laut.de-Kritik
Der Ursprung des Melodic Rocks: schön, aber anders.
Review von Philipp Kause"Liebe wird gewonnen, verloren, hinterlässt keine Spuren", sinniert Bob Catley im Song "Universe" zu Beatles-Harmonien. Das erste Magnum-Album entsteht auf der Woge der ersten britischen Metal-Bands. Das Label Jet öffnet im August 1978 die Pforte zum "Kingdom Of Madness".
Jet Records ist damals ein noch junges Label, das sich mit ELO seit 1974 einen Namen gemacht hat. Punk, New Wave, Poser-Glam, Gallaghers Blues-Soli, früher Prog oder Kraut-Elektronik prägte den Sound zu jener Zeit in England. Die gnadenlosen Bässe von Black Sabbath und Deep Purple dominierten die Vorstellung von Heavy Metal. Was ELO und Magnum einte, war nun Klassik-Anmutung, das Orchestrale, Symphonische, das Üppige sowie der Fokus auf die Melodie.
Schöne Choral-Strukturen wie im Song "Universe", samt zuckersüßem Pling-Pling im Outro, verführerische Tonspiralen, die das philosophische Lied wie Girlanden zieren - derlei macht diese Typen aus Birmingham zu einer eher untypischen Gitarren-Band. Trotzdem war aus den Anfangstagen neben Sänger Bob Catley nur Co-Gründer und Lead-Gitarrist Tony Clarkin geblieben. Bis jetzt, bis zum kürzlich erschienenen Album "Here Comes The Rain": Clarkin starb am 7. Januar.
Das Spätwerk der Briten ist wiederum toll gelungen, genauso wie die Vorgänger in den vergangenen Jahren. Und doch verblüfft es im Rückblick, wie viel wahnsinnig gutes Material Magnum schon auf den ersten fünf Scheiben boten, in den Jet-Jahren eben. Das gesamte Ouevre dieser Jahre findet sich nun in der CD-Box "Great Adventure" - inklusive zahlreicher Bonus-Versionen und Live-Darbietungen. "Great Adventure - The Jet Years" ist monumental schön. Es enthält nur wenige Tracks, die nicht irgendwie spannend sind.
Der Debüt-Titelsong "Kingdom Of Madness" untergliedert sich in Querflöten-Intro und langem Gitarren-Galopp, gefolgt von Strophen, die stilistisch an Slade erinnern, wenn auch mit mehr Nachdruck. Georgelt wird am Rande auch noch. Für die fein dosierten Keyboard- und Flöten-Einwürfe zeichnet Richard Bailey verantwortlich. Er verlässt die Band bereits zum Jahreswechsel 1979/80. Bei den beiden ersten Alben lässt er in manchen Momenten an Jethro Tull denken. Im starken Song-Output fällt beispielsweise die rhythmisch perfekte Mini-Suite "The Bringer" mit lustiger Percussion-Geräuschkunst und einer aufregenden Dynamik (lebhaftes Laut-Leise-Gefälle und Hell-Dunkel-Kontrasten in den Tönen) auf.
Was der Sound gut spiegelt: Auf dem Artwork von "Kingdom Of Madness" macht sich ein König daran, ein Ferkel im Ganzen zu verzehren, jedoch verabschiedet sich gerade die Tischdecke samt Auflage. Die Platte kursierte allerdings mit verschiedenen Cover-Artworks, wobei oben beschriebenes den Sound irgendiwe am besten trifft.
Spielten Magnum das erste Album noch bei der Supportshow für Whitesnake, tourten sie mit dem Material des Nachfolgers "Magnum II" als Vorband für Blue Öyster Cult. Vergleicht man heute die auseinander divergierenden Bekanntheitsgrade und Stile beider Bands, mutet dies schräg an. Beide eint aber, dass sie sich an jene Ohren wandten, die gerne überrascht werden wollten.
Eine Reihe überschüssiger Lieder, die sich weder auf dem Erstling noch auf "Magnum II" finden, liegen hier als Bonus-Tracks bei - bereits 2005 beim Label Castle/Sanctuary erschienen: Wer das nötige Kleingeld hat, kann eines der weltweit nur noch wenigen übrigen Restexemplare ergattern. Das Bonus-Paket führt quer durch Magnums Kompetenzfelder, startet akustisch mit "Sea Bird (1974 Demo)" und ohne jeglichen Verweis auf einen Heavy-Background.
"Stormbringer (1974 Demo)" ist exquisiter Jazzrock, "Slipping Away" sauberer und sanfter straight-forward-Rock. Stimmlich lehnt sich Catley hier an die Glam-Welle an. "Captain America (1974 Demo)" erinnert an Daves Riffs bei den Kinks. Die Tonqualität wirkt staubig. Diese vier grundverschiedenen Nummern stammen alle von 1974. "Master Of Disguise (Session Outtake)" lebt von seiner Flöte: Man bekommt eine Idee davon, wie sich Magnum von ihren Anfängen bis heute entwickeltet haben.
