25. Februar 2005

"Wir würden auch gerne mit unseren Vorbildern schlafen ..."

Interview geführt von

Zwei ziemlich müde Gestalten sitzen mir da gegenüber und halten sich an ihrem Kaffee fest. Der Mando Diao-Drummer Samuel sieht zwar fertiger aus, gibt sich jedoch zunächst aufgeweckter. Doch trotz seiner Müdigkeit überstrahlt ihn die Schönheit seines Sängers Gustaf. Der übernimmt im Verlauf des Gesprächs ruhig die Führung. Auch wenn er zwischendurch lieber an seinem Milchkaffee schnüffelt, der während des Interviews herein gereicht wird.

Als ich euer neues Album hörte, dachte ich: Auf ihrem Debüt haben sie Rock gemacht, jetzt kommt der Roll. Könnt ihr nachvollziehen, was ich damit sagen will?

Gustaf: Ja, das kann ich mir vorstellen. "Hurricane Bar" ist viel gezielter, viel mehr easy going. Im Endeffekt haben wir nur versucht, die Songs so einfach wie möglich zu schreiben und aufzunehmen.

Habt ihr einen Lernprozess zwischen den Aufnahmen zu den beiden Alben bemerkt? Was hat sich verändert?

Samuel: Wir spielen jetzt natürlich viel besser als beim ersten Album. Wir haben einfach beim Touren viel Übung bekommen. Außerdem was das zweite Album viel geplanter als das erste. Das wurde zu Hause aufgenommen. Wir haben einen neuen Song geschrieben und dann sofort aufgenommen. Der ist dann auch so auf dem Album gelandet. Beim zweiten Album haben wir ca. 60 Demos aufgenommen. Die haben wir dann ungefähr ein Jahr lang angehört und anschließend 20 Songs für die Aufnahmen rausgesucht. Es war ein schnellerer Aufnahmeprozess.

Woran habt ihr gemerkt, dass ihr professioneller geworden seid?

Gustaf spricht, obwohl er sich sehr jugendlich und cool gibt, sehr besonnen und mit tiefer, leiser aber bestimmter und dadurch extrem erwachsener Stimme, die auf der Aufzeichnung sehr besänftigend und gleichzeitig hoch-sexy klingt. Er hat den Schlafzimmer-Blick auch in der Stimme ...: Es hat nur vier Wochen gedauert, bis das ganze Album fertig war. Das war sehr leicht und problemlos. Alles ist live aufgenommen. Das war ein Zeichen. Es war klar, das etwas passiert war. Wir sind Fans der Musik, also hat jeder in der Band die Demos sehr intensiv gehört. Wir haben nichts anderes mehr gehört, als unsere eigenen Demos. Wir kannten unsere Demo-Stücke irgendwann genau so gut wie klassische Beatles-Tracks. Das hilft, gute Songs zu finden.

Woran merkt ihr dann, dass eure Stücke gut genug sind, um sie das Publikum hören zu lassen?

Gustaf: Wir vertrauen unserem eigenen Urteilsvermögen ...

Samuel: Wir haben immer Hits gehört. Die Hits der Sechziger und Siebziger.

Gustaf: Wir sind keine Musik-Freaks, die rumsuchen und rare B-Seiten von 1964 ausgraben von einer obskuren Band mit hohem künstlerischen Anspruch. Wir hören eher die Best-Ofs, wir kriegen einen Kick von der Musik, aber wir sind auch sehr leicht zufrieden zu stellen. Wir begnügen uns mit einer Best-Of, hören die eine Weile und versuchen es dann mit einer anderen Band. Wir nehmen Bowie, T-Rex und die Beatles, Bob Dylan und Neil Young und wer uns noch so in die Quere kommt.

Samuel: So haben wir gelernt, einen guten von einem schlechten Song zu unterscheiden.

Gustaf: Es dreht sich alles um ein gutes Urteilsvermögen.

Samuel: Aber natürlich haben wir auch Leute um uns rum, die sich die Stücke anhören und mit denen wir dann über die Musik diskutieren. Aber normaler Weise suchen wir die richtigen Songs raus. Wir sind diejenigen, die die Songs schreiben und aufnehmen, die sie als erste hören. Wenn der Song also schlecht ist, kriegt den erst gar niemand zu hören.

Schreibt ihr eure Songs vor allem für euch, oder um sie einem Publikum zu präsentieren?

