können sich nur Leute entziehen, für die es immer Lärm und Gedresche sein muss. "Bastards" geht rockiger und etwas flinker zu Werke, geht aber auch nicht als Metal-Hymne durch. Energie besitzt der Song trotzdem ordentlich, im Verlauf mutiert Robb Flynn vom Sänger zum Ankläger. Schaut man sich die Reaktionen in den sozialen Netzwerken an, polarisiert der Text mindestens genauso stark wie die Musik. Amerikanische Metalfans sind bekanntlich noch konservativer als deutsche. Diesen Leuten stoßen Flynns politische Aussagen übel auf. Der Hass, den sie über die Band auf ihrer Facebook-Seite ausschütten, spricht Bände. Worte wie "snow flake" fallen, ein im Amerikanischen benutzter Slangausdruck für "weinerliche Liberale", um ein Zitat zu benutzen.

Ich meinerseits begrüße es sehr, wenn Musiker für ihre politischen Ansichten einstehen und textlich mehr draufhaben als "ich zersäge meine Ex-Freundin" oder "meine Drachen und ich, wir ziehen gen Valhalla". So viel zu den kontroversen Songs des Albums. Wer sich davon irritieren lässt, dem entgehen exzellente Brecher klassischer Machine-Head-Prägung wie "Psychotic", "Kaleidoscope" oder "Grind You Down". Den Härtegrad von "Burn My Eyes" oder "The Blackening" sucht man zwar vergeblich, den von "Unto The Locust" oder dem vorherigen Album findet man in diesen und weiteren Songs durchaus, ergänzt um größere Konzentration auf melodisches Songwriting. In "Triple Beam" erinnert die Band auch noch mal an ihre beiden Nu-Metal-Platten rund um die Jahrtausendwende und erzählt eine Geschichte von der Straße (ein Triple Beam ist übrigens eine kleine Waage und wird für Drogenvertickungszwecke benutzt).

Das längere Machine-Head-Opus darf auch nicht fehlen und trägt 2018 den Namen "Heavy Lies The Crown". Langjährigen Hörern der Band dürfte der Aufbau sehr bekannt vorkommen: Nach einem ruhigen Vorspiel mit Streichern und Flynn im Flüstersäuselmodus bricht der Song später aus und legt enorm an Härte zu. Diese Art von groovigem Thrash Metal beherrschen die Kalifornier mittlerweile im Schlaf, diverse Tempiwechesel inklusive.

Schlussendlich gab es bei Machine Heads neuer Platte keinen Grund für die Aufregung im Vorfeld. Die Band veröffentlicht mit "Catharsis" ein weiteres hochklassiges Album mit etwas mehr Experimenten als zuletzt. Den Rausschmeißer "Eulogy" hätte ich nicht unbedingt gebraucht, zumal das Stück lediglich eine Variante von "Bastards" darstellt. Ansonsten fliegen 74 Minuten ohne erkennbare Längen vorbei und machen richtig Lust auf die Konzerte im Frühjahr. Außerdem, wer könnte eine Veröffentlichung schlecht finden, die mit den Worten "fuck the world!" beginnt?

Trackliste

  1. 1. Volatile
  2. 2. Catharsis
  3. 3. Beyond The Pale
  4. 4. California Bleeding
  5. 5. Triple Beam
  6. 6. Kaleidoscope
  7. 7. Bastards
  8. 8. Hope Begets Hope
  9. 9. Screaming At The Sun
  10. 10. Behind A Mask
  11. 11. Heavy Lies The Crown
  12. 12. Psychotic
  13. 13. Grind You Down
  14. 14. Razorblade Smile
  15. 15. Eulogy

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9 Kommentare mit 3 Antworten

  • Vor 6 Jahren

    Wow, haben wir die selbe Platte gehört?! Lange nicht mehr so wenig Übereinstimmung mit ner Rezi hier gehabt.
    In meinen Ohren klingt die Platte ungefähr so wie Flynns öffentliches Auftreten in diversen Interviews und auf sozialen Medien in den letzten Monaten geklungen hat: inhatlich und lyrisch fragwürdig bis peinlich/kindisch, großkotzig und simpel/stumpf bis absolut wirr. Ich konnte kaum einen Song durchhören ohne gelangweilt oder von Fremdscham getrieben zu skippen. 'Bastards', von dem ich anfangs nicht begeistert war, ist für mich noch der beste Song des Albums.
    Ständig wird hier die Grenze zum Kitsch oder zum großspurigen Bombast überschritten, viele Songs klauen schamlos bei Kollegen und Äras, die seit knapp 20 Jahren vorbei sind (Volatile --> Slipknot) und Flynns hechelnder und klagender Vortrag nervt auf Dauer auch ziemlich. Ein Song wie "Heavy lies the Crown" (= Sail into the Black) ist wie sein Vorbild locker 3-4 Minuten zu lang. Die Lyrik geht oft nicht über Kalendersprüche oder Allgemeinplätze hinaus (da hör ich tatsächlich lieber Mukke über Valhalla oder Piraten) und schön, dass der Rezensent im letzten Satz auf die ersten Vocals des Albums eingeht: Ich kann ein "Fuck the World" zu Beginn eines Albums echt scheiße finden, wenn es von einem Ü-50 Großkotz kommt, der wirkt, als müsse er seine Mitt-20er nochmal aufleben lassen (Limp Bizkit und Slipknot lassen grüßen).
    Insgesamt leider für mich ne riesen Enttäuschung. 'The Blackening' ist für mich unerreichbar, aber auch den Releases danach kann das hier bei Weitem nicht das Wasser reichen. 2/5 für Bastards und ein paar gute Riffs, ich hoffe auf das nächste Machine Head Album.

