9. Dezember 2003

"Wir liebten Videos mit Bomben und Flammen"

Interview geführt von

Immer entschiedener bricht der Machine Head-Fronter in letzter Zeit mit dem Tough Guy-Image. Auf dem letzten Album "Through The Ashes Of Empires" legte er sogar einen Seelen-Striptease hin, der sich gewaschen hat. Mit einem Softie haben wir es deswegen natürlich noch lange nicht zu tun ...

Hi Robb. Erst einmal herzlichen Glückwunsch zum neuen Album.

Danke, Mann.

Ich hatte den Eindruck, dass ihr zur alten Stärke und Härte zurück gefunden habt, die auf "Burn My Eyes" spürbar war. Habt ihr euch einfach nur auf die Werte besonnen, die ihr bei der Gründung von Machine Head hattet, oder sind die anderen Alben auf der neuen Scheibe genauso präsent und spürbar?

Ich höre auf diesem Album immer noch eine Menge experimentelle und melodische Elemente, die wir bei "The Burning Red" eingebracht haben. Es war eine ziemlich verrückte Zeit, da wir das Album zu dritt geschrieben haben, Ahrue hatte ja die Band verlassen. Es war eine sehr unsichere Zeit. Wir mussten uns wirklich zusammenreißen, und trotzdem waren wir irgendwie frei. Wir konnten zu diesem Zeitpunkt tun, was wir wollten: Musik machen, um Musik zu machen. Drei Musikfans, die einfach nur aus total egoistischen Gründen Musik machten. Wir hatten gerade angefangen, Lieder zu schreiben, ohne dass unser Label uns irgendwelche Vorschriften machte, etwas für das Radio oder so zu schreiben. Die Songs wurden immer länger, und so lange eine gewisse Energie und ein Flow und eine Vorwärtsbewegung vorhanden war und es uns gefiel, sagten wir einfach "Scheiß drauf". Bei der Hälfte der Songs beginnt die Strophe erst nach zwei Minuten, wenn viele Lieder eigentlich schon fast vorbei sind. Wir dachten einfach nur, dass es sich gut und richtig anhört und haben einfach weitergeschrieben. So hat sich das Album entwickelt. Wir schrieben 24 Songs, schränkten diese auf 10 ein und dachten einfach nur, dass es ordentlich rockt.

Du hast mal gesagt, dass dir egal ist, was die Presse schreibt. Ich habe sehr viele positiven Kritiken zu "Through The Ashes Of Empires" gelesen. Was bedeutet dir das?

Ich finde es cool, wenn man gut über uns schreibt und wenn man Schlechtes über uns schreibt, ist es auch cool. Ich lege nicht viel Wert auf das, was irgendjemand über irgendetwas sagt. Am Ende geht es doch nur darum, was wir vier darüber denken, weil wir dafür einstehen müssen, und niemand anderes. Wir machen das jetzt schon seit neun Jahren, und Leute, die mir direkt in die Augen gesehen haben, sagten mir, wie sehr sie doch "The Burning Red" mochten, wie verdammt gut sie "Supercharger" fanden, und jetzt sitze ich hier, eineinhalb Jahre später, und die gleichen Leute erzählen mir: "Na ja, ich mochte dieses Album nie." Ich werde darüber mit niemandem streiten. Ich bin wie jeder andere, jeder mag Komplimente, aber was uns wirklich zufrieden macht, ist dass wir uns selbst herausgefordert haben und diese Herausforderung gemeistert haben. In mehrfacher Hinsicht standen wir mit dem Rücken zur Wand, aber wir sind immer noch hier und das ist gut so.

Als ihr das erste Video für "Supercharger" veröffentlich habt, "Crashing Around You", hattet ihr ein paar Probleme ...

Ja, ein paar ...

Sind die Erfahrungen, die ihr damals gemacht habt, der Grund, warum ihr das Video für "Imperium" eher neutral gehalten habt? Man sieht euch nur dastehen und spielen, aber es gibt keine Story.