Gustaf: Wir schreiben das meist für uns selbst. Der Grund, warum Mando Diao so gut funktioniert und immer größer wird, ist, dass wir einen sehr durchschnittlichen Musikgeschmack haben. Wir kümmern uns nicht wirklich darum, was andere Leute von unserer Musik denken. Wir brauchen die Leute, damit sie unsere Platten kaufen und wir weiter machen können. Aber wenn du zu Hause sitzt und einen Song schreibst, wird das Publikum sehr viel unwichtiger. Denn da sitzt nur du. Wenn du das dann der Band präsentierst und versuchst, daraus einen richtigen Song zu formen, interessierst du dich zunächst nicht für das Publikum. Das kommt also erst als Drittes. Daran denken wir erst, sobald wir die Songs präsentieren müssen, zum Beispiel bei Live Shows. Aber bis zu dem Punkt sind nur wir mit der Musik beschäftigt.

Als ihr begonnen habt, Musik zu machen, was wolltet ihr damit erreichen?

Samuel: Wenn du Musik machst, möchtest du, dass das so viele Leute wie möglich hören. Von Beginn an ...

Gustaf fällt Samuel ins Wort: Du möchtest, dass 14-jährige Kinder wegen dir Bands gründen. Das ist der Traum.

Samuel: Du willst die Leute beeinflussen.

Gustaf: Du möchtest sie inspirieren, Musik zu machen, statt nur zuhause rumzuhocken und sich einen runterzuholen. Denn das ist das Problem, das Kids immer haben: Sie fallen sehr leicht in ein Loch. Sie hocken nur rum und spielen Video- oder Computerspiele. Es macht in dem Alter ja auch wirklich Spaß, rumzusitzen und nichts zu tun. Aber da sind diese ganzen Erwachsenen um dich rum, die dir die ganze Zeit sagen, du solltest etwas tun: Tu was, tu was, tu was! Und wir hatten die Band. Wir konnten noch was anderes machen, als Hausaufgaben oder in irgendeiner Fabrik zu jobben. So konnten wir das machen, was wir wirklich tun wollten.

Ihr betont immer wieder, dass euch die Platten eurer Eltern sehr beeinflusst haben. Habt ihr die schon gehört, als ihr klein wart, oder seid ihr erst später auf den Geschmack gekommen?

Samuel: Unser Interesse an Musik begann mit den Platten, die wir bei unseren Eltern fanden. Wenn du so jung bist kaufst du ja keine eigenen Platten, du nimmst dir einfach, was rumliegt. Und unsere Eltern sind alle ungefähr gleich alt. Sie wuchsen in den Sechzigern mit Bands wie den Beatles und den Stones auf. Also haben wir angefangen, das zu hören, was unsere Eltern hören. Aber wenn du älter wirst, möchtest du rebellieren. Als dann Nirvana kamen, war das eine riesen Sache für uns.

Gustaf: Als wir das erste Mal Nirvana gehört haben, kam uns das durch das ganze Beatles-Hören ziemlich bekannt vor. Viele Leute liebten Nirvana, weil es heavy und tough war. Aber Nirvana hatten wunderbare Melodien und Schönheit in ihren Songs. Natürlich nicht, wenn er geschrieen hat, sondern wenn er wirklich etwas sagte, bzw. sang. Er war vielleicht am nächsten an Lennon dran, mit der Art wie er Stories erzählte und Melodien erschuf. Deshalb war es so einfach, Nirvana zu mögen. Alles, was raus kommt und gut ist, ist irgendwie von den Beatles beeinflusst. In jedem Musikstil, sogar Nerd und Justin Timberlake.

Ihr bezieht euch immer auf diese ganzen alten Kamellen. Hört ihr denn gar keine neueren Bands?

Gustaf: Das ist schwer, denn wir haben eine neue Band: Das ist Mando Diao. Alles, was wir tun, ist neu für uns.

Samuel: Natürlich hören wir auch Bands, die in den letzten Jahren raus gekommen sind. Wie zum Beispiel die White Stripes. Eine sehr gute, kreative und produktive Band. Sie haben etwas, was du nicht an jeder Ecke hörst. Das hat zum Beispiel überhaupt nichts mit dem Sound von Mando Diao zu tun. Das ist was komplett anderes - und sehr gut so.

Gustaf: Als ich die Beatles zum ersten Mal hörte, dachte ich nicht, dass das alt sei, denn ich wusste nicht, was alt war! Ich habe ja in den Sechzigern noch nicht gelebt. Genau so war es, als ich zum ersten Mal Motown-Sachen oder Michael Jackson hörte. Ich wusste nicht, was davon alt und was neu war. Wir haben einfach immer auf die Melodien geachtet. Als wir dann die ganzen großen Sachen wie Bowie, die Beatles oder auch Al Green, die wir hörten, mit der schwedischen Musikszene verglichen, hörte sich da natürlich alles scheiße an. Wir haben die eben mit den Beatles verglichen. Und dem Vergleich können die nicht standhalten. Irgendwie dachten wir da, dass unsere Musik viel mehr den Beatles ähnelt, als das Zeug, was die anderen in der schwedischen Musikszene so machten. Und da waren wir erst 16. In anderen Länder gab es Bands, die mit den Beatles mithalten konnten, wie zum Beispiel die Stone Roses, Primal Scream, Oasis, The Verve und all diese Bands. Die britische Szene ... aber im kleinen Schweden ...

