laut.de-Kritik

Auf einer einsamen Insel das Himmelszelt antanzen? Igitt!

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Sie scheint gar nicht mehr aufhören zu können, die Zeilen zu wiederholen: "Time goes by so slowly" echot Madonna wieder und wieder auf ihrer aktuellen Single "Hung Up". Mit dem Thema Zeit kennt sich die Sängerin nun wahrlich gut aus. Um über 20 Jahre im Pop-Business zu überleben, bedarf es einer intelligenten Karriereplanung, kluger Imagewechsel und nicht zuletzt einer Handvoll guter Songs. In allen Disziplinen stellt sich Madonna Louise Veronica Ciccone nachweislich nicht ungeschickt an, oder sollte ich an dieser Stelle lieber die Vergangenheitsform verwenden?

Nein, so schlimm ist es nicht, aber der altkluge Titel ihres neuesten Albumschlags deutete es bereits an: "Confessions On A Dance Floor" ist kein herausragendes Madonna-Album mehr, auch wenn man es durchaus in einer Reihe mit den Vorgängeralben "Music" und "American Life" sehen kann. Der große Fehler ist schnell gefunden: gute zehn Songs lang verrennt sich die Amerikanerin in die Idee, nunmehr eine Dancing Queen zu sein, und halst ihren Songs neben fließenden Übergängen mehr BPMs auf, als es sich in der Vergangenheit so mancher ihrer Remix-Vasallen getraute. Mit wechselhaftem Erfolg.

Frecherweise soll die Grand Dame gesagt haben, dass ihr an den letzten beiden Alben die Remixe ihrer Songs besser gefielen als die jeweilige Originalversion. Ihren bisherigen Chefproduzenten Mirwais muss dieser Satz getroffen haben wie ein Schlag in die Weichteile. Gut, seine Zeit war abgelaufen, so weit darf man ihr zustimmen, da der artifizielle, beinahe schon in seine molekularen Sound-Bestandteile aufgedröselte Vorgänger "American Life" technisch nicht zu überbieten war. Mit gerade mal zwei Songs ist Mirwais heute zwar noch im Team, fällt aber seltsamerweise nicht mehr auf.

Madonna sucht derweil beinahe zwanghaft die Verbindung von Disco-Haudegen wie Giorgio Moroder zu House-Königen wie Daft Punk. Man spürt, sie will die Donna Summer des neuen Jahrtausends sein. Die Beats (und Samples) holt sie sich daher von außerhalb, die Stimme gehört ja immer noch ihr. So ist es eigentlich nur konsequent, vor der zähen Studioroutine erstmal bei den Herren Ulvaeus/Andersson in Schweden durch zu klingeln und ein Sample loszueisen. Die von ABBAs "Gimme Gimme Gimme"-Hitmelodie dominierte, ja kastrierte Single hinterlässt jedoch die dumpfe Gewissheit, dass Madonna hier eine erneute Dance-Popwalze der Marke "Music" der reinen Freude über die gewonnenen Rechte an einem weltbekannten Sample-Coup geopfert hat. Dann doch lieber eine Verbeugung vor klassischem Bangalter-Filter-Rave im anschließenden "Get Together" (komponiert mit dem schwedischen Duo Bagge/Astrom).

Ausgerechnet der geschmähte Mirwais bringt mit dem unspannenden "Future Lovers" maßgeblich die Stimmung des gesamten neuen Albums auf den Punkt: transzendentale Breitwand-Ekstase beherrscht das unnachgiebig pulsierende Klangbild, das des öfteren auf sonderbare Weise gefangen nimmt. Irgendwann sieht man unweigerlich und wie in einem Film das eigene Spiegelbild vor sich, auf einer zivilisationsfernen Insel mit hochgeworfenen Armen inmitten einer Masse schwitzender Menschen das Himmelszelt antanzend. Igitt!