Seit dem 11. September wird kein Video mehr gespielt, in dem Flammen und so vorkommen. Du könntest genauso gut dein Geld zum Fenster rauswerfen. Vor zwei Jahren war das noch anders. Man konnte Bomben und Flammen und explodierende Autos in Videos einbauen, und es war großartig. Wir liebten das und nutzten es. Man konnte ja nicht ahnen ... Unser Video wurde am 10. September akzeptiert, mit der brennenden Skyline von San Francisco und dem ganzen abgefahrenen Zeug, und dann passierte der 11. September. Dazu noch der Titel "Crashing Around You". Es gab keinen unpassenderen Songtitel außer vielleicht "Let the Bodies Hit the Floor" von Drowning Pool. Diese beiden Titel waren einfach nur YANK! Und als wir "Imperium" drehten, fragt jeder: "Was denkt ihr euch dabei? Das ist verdammt verrückt! Dieser Song ist fast sieben Minuten lang und voller Thrash-Beats. Er ist verdammt super-heavy", und wir antworteten nur: "Ja, deswegen muss daraus ein Video werden". Alle Video-Labels beschwerten sich, sie könnten zwei Videos während der Dauer eines Machine Head-Videos zeigen und wir sagten: "Wir wollen dieses Video, wir finanzieren es, und das ist, was wir tun werden". Es ist ein fantastischer Song, wir haben ein tolles Video gedreht, es sieht gut aus, es sieht professionell aus; und alle Video-Labels sahen es und sagten einfach nur: "Wow, das wirkt ja gar nicht wie sieben Minuten". Also akzeptierten sie es und spielten es. Das war eine reine Glückssache, aber wir haben es darauf angelegt, weil es uns das wert war.

Ein anderer herausragender Song ist "Left Unfinished". Es ist ein sehr persönlicher Song, in dem du deine Adoption aufarbeitest, und ich muss zugeben, dass der Text mich etwas erschrocken hat. Drückt er wirklich aus, wie du deinen leiblichen Eltern gegenüber empfindest, oder wolltest du nur darüber singen, wie sich Kinder fühlen, die von ihren Eltern verlassen werden?

Ich spreche nicht für irgendjemand anderen in diesem Song, ich spreche nur für mich. In vielerlei Hinsicht bin ich wohl eines der glücklicheren Adoptivkinder. Ich kenne Leute, die zur Adoption freigegeben wurden und nur von Pflegefamilie zu Pflegefamilie weiter gereicht wurden. Ich hatte viel Glück mit meinen Eltern, die mich aufgezogen haben. Mein ganzes Leben hatte ich diese Gefühl von Distanz, egal ob gegenüber meinen Freunden oder meiner Familie. Ich bin jetzt verheiratet, aber ich brauchte fast neun Jahre, bevor ich das überhaupt wollte, weil ich im Hinterkopf immer dachte, dass man mich irgendwann verlassen würde. Es ist nicht so, dass ich darüber weinen würde, ich mag Leute nicht, die so sind, und ich will nie so verstanden werden. Manchmal muss die Wut darüber nur raus, und das ist es, worum es in diesem Song geht.

Hat dich diese Situation zu deiner Karriere ermutigt und angetrieben?

Das hat sie wahrscheinlich, aber das ist, als würde man sagen: "Ich bin froh, dass ich in der Schule immer verprügelt wurde, weil ich sonst vielleicht ein anderer Mensch wäre".

Ahrue Luster wollte nicht mehr so harte Musik spielen und hat deshalb die Band verlassen. Habt ihr noch Kontakt oder gibt es deswegen böses Blut zwischen Machine Head und Ill Nino (wo er inzwischen Gitarrist geworden ist, d.Verf.)?

Nein, zwischen uns und Ill Nino gibt es keinen Ärger. Wir sind mit den Leuten sogar befreundet. Ahrue hatte einfach keinen Spaß mehr daran, Songs wie "Bulldozer" und "Davidian" zu spielen, er wollte lieber kommerziellere Musik machen. Bevor er zu Ill Nino wechselte, war er in einer Nickelback-artigen Band. Ill Nino hat ihn erst kürzlich gefragt und er ist auch nicht auf dem Album zu hören. Jetzt macht er das, und Ill Nino sind auch offensichtlich nicht so hart wie Machine Head.

Ahrue war stark am Songwriting für "Supercharger" beteiligt. Hatte seine fehlende Beteiligung beim Schreiben von "Through The Ashes Of Empires" großen Einfluss auf den Klang des Albums, oder hat er einfach nur den Weg für Dave McClain als Songwriter freigemacht?