Der Keytrack auf "Magnum II" heißt "If I Could Live Forever", das alles vom Klangspektrum der Platte vereint. Am Schlagzeug verrichtet zu dieser Zeit noch Kex Gorin einen guten Job. Nach dem Weggang von Jet Records und während der Aufnahmen zum Meilenstein "On A Storyteller's Night" macht er 1984 die Biege. Die Nummer "Lonesome Star" etabliert Catley als Sänger elegisch großer Symphonik-Bögen. Die soulige "Foolish Heart (Acoustic Version)" glänzt mit ausgelassenem Schwung, Saxophonsolo und zeigt Magnum von einer völlig anderen Rhythm'n'Blues-Seite.
Ins Saga-Revier dringt das "Marauder"-Live-Album vor, etwa in "The Battle". Und wenn Catley am Ende kräht "Where do we go from here?", ist die Frage, wer von wem abschrieb: Alan Parsons von Magnum, oder doch die Rocker von Parsons Hit "Games People Play"? Beide verwenden diesen Part in verschiedener Instrumentierung, um ein paar Halbtöne voneinander verschoben, Magnum Ende 1979, Parsons Ende 1980 - klingt sehr ähnlich.
Weder "Lords Of Chaos" vom ersten noch "So Cold The Night" vom zweiten Album entfalten in den Studiofassungen so viel Zunder wie in den mitreißenden Live-Aufnahmen. Angesichts des guten Rufs, den sich die Herren aus Birmingham mit ihren Tourneen erarbeiteten, kursierten eine Live-EP als Doppel-7"-Vinyl aus dem Londoner Marquee und potenziell auch das "Invasion Live"-Album. Es erschien erst sieben Jahre nach den Aufnahmen zu einer Zeit, als Magnum längst kommerziell durch die Decke gegangen waren.
Der seltene Fall, dass Magnum covern, spart leider auch dieses Boxset aus. "Runaround Sue" von Dion wärs gewesen. Dafür punktet die brillante Aufnahme von "All Of My Life" - ein Ohrwurm. Obwohl es sich melodietechnisch eher um ein trockenes Lied handelt - aber diese Fassung besitzt Vibe.
Im Jahr 1980 schließt sich ein Ausnahme-Keyboarder der Band an. Der klassisch am Klavier ausgebildete Mark Stanway, Sohn eines Swing/Big Band-Leaders in Birmingham, hatte sich einen Namen in der lokalen Live-Szene erspielt. Ein befreundeter Konzertpromoter veranstaltete eine Show von Def Leppard - Vorgruppe: Magnum. Stanway lernte backstage Catley kennen, der ihn anwarb. Noch heute jammt dieser in der 'Kingdom Of Madness'-Tribute-Band, die nur altes Material nachspielt.
Stanway, dessen erstes Instrument eine Fender Rhodes war, ist Klassik, Rock und Jazz zugetan, was Magnums Sound ab dem dritten Studiowerk "Chase The Dragon" eine unverkennbare Prägung gibt. Auf die Frage, warum er kein Jazzpianist geworden sei, meinte Stanway in einem Interview mit dem Blog dmme: "Meiner Ansicht nach war ich nicht gut genug, um Jazz für meinen Lebensunterhalt zu spielen, und es gab kaum Gigs, wo man einen Jazzpianisten gebraucht hätte."
"Sacred Hour" veredelt er mit einem traumhaften 90 Sekunden-Intro an elektromechanischen Tasten. Später schlägt der Track in einen überkandidelten Jazzrock-Tune über. Ein weiteres Highlight, "We All Play The Game", legt großartig in kirre Tonhöhen gedehnte Keyboard-Watte um die Akustikgitarre. Heavy-Momente sind auf der dritten Studio-Scheibe rar. Wenn schon hart, kommt eher mal Hardrock-Blues zum Vorschein, wie am Ende des Songs "The Teacher". Der Opener "Soldier Of The Line" gerät erst in den hier angehängten beiden Live-Versionen so richtig magisch.
Sehr hörenswert ist die Extra-Single-B-Seite "Long Days, Black Nights". Hier hört man klar die Handschrift des Produzenten Jeff Glixman heraus, der zuvor für Kansas tätig war. Der Closer "The Lights Burned Out (Archive)" glüht in der Demofassung hier als Klavierballade von berührender Behutsamkeit.
Die vierte Studio-LP "The Eleventh Hour" kommt einer Ansammlung von Hammer-Songs gleich. Da nimmt keiner einem anderen was. "Vicious Companions" ist tendenziell ein Gitarren-Track und wunderschön arrangiert. "Road To Paradise" und "One Night Of Passion" atmen einen bemerkenswerten Soul-Groove, der womöglich auf die Vorliebe für Stevie Wonders Musik bei Keyboarder Mark zurückgeht. Auf einem früheren Re-Release des Albums sind noch Aufnahmen einer BBC-Sendung zu hören, die hier fehlen.
"Great Adventure - The Jet Years", offiziell Clamshell Box genannt, erlaubt einen kompakten Zugriff auf Magnums Wurzeln, ist allerdings ausschließlich auf CD erhältlich. Die Story des Boxsets endet 1983/84, als die Band kurz vor dem Zusammenbruch stand. Songwriter Clarkin war im Anschluss an die Jet-Ära schwer erkrankt. Fast wäre es damals gar nicht weiter gegangen: Ob Magnum nun ohne ihn möglich ist?
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