Findet ihr es nicht trotzdem ein wenig anmaßend, euch selbst mit den Beatles zu vergleichen?

Gustaf: Wir waren da 16! Wenn du einen 16-jährigen anmaßend nennst, ist das ziemlich vermessen, oder? Denn das ist doch, was Rock'n'Roll ist: Anmaßend, naiv und dich kümmert nichts. Ich kann mir vorstellen, dass einem ein 30-Jähriger anmaßend vorkommt. Aber als wir die Band gründeten und wie die Beatles sein wollten, da waren wir noch Kids. Und Kinder sind nicht anmaßend. Wir wollten einfach nur wie unsere Vorbilder sein, daran ist ja nichts falsch! Und dann wurde unser Traum Realität. Bevor wir überhaupt aus dem Traum erwachen konnten, hatten wir nur drei Jahre später einen Plattenvertrag. Wir wollen ja jetzt nicht mehr die Beatles sein. Natürlich wollen wir nur Mando Diao sein und sonst nichts. Inzwischen haben wir uns an den Beatles schon fast überhört ... Wir machen einfach nur das, worauf wir Lust haben. Es ist sehr einfach: Song schreiben, aufnehmen ...

Samuel: Und hoffentlich wird es dann ein Hit.

Wenn man Artikel über euch liest, stehen oft Sachen, wie: Die Jungs sind so hübsch und so weiter. Habt ihr manchmal Angst, auf euer Äußeres reduziert zu werden?

Gustaf: Es ist viel netter, eine schöne als eine hässliche Person anzuschauen. Da kann keiner widersprechen! Wenn du eine Band findest, die gut aussieht, solltest du doch froh sein. Das ist ja nicht unsere Schuld, wir wurden einfach so geboren. Im Endeffekt geht es ja auch nicht um die Gesichter, sondern um die Musik.

Samuel: Natürlich wäre es sehr langweilig, wenn wir zu sehr als Produkt gehandelt würden. Wenn die Leute uns nur mögen würden, weil wir gut aussehen ... wie z.B. Jessica Simpson. Und ich finde sie nicht mal hübsch

Gustaf: Aber die Leute hören ja auch unsere Musik, und als Ganzes wird das ja viel größer als nur ein paar hübsche Jungs. Die Leute bekommen ja auch noch gute Musik.

Samuel: Wenn Jessica Simpson gute Musik machen würde, dann würde ich sie wahrscheinlich auch hübsch finden.

Gustaf: Wenn du dir nur das Gesicht anschaust, bist du ein Heuchler, dann verstehst du das Ganze nicht. Wenn du so dumm bist, dir die Bands nach der Schönheit ihrer Gesichter auszusuchen ... dann interessierst du uns nicht. Ich denke, ... ich hoffe, die Leute denken, dass wir wegen unserer Musik schön sind. David Bowie war schön, aber er ist überhaupt nicht hübsch. Die Leute, die einen mögen, denken wohl auch, man sei schön. Die fucking Republikaner denken wohl auch, George Bush sei schön! Also, was heißt schon schön? Who cares?

Samuel resümiert: Es ist immer gut, eine gut aussehende Band zu haben ...

Gustaf ergänzt: "Rock'n'Roll is supposted to be sexy". So waren James Dean, 2Pac, Elvis, einfach jeder, der im Showbiz groß wurde. Um nicht nur gut, sondern ein Star zu werden, musst du auch dementsprechend aussehen.

Glaubst du nicht, dass dieses Star-Image auch was mit nem Rock'n'Roll-Lifestyle zu tun hat? David Bowie war da ja nicht gerade zimperlich, er lebte den Exzess!

Gustaf: Ich kenne den Rock'n'Roll-Lifestyle nicht. Wir kommen aus einer komplett anderen Generation, als diese Typen. Und wir leben ein total anderes Leben als die. Ich liebe meine X-Box und meine Playstation genau so sehr, wie ich es mag, mich zu betrinken und Drogen zu nehmen. Also spiele ich manchmal damit, und das tat David Bowie garantiert nicht. Wir haben ein viel luxuriöseres Leben, das Touren ist nicht mehr so hart. Wir haben alles. Ich meine, wir leben in einem Bus, in dem es Flachbildschirm-Fernseher gibt, Playstations, DVD-Player und Espresso Maschinen ... Es ist ein sehr sauberes Leben. Wir versuchen, unser Leben so schön wie möglich zu machen, die süßen Dinge zu genießen.