Dave beteiligte sich schon am Songwriting für "The Burning Red". Er steuerte ein paar gute Riffs bei, auch für "Supercharger". Wir schrieben für "Through The Ashes Of Empires" zu dritt, und alle Beiträge waren willkommen. Von ihm sind wieder ein paar fette Riffs, z.B. einige in "Imperium", viele für "Descend The Shades Of Night".

Dave spielt auch Gitarre?

Ja, er ist ok. Das ist seltsam, er ist kein wirklich guter Gitarrist, aber seine Riffs sind Killer.

Inwiefern hat Phil Demmel am Sound des neuen Albums Anteil?

Phil und ich haben zwei Songs geschrieben: "In The Presence Of My Enemies" und "Days Turn Blue To Gray". Sein Hinzukommen eröffnete uns viele neue Möglichkeiten. Wir hatten vieles geschrieben das darauf basierte, was wir mit Ahrue in der Band realisieren konnten. Phils Fähigkeiten ergänzen meine. Wir kommen von der gleichen Schule, haben den gleichen Hintergrund, und wir haben so viel mehr Möglichkeiten. Das haben wir ausgenutzt und einiges neu geschrieben.

Habt ihr daran gedacht, Logan Mader wieder in die Band zu holen?

Nicht ernsthaft.

Also war Phil erste Wahl?

Wir spielten mit Phil auf dem With Full Force-Festival, und schon nach den ersten beiden Shows dachten wir, dass sich das gut anfühlt. Da stimmte definitiv die Chemie zwischen allen. Wir ließen ihm diese Tür offen, und als er sich im März diesen Jahres dazu entschied, ein Teil von Machine Head zu sein, sagten wir nur: "Herzlich willkommen an Bord". Aber wir hatten von vorneherein geplant, das Album zu dritt zu machen und nicht Logan zurückzuholen. Er macht sein eigenes Ding.

Als du damals bei Vio-Lence warst, hast du nur Gitarre gespielt und nicht gesungen. Warum hast du in Machine Head auch die Vocals übernommen?

Weil ich mich immer für einen besseren Sänger als Shawn hielt. In meiner ersten Band habe ich nur gesungen und gar kein Instrument gespielt. Ich war noch nicht gut genug an der Gitarre zu diesem Zeitpunkt, und wir hatten schon zwei Gitarristen, die besser waren als ich. Ich wollte nicht mal Sänger sein, aber es ergab sich so, weil jeder schon ein Instrument spielte und der Gesang fehlte; also hab ich das eine Weile gemacht. Ich fand mich selbst aber nie gut, weshalb ich froh war, das an jemand anderen abzugeben. Dann begann die Sache mit Machine Head, und ich dachte einfach, dass ich ziemlich gute Ideen hatte.

Wir haben schon über die Texte von "Through The Ashes Of Empires" gesprochen, die ja sehr persönlich sind. Hast du jemals daran gedacht, Machine Head als Forum zu nutzen, um deine politischen Ansichten auszudrücken, insbesondere nach dem 11. September?

Die Texte auf diesem Album sind nicht rein persönlich, wie z.B. bei Songs wie "Elegy" oder "In The Presence Of My Enemies", das definitiv kein Pro-Kriegs-Song ist. "Elegy" ist ein Statement gegen diese weit verbreitete Lebe-für-den-Augenblick-Mentalität. Ich halte das für ein großes Problem. Jeder ist viel zu sehr damit beschäftigt, für heute zu leben. Ich bin mit Hip Hop aufgewachsen und in dieser Kultur ist definitiv diese Attitüde vertreten. Jeder ist nur darauf aus, was für sich zu bekommen. Scheiß auf morgen, scheiß auf alle anderen. Ich halte diese Einstellung für schwach. Keiner verschwendet auch nur einen Gedanken an morgen. Ich habe zwar keine Kinder, aber aus vollkommen egoistischen Gründen will ich auch was für morgen haben. Genau das drücke ich in diesen beiden Songs aus.

Du hast mal über The Grateful Dead gesagt, dass du sie bewunderst weil – ich weiß, dass du ihre Musik nicht magst, ok, "nicht magst" ist zu nett ...

Nein, ich mag ihre Musik nicht nur nicht, ich hasse ihre Musik!

