laut.de-Kritik
Mehr als ein One Hit Wonder?
Review von Philipp KauseMit ihrem Song "Zitti e buoni" haben Måneskin den Eurovision Song Contest 2021 gewonnen. Doch im Winner-Track deuten sich Talent und Bandbreite nur an, und es gibt noch viel mehr (und bessere) Songs von den Italienern. Tiefe Grunge-Melancholie bricht sich im Song "For Your Love" Bahn, metallisch wird es in der sarkastischen Kritik an der Leistungsgesellschaft ("In Nome Del Padre"). Eine schön fließende Modern Rock-Ballade im Stile von Collective Soul haben die impulsiv konzertierenden Italiener ebenfalls drauf.
Beflügelt von ihrem Wettbewerbssieg beim San Remo-Festival droppen die relativen Newcomer kurz vor Ostern 2021 "Teatro d'Ira: Vol. 1". Ein ziemlich bassschweres Uptempo-Teil. Mit 29 Minuten kürzer als ihre Debüt-CD von 2018, aber länger als eine EP. Der Untertitel "Volume 1" meint, sie haben mehr auf Lager.
Nur einmal im SM-kompatiblen "I Wanna Be Your Slave" teilt sich Frontmann Damiano David auf Englisch mit, teils im Flüsterton zum ordentlichen Brett. Abgesehen von ein paar Zeilen in "For Your Love" zieht sich Måneskin ansonsten aufs Italienische zurück. Obwohl sie in Interviews zeigen, dass sie perfektes Englisch sprechen. Alle Bandmitglieder verewigen sich in allen Songs mit Writer-Credits, und der organische Sound lässt darauf schließen, dass hier wirklich jeder sein Mitspracherecht nutzte: Vom konkreten Ausgestalten eines Gitarrensolos bis zur Frage, wie funky, grunge-artig oder crossovermäßig die Drums klingen sollen.
Rhythmisch wirken die synkopischen Riffs des Vierers in vielen Songs an die Red Hot Chili Peppers angelehnt. Dass man den Stil zwischen Funkrock und sehr hartem, schneidendem Heavy Stuff schwer verorten kann, drängt die Parallelen zu Flea, Frusciante, Kiedis und Co. auf; der oft traurige Schleier über dem Gesang und in den Stimmungen ebenfalls.
Der Eurovisions-Song "Zitti E Buoni" ("Leise und brav") offenbart von der Schwermut am wenigsten. Da geht's dann eher um angestaute Wut und das Ausbrechen in die Freiheit. "Zu viele Nächte war ich ausgesperrt" ("troppe notti stavo chiuso fuori"), diese Zeile scheint auf den harten Lockdown in Rom anzuspielen, und auch auf eine gesellschaftliche Lage, die sich wenig integrativ und inklusiv anfühlt, sondern in 'Bubbles' organisiert, die sich voneinander abkoppeln.
Dass sich die Band für die romanische Sprache entscheidet, ist gar kein Fehler. Rock'n'Roll-tauglich hören sich die Texte allemal an, aufgeladen mit viel Emotion, Sturm und Drang. Hinzu kommt die Tiefe der Nuancen in den Sprachspielereien, Pars pro toto-Kunstgriffen und Metaphern ("Wähle Liebe oder Diamanten, Dämonen oder Heilige"), die für die Band da besser 'funktionieren' als im Anglophonen.
Und auf dem heimischen Markt können Måneskin keineswegs darauf bauen, dass jeder fließend Englisch versteht, derweil sie aber unbedingt philosophische Messages mitteilen: "Ohne Stimme sein, kein Vertrauen haben / tausend Menschen auf deinen Fehler warten lassen / Zu wissen, dass jeder falsche Schritt verurteilt wird (...) entschied ich mich, stimmig mit mir selbst zu sein / den Himmel zu berühren und bei der Rückkehr Asphalt zu fressen / im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes." ("In Nome Del Padre") Oder: "Wie jemandem, der nur Schwarz-Weiß sieht, Farbe erklären." ("Vent'Anni")
"Coraline" punktet als großartiger Gefühlsausbruch nach einem zarten und langen Akustik-Intro. Auf so eine richtig geile, schön ausgefeilte Rockballade mit sattem, federnden Schlagzeug wartet die Welt wohl seit den großen Tagen der Dave Matthews Band. Auch der fette, resonanzstarke Sound von "Californication" und eine Affinität zu 90er-Jahre-Crossover lassen sich schnell identifizieren.