  • Vor 6 Jahren

    Wie man sich hier eine 4er Wertung zusammenwürfeln kann, ist mir schleierhaft.
    Absolut lagweiliges, generisches und somit völlig überflüßiges Album.
    Jede Bewertung außerhalb 1/5 verbietet sich daher natürlich von selbst.

  • Vor 6 Jahren

    Ich stimme diesmal 4 Players vollkommen zu. Ein geniales mit Ohrgasmen durchzogenen Werk. Diesmal bleibt richtig viel hängen. Zum Glück kaum gefrickel in Überlänge. Bestes Album der Band. So, mit gestreckten Mittelfinger allen Hatern ein Fuck the World... 5(!) Sterne für richtig gute Musik. Echt mal...

  • Vor 6 Jahren

    Für mich persönlich ein gutes Album, welches die Band zurück in die Vergangenheit führt und nach vier Alben in ähnlichem Stil (mit Machine Head im Thrashmodus) willkommene Abwechslung in der Diskographie bietet. Wahrscheinlich hat die Phase der ersten beiden Platten und die von Through The Ashes bis Bloodstone mehr Anhänger als die dazwischenliegende, aber ich mag die stärker groove-orientierte Herangehensweise sehr gerne. Das neue Album in sich finde ich abwechslungsreicher als jedes andere, mit Behind The Mask ist für mich die erste RICHTG gute MH-Ballade dabei, so etwas wie Bastards gab's natürlich bislang überhaupt nicht, dazu langsamere Brecher wie Beyond The Pale oder Screaming At The Sun und Schnelleres wie Volatile. Perfekt! Und hey, in den Neunziger und Nuller Jahren gab es EINIGE coole Sachen in punkto Sprechgesang+Metal, das wird heute zwar nur belächelt und für peinlich und scheiße befunden aber Spaß gemacht hat es trotzdem: etwas in der Art von von Triple Beam oder auch California Bleeding traut sich heute eigentlich sonst niemand, allein deshalb (und ein wenig aus Nostalgie) begrüße ich solche Nummern absolut! Die einzigen Wermutstropfen sind für mich Eulogy (das ist wirklich nur Schall, der es nicht wert ist, auf CD oder Vinyl gebannt zu werden) und die ersten drei Minuten von Heavy Lies The Crown: völlig unbrauchbares "Intro" welches den einzigen Zweck hat, den Song an die 9-Minutengrenze zu bringen. Umso schlimmer, da die zweite Hälfte absolut großartig ist!
    Und zu guter Letzt, ja Rob Flynn ist halt Rob Flynn, wir werden alle älter und "fuck the world" und die ständigen "middlefingers in the air" bräuchte ich perönlich WIRKLICH nicht mehr. Aber gut. Er ja auch kein Raketenwissenschaftler oder Nobelpreisträger für Philosophie.

    • Vor 6 Jahren

      Ich bin (mittlerweile) der selben Meinung. Anfänglich war ich doch einigermaßen enttäuscht (Ist das wirklich dieselbe Band die Klassiker wie "Imperium" geschrieben hat?), aber mittlerweile feiere ich Lieder wie Catharsis, Beyond The Pale und Volatile extrem. Und auch Triple Beam finde ich genial...erinnert mich halt an die Zeit als Limp Bizkit und Co. extrem coole Lieder geschrieben haben. Und Triple Beam hat einen extrem coolen Groove; bin schon gespannt ob sie das Ding live raushauen; wünschen würde ich es mir!

    • Vor 6 Jahren

      Stimme euch absolut zu. Für mich bleibt "The Locust" das beste Album. Allerdings finde ich Catharsis doch etwas stärker als den Vorgänger, der mit den schleichen Schwächen zu kämpfen hatte UND 1-2 Füller drauf hatte.

  • Vor 6 Jahren

    Die Person Rob Flynn hat mich mehr als einmal provoziert, aber das Album kann ich definitiv nicht kacke finden. Ein modernes Metal-Album in dem Sinne, als dass es mit Erwartungshaltungen und Gleichförmigkeit bricht. Die Elemente selbst sind ja soweit bekannt, die Zusammensetzung macht den Unterschied.

  • Vor 6 Jahren

    Mir gefällt es. Ja, Blackening bleibt unerreicht, dennoch finde ich es sehr gut.