... aber sie sind insofern ein Vorbild für dich, da sie es geschafft haben, viele Fans um sich zu sammeln und eine Menge Alben zu verkaufen, ohne jemals Mainstream zu sein. Hast du jemals für Machine Head die Gefahr gesehen, Mainstream zu werden, besonders nach der Veröffentlichung von "The Burning Red", die sich sehr gut verkaufte und der vorgeworfen wurde, zu stark von Hip Hop beeinflusst zu sein?

Meiner Meinung nach war "Burn My Eyes" von allem, was wir bisher gemacht haben, am nächsten am Mainstream. Wir waren die ganze Zeit auf MTV, sie spielten von morgens bis abends "Davidian". Das war eine andere Zeit, da lief noch Headbanger's Ball. Es ist so unwahrscheinlich, dass ein Song wie "Davidian" Mainstream wird, aber es war wie ein verrückter Unfall. Niemand bei MTV wollte dieses Video spielen. Es ist fünf Minuten lang, "fucking RAH RAH RAH! Fucking Thrash, Double-Bass." Aber die Leute wollten es und ihre Reaktion darauf war großartig. Ich respektiere The Grateful Dead für das, was sie getan haben. Die Leute liebten sie, weil sie einfach sie selbst waren. Ich glaube das ist es, was wir auf der neuen Platte gemacht haben. Wir haben nur versucht, wir selbst zu sein und nicht uns zu wiederholen, denn wenn du versuchst, dich selbst zu wiederholen, trittst du dem, was du vorher getan hast, besser ordentlich in den Arsch. Wenn du einen Song schreibst, der "Davidian" ähnlich ist, dann lässt du "Davidian" besser wie die verdammten Bee Gees klingen. Und wenn du das mit dem neuen Song nicht kannst, dann sieh zu, dass du ihn los wirst und was anderes machst. Er würde nur wie ein billiger Abklatsch von "Davidian" wirken. Du musst verschiedene Dinge ausprobieren, du musst experimentieren. Manchmal machst du Fehler, manchmal missverstehen dich die Leute, aber du kannst auch von deinen Niederlagen lernen, mindestens genau so viel, wie du von deinen Erfolgen lernen kannst. Wahrscheinlich lernt man sogar mehr von seinen Misserfolgen. Wenn du dir selbst beim Musik machen treu bleibst, ist es das, was letzten Endes auch rüberkommt.

Was hältst du dann von Bands wie Limp Bizkit? Glaubst du dass ihre Wandlung von der Zeit von Songs wie z.B. "Pollution" zu ihren heutigen Lieder eine glaubwürdige musikalische Entwicklung ist, oder ist ihre Musik ein Opfer ihres Erfolges?

Ich mochte Limp Bizkit nie. Meiner Meinung nach haben sie einfach zu viel bei Korn und den Deftones geklaut. Ich kenne ein paar Songs. "Break Stuff" ist cool. Ich kann es nicht verneinen, but who doesn't want to break stuff sometimes. Ich könnte jetzt hier sitzen und den ganzen Tag über Fred Durst und Limp Bizkit herziehen, weil es gerade in Mode ist. Sogar ein paar Sony-Bands wie Iron Maiden machen das. Und deswegen werde ich nicht auf diesen Zug aufspringen. Ich finde das dämlich. Ich mochte Limp Bizkit einfach nur nie. Ich dachte schon immer, dass es bei ihnen nur darum geht, Mainstream zu sein. Ich habe nie daran gezweifelt, dass sie genau das versucht haben. Ausverkauf? Die haben sich verkauft, als sie rauskamen.

Wir müssen leider langsam zum Ende kommen, deswegen möchte ich jetzt noch gern schnell über ein Thema reden, das mir sehr am Herzen liegt. Du stehst auf die Simpsons.

(Lacht). Ja, jetzt kommen wir zum wichtigen Teil des Interviews!

Hast du eine Lieblings-Figur?

Mein Lieblings-Simpsons-Charakter ist Barney, Homers Freund. HOMER! Der Kerl ist ein Klassiker.

Ist dir schon mal aufgefallen, dass es zwischen dir und einer anderen Simpsons-Figur gewisse Ähnlichkeiten gibt? Otto, der Schulbusfahrer, ist auch lieber zu Hause geblieben, anstatt in die Schule zu gehen, und hat stattdessen Gitarre gespielt und Gras geraucht ...

Ich werde dir ein Geheimnis verraten: Otto ist mein leiblicher Vater.

Das Interview führte Christian Schlegel

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