Samuel wiegelt ein wenig ab: Wir nehmen unsere Musik sehr ernst, deshalb gehen wir nicht zu zerstörerisch mit uns um. Drogen mögen für eine Weile Spaß bringen, aber ein paar Jahre später wirst du einfach nicht mehr so gute Musik machen können.

Dann endet man wie Pete Doherty.

Gustaf: Naja, so lange er noch Songs schreibt, ist das OK. Aber wenn er aufhört, Songs zu schreiben, ist er ein Nobody. Dann ist er nur noch ein Scheiß-Junkie. Aber das geht uns ja nicht anders. Würden wir keine Musik mehr machen, wir wären auf der Stelle wieder Nobodys. Wir haben ein Talent. Und das ist Musik machen. Würden wir das nicht mehr tun, wäre jeder von uns wieder ein ganz normaler Typ auf der Bühne. Das macht uns ein wenig Angst - auf der anderen Seite ist das auch ein Antrieb, weiter zu machen. Du brauchst Drogen irgendwie, um dein Leben aufzupeppen. Jeder tut das in irgendeiner Form. Ob er nun Alkohol trinkt, Marihuana raucht oder ... auch Kaffee und Zigaretten sind eine Droge. Jeder benutzt Chemikalien, wenn es ihm schlecht geht. Da ist es dann Medizin. Jeder tut das. Das macht dich ja noch lange nicht zu einem Rockstar.

Ihr habt mal gesagt, euer erstes Album ist über einen Typen, der zur Party geht, das zweite über einen auf der Party. Ist das dritte dann ein "nach der Party-Album"? Muss man sich darauf dann zwölf pathetische Liebeslieder anhören? Oder ist es ein Hangover-Album voller Katerstimmung?

Gustaf: Das dritte wird das Hangover-Album, ja. Aber es wird nicht nur aus rührenden Love-Songs bestehen. Es wird genau so viel Energie haben wie die letzten Alben. Aber es sind Stücke mit Kater-Stimmung, ich habe sie gehört.

Ihr habt also schon neue Songs?

Gustaf: Ja, wir haben das dritte Album schon fertig. Wir wollen so bald wie möglich mit den Aufnahmen beginnen.

Spielt ihr sie schon live?

Beide: Nein, aber bald

Samuel: Auf den Sommerfestivals werden wir vermutlich die ersten neuen Songs spielen. Um zu sehen, wie sie beim Publikum ankommen.

Ihr Schönheiten habt bestimmt Groupies, oder?

Samuel: Es gibt immer Leute, die bei einem sein wollen, die mit dir reden wollen und so.

Gustaf: Ich denke nicht, dass es heute noch richtige Groupies gibt.

Samuel: Es ist nicht mehr wie in LA in den Achtzigern. Wenn wir noch bekannter wären, vielleicht würden dann all diese "Psychos" kommen. Die Leute, die sich kein Stück für die Musik interessieren und einfach nur von Berühmtheiten besessen sind und diese belästigen. Dann würde es vielleicht gefährlich werden. Aber bei uns ist das alles noch sehr harmlos.

Gustaf: Natürlich gibt es Groupies, aber es ist sehr einfach, mit ihnen umzugehen. Wenn du nüchtern und clean bist und weißt, was du sagst, ist es sehr einfach, sie wegzuschicken, wenn du nicht mit ihnen reden möchtest. Denn sie sind nicht obsessed oder Maniacs. Es sind ganz normale Menschen, die auf Celebreties stehen. Und ich kann die Aufregung verstehen, die du spürst, wenn du einen Star - na ich würde sogar sagen, einfach jemanden, den du magst - triffst. Sie mögen uns, denn sie mögen unsere Musik. Wer denn nicht, ich mag mich ja auch. Ich würde gerne mit mir reden. Mich nach Songs fragen ... Ich würde auch gerne mit meinen Vorbildern reden. Ich würde definitiv mit ihnen schlafen, wer auch immer es ist ... Janis Joplin - obwohl sie ziemlich hässlich ist, Aretha Franklin oder ... Denn da ist etwas Sexuelles in dem, was sie tun. Rock- und Soul-Musik ist immer sexy.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Mando Diao

Aus Schweden kommen immer wieder viele grandiose Rock'n'Roll-Bands. Schön dreckig klingen die meisten, und dass sie ihre Klappe weiter aufreißen als …

Noch keine Kommentare