Verleiht die Kabbala-Lehre der Sängerin etwa diese Suggestionskraft? Egal, wer bislang am liebsten nachts und vor Publikum den rostigen Bewegungsapparat mit monotonen, verfremdeten Madonna-Tracks schmierte, darf sich nun über so etwas wie eine Live-Aufnahme aus dem Hause Maverick freuen. Fakt ist aber auch: ein Album hört man nicht im Club. Und so bleibt "Confessions On A Dance Floor" vor allem ein probates Mittel für lange, nächtliche Autofahrten, wenn sich das zugezwitscherte Hirn eh nicht mehr groß um Songqualitäten kümmert.

Oder aber man switcht zu den Highlights, zu denen man fraglos das pumpende und Zoot Woman-Klangschemen aufweisende "I Love New York" zählen muss. Eine Liebeserklärung an den Ursprungsort ihrer Karriere, als kein mit ernsthaften Ambitionen ausgestatter DJ der Danceteria-Szene ein Set ohne "Material Girl" und "Like A Virgin" vor Publikum aufführen konnte: "I don't like cities / but I like New York / Other places make me / feel like a dork / Los Angeles is for people who sleep / Paris and London / baby you can keep". Man möchte sofort ein Flugticket lösen.

Hauptproduzent Stuart Price darf hier seinen größten Moment feiern, dem noch der funkelnde Disco-Track "Jump" und das auf gebrochenen Beats basierende "Push" im alten Mirwais-Stil folgt. Auch wenn der Mann seine Klientin ansonsten meist ähnlich ideenlos wie kürzlich in New Orders "Guilt Is A Useless Emotion" mit trancenah stampfenden Four-To-The-Floor-Beats füttert, muss man ihn in einer Sache fairerweise in Schutz nehmen: Dass Madonna heute nicht mehr so gute Songs schreibt wie auf den letzten beiden Alben ist sicher nicht die Schuld des Zoot Woman-Genies.

Das narkotische und nur aus einem Refrain bestehende "Sorry", das endlos dröge "Let It Will Be" (Price/Mirwais) und allen voran das spirituelle "Isaac" mit repetitivem "Im Nin Alu"-Muezzingesang eines Mitglieds des Londoner Kabbalah Centers, sollte Price mal besser aus seinem Lebenslauf streichen. "Forbidden Love" ist zwar eine lupenreine Oktavbass-Synthie-Nummer, entstammt aber zu offensichtlich der Pet Shop Boys-Küche (in der ja wiederum Hi NRG-Producer Bobby Orlando öfters Beats brutzelte).

Mit "Confessions On A Dance Floor" legt die Pop-Ikone Madonna trotz guter Momente ihre Innovativität zu den Akten und stagniert. Ob ihr in Zukunft der noch immer ideenreiche Beat-Landsmann Pharell ein hilfreicher Groove-Ratgeber sein könnte, erscheint fraglich, da der gerade Madonnas härteste Konkurrentin Gwen Stefani in seine Kundenkartei aufnahm. Jenes Blondchen ist zwar musikalisch keine Offenbarung, dafür aber ungemein erfolgreich und dürfte in fünf Jahren sicher eine bessere Figur im knappen Bühnen-Slip abgeben als kürzlich die für ihre Karriere scheinbar Eisen fressende Mutter Ciccone. Dass Stuart Price als Madonna-Produzent nach dieser Electro Disco-Vorstellung wahrscheinlich auch seinen Lohnzettel in der Hand hält, ist dagegen ein Grund zur Freude: wir warten schließlich alle sehnlichst auf ein neues Zoot Woman-Album.

Trackliste

  1. 1. Hung Up
  2. 2. Get Together
  3. 3. Sorry
  4. 4. Future Lovers
  5. 5. I Love New York
  6. 6. Let It Will Be
  7. 7. Forbidden Love
  8. 8. Jump
  9. 9. How High
  10. 10. Isaac
  11. 11. Push
  12. 12. Like It Or Not

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