laut.de-Kritik
Bitte neben "One Step Beyond" einordnen!
Review von Michael SchuhIch gebe zu, vor elf Jahren wäre ich über ein neues Madness-Studioalbum ziemlich entzückt gewesen. Ob mich die vor Innovationsgeist jetzt nicht wirklich überbordenden Coverversionen von "The Dangermen Sessions" zufrieden gestellt hätten? Aber sicher. Allein für die nun vorliegende Studioaufnahme des Kinks-Klassikers "Lola", den die Band seinerzeit beim zweiten Madstock Open Air im Finsbury Park als Zugabe auspackte, hätte ich mir damals freiwillig noch mal vier Nächte in der Victoria Station gegeben, inklusive sanftem 2 Uhr-Weckservice durch freundliche Bahnhofsaufseher.
Als die einzigen Millionäre, die das Ska-Genre je hervor gebracht hat, 1998 mit "Wonderful" tatsächlich ihr Album-Comeback feierten, hatten sie mit "Lovestruck" zwar noch eine beachtliche Single am Start, doch ihr altbewährter Ska-Popsound machte die Londoner mehr denn je zu einem Relikt der 80er Jahre, dem heute nur dank einstiger Chartsokkupation und kurzer Zugehörigkeit zur britischen Ska-Explosion 1979 noch immer eine riesige Fangemeinde zu Füßen liegt. Auch 2005 mutet eine Comeback-Platte von Madness irgendwie so seltsam an wie ein neues Queen-Album, schließlich gibt es von beiden Bands bereits Musicals.
"The Dangermen Sessions" muss für die sieben Originalmitglieder denn auch vor allem ein großer Spaß gewesen sein, covern sie sich doch vornehmlich quer duch den Ska & Reggae-Obstgarten, aus dem sie vor 26 Jahren die ersten Äpfel klauten. Dass da heute ab und an der Wurm drin ist, liegt besonders an dem in die Jahre gekommenen Madness-Aroma. Und an der Auswahl: Desmonds Dekkers "Israelites", mal ehrlich, brauchen wir davon noch eine Coverversion?
Dem Jamaica-Klassiker jubeln Madness ein paar nette Dub-Sounds unter, während bei den zwei frühen Rocksteady-Fegern "Shame & Scandal" und "Taller Than You Are" aus der Feder Lord Tanamos soviel Ehrfurcht im Spiel war, dass außer den bandtypisch flirrenden Keyboard-Sounds alles klingt wie gehabt. Aber dann ist da ja noch Suggs; der Mann, dessen unnachahmlicher Cockney-Akzent seit jeher schon schlechtere Songs der Nord-Londoner rettete.
Werfen alle Sieben ihre Talente in die Waagschale, sind die Nutty Boys kaum aufzuhalten, wie im mir seltsamerweise unbekannten Prince Buster-Song "Girl Why Don't You?", bei dem auch Lee Thompsons Saxophon fast so munter umher hüpft wie einst in "Baggy Trousers". Lee "Scratch" Perrys bzw. Max Romeos "I Chase The Devil Aka Ironshirt" erfährt eine ebenso groovende Huldigung wie der Supremes-Hit "You Keep Me Hanging On", bei dem ich allerdings, ganz Kind der 80er, immer an Kim Wilde denken muss.
Mann muss sicher kein Prophet sein, um zu behaupten, dass "The Dangermen Sessions" die Musikwelt nicht auf den Kopf stellen wird. Madness, die das Album ursprünglich unter dem Namen The Dangermen veröffentlichen wollten, wohl aber von der Plattenfirma daran gehindert wurden, sind nun wieder bei ihren Anfängen angekommen und haben vermutlich genau das Album aufgenommen, auf das die Ska-Gemeinde seit dem vorläufigen Split 1985 gewartet hat. Bitte neben "One Step Beyond" einordnen!
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