Der Nachdruck von "In Nome Del Padre" verspricht spannende Auftritte als Stadion-Band in einer utopisch scheinenden Zeit nach Covid-19, wo man zusammen bei 35 Grad schwitzt und die Bier-Fahne des unmaskierten Nebenmannes riecht. Schweißüberströmt, irgendwie 'crushed' (und doch glücklich) sahen alle Bandmitglieder zweifellos schon nach vier Minuten Performance beim ESC-Abend aus. Drogenvorwürfe hin oder her, sie sind eine körperliche, haptische, sinnliche Band, kein bisschen verkopft und trotzdem inhaltsstark.
Lässig gelingen den Römern Stücke wie "La Paura Del Buio" ("Angst vorm Dunkeln") und "Lividi Sui Gomiti", für die man sie wegen Rap-ähnlicher Vocals und wegen ihrer Offbeat-Sicherheit bewundern kann. Sowie wegen ihrer Balance zwischen 'dark' und beschwingt. Gute Spannungsbögen lassen sich genießen. Das meiste auf der EP (a.k.a. dem Mini-Album) macht einen sehr geschliffenen Eindruck und sogar ohne große Sprachkenntnisse Spaß.
Inwieweit Balladen, z.B. das erfolgreiche "Vent'Anni", ihr Image in der Heimat verfestigen und ob sich dann die harte oder die zarte Seite im Marketing durchsetzt, wird wohl nicht nur die Band alleine entscheiden; Måneskin sind bei einem Major unter Vertrag, der im Heimatland halbwegs unabhängig operiert und nun vor der Wahl steht, die freiheitsliebenden vier jungen Menschen international zu positionieren oder als inländischen Act aufzubauen, auf dem 'Domestic Market', wie das im Jargon heißt. Diese Frage stellt sich nach ESC-Siegen meistens.
Sicher ist: Måneskin bringen Beträchtliches mit, um nicht als One Hit Wonder in die Geschichte einzugehen: Ansprechendes Potenzial als Performer, akkurates Handwerk und kompositorisches Können.
9 Kommentare mit 21 Antworten
Ist halt völlig überraschungsarmer Radiostandard. Sehr schade, das aus der eigentlich sehr lebendigen italienischen Musikszene immer so harmlose Konsensmucke nach Europa hochgespült wird.
Leider nicht so geil. Wurde halt mal schnell was aufgenommen, um nach dem Sanremo Festival ein paar Platten zu verkaufen.
Biederer Schnarchrock. Kann sich einreihen in die heute noch immer bekannten und erfolgreichen ESC-Gewinner der vegangenen Jahre.
Ich bin sonst echt kein Befürworter vom Kommerzfest ESC. Aber der ESC hat mit denen echt potenzielle Weltstars hervorgebracht. Klar wird sich erst mit der Halbwertszeit zeigen..
Finde ich auch garnicht so Radiotauglich, also stellenweise.
Auf der eigenen Sprache und im härteren Stil ist das echt gut.
3,5/5
Ich finde es durchaus ein gutes Erstlingswerk. Alle Texte sind von dieser Band selbst geschrieben. Wenn man sich mit den Inhalten befasst, merkt man was für ein lyrisches Talent dahinter steckt. Auch das Spiel mit der Stimme ist mit der Emotion der Musik sehr harmonisch abgestimmt. Man sollte sich das Album nicht mal eben durchhören, um sich eine richtige Meinung zu bilden. Ich denke, dass Maneskin im Ausland mehr durchstarten wird, da dort ein eigenes Verständnis für diese Art von Musik herrscht. Für mich definitiv kein 0815 Album, sondern der Grundstein für viel Potenzial, welches noch ausgeschöpft werden kann.
4/5
Mal sehen, wann Nick Jonas wegen Zitti e buoni klagt.
https://www.youtube.com/watch?v=PW6tej_94KA
Tomaten auf den Ohren? Da ist nix auch nur ansatzweise ähnlich.