laut.de-Kritik

Genieß deine Probleme, du brauchst sie nicht zu lösen.

Review von

Marina schreibt sich jetzt in Kapitälchen: MARINA. Und auf Wunsch der Künstlerin wurde ein Teil ihrer neuen Platte einige Wochen vorab releast - was in den ersten Tagen keine große Beachtung fand, obwohl etwa Spotify den Track "To Be Human" prominent platziert hatte.

Doch die neuen Tracks stellen auch nicht gerade die Spitze ihres Könnens dar, was Marina seit einem Jahrzehnt mit gehaltvolleren und pfiffigeren Songs beweist. Die neuen geben schlichtweg Mucke für die Shopping Mall ab, die es zwar geben muss, von der aber Besseres kursiert. Oft zücke ich in Cafés oder Klamottenläden das Smartphone, um fröhliche Pop-Songs dieses Genres aus den Lautsprechern via App zu identifizieren.

Für die vorliegenden Stücke würde man die App gar nicht aktivieren. Denn diese glitschen glatt produziert vorbei, ohne dass der Hörer einmal das Gehirn anzustrengen bräuchte. Gut, Marina könnte Füllsel wie "Oh yeah yeah yeah" in "Orange Tree" weglassen und sich in "End Of The Earth" nicht in kraftlosem Falsettgesang und Kehlkopfüberschlag erproben, sondern gerade drauf los intonieren. Doch der Gesang ist am Ende noch das Beste an diesen austauschbar wirkenden Tracks.

Dabei hat man die Sängerin bisher als außerordentliche Person abgespeichert. Im Interview wich sie keiner noch so unangenehmen Frage aus. Die Wörter 'bescheiden' und 'selbstkritisch' vermögen kaum auszudrücken, wie sie dort wirkt. Man könnte auch von ihren Konzerten schwärmen. Auf "Family Jewels" gelangen ihr ausgeklügelte, bilderreich formulierte Lyrics im dramatischen Powerpop-Kostüm ("The Outsider").

Die Scheibe lag bei Umzügen immer ganz oben im Karton. Die Britin verzichtet damals wie heute auf Verzierungen, Breaks, Bridges und Fade-Outs und führt ihre Nummern straight und punktgenau zum Ende. Diese klare Handschrift bewahrte sie sich zwar. Allerdings brachen die Songs des Debüts noch voller Energie hervor, dieses Ungestüme schwächte sich dann auf Album Nummer zwei und drei schon ab. Doch nun ist sehr konzentriertes Hinhören gefragt, um dieses Brennen überhaupt noch herauszuhören. Gute Stories sucht man dazu vergebens.

"Summer in the air, body's in the heat / just you and me, sitting by the orange trees / So far away from neons lights and city streets" / ... trying to get back to what we need / Flowers in my hair ... Watching the sun go down in the sea ... / Feeling to be free". In "End Of The Earth" geht es nicht um den Klimawandel, sondern darum, einander bis zum Ende des Planeten zu lieben. Etwas Latin an der Seite von Luis Fonsi sorgt für Akzente in "Baby". Abgesehen davon ereignet sich musikalisch zu wenig: Die Tracks "Superstar" und "True" reichen gerade mal für den Fahrstuhl in besagter Shopping Mall.

Der auf Spotify gepushte Song "To Be Human" fusioniert den Pomp einer Opernarie mit Pop. Die griechische Waliserin erzählt ansatzweise, unbeholfen eine Geschichte: Alle Menschen auf der Welt seien sich einander ähnlich. Sie seien in ihren Schmerzen und Problemen miteinander vereint. Marina stellt sich vor, wie wir, von oben aus dem Weltall betrachtet, aussehen: krabbelnde Käfer, die alle "fancy cars" fahren.

Nach dem Hören der Platte bleiben wenigstens eine Melodie ("Handmade Heaven") und eine Textpassage ("Enjoy your problems, you don't have to solve them") im Gedächtnis haften. Mehr nicht, auch, wenn man die Sängerin dank ihrer ungewöhnlich interessanten Stimme nicht vergisst.

Der zweite Teil macht mehr Laune: Das kühl-chorale "Emotional Machine" mit seinen ineinander gelayerten Gesangsspuren und gut gemachten Beats fasziniert. "You", "Too Afraid" und "Karma" zeigen Marina, wie man sie kennt. "No More Suckers" fügt sich in heutigen Radio-Dance-Pop, bietet aber anders als die übliche Kost dieses Genres diverse Intonations-Ebenen von Marina.

Besonders punktet ihr Reminiszenz-Lied an die Disco-Ära, "Life Is Strange". Es zeigt deutlicher als andere Lieder, wo Marinas Electro-Pop wurzelt, wohl in der ersten Welle der Synthie-Musik in den 70ern. Insgesamt also ein gemischtes Album, das nach hinten hinaus an Fahrt gewinnt.

Trackliste

  1. 1. Handmade Heaven
  2. 2. Superstar
  3. 3. Orange Trees
  4. 4. Baby - Clean Bandit feat. MARINA & Luis Fonsi
  5. 5. Enjoy Your Life
  6. 6. True
  7. 7. To Be Human
  8. 8. End Of The Earth

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3 Kommentare

  • Vor 4 Jahren

    Jetzt habt ihr 3 Wochen mit der Rezension der ersten Albumhälfte gewartet, dann hättet ihr auch noch bis morgen und dem Erscheinen des ganzen Albums warten können ;)

    Dem Inhalt muss ich leider großteils zustimmen; Marinas neue Songs kommen zum Teil erschreckend lasch daher. Am besten klingt sie immer noch in den nur von ihr selbst geschriebenen Songs; und diese sind "Handmade Heaven" sowie "To Be Human". Lieder wie "Orange Trees" und "Enjoy Your Life" sind mir aber viel zu simpel und passen irgendwie auch nicht zu ihr. Folglich hoffe auch ich auf eine deutlich bessere zweite Albumhälfte. Vorerst 2,5/5 von meiner Seite.

  • Vor 4 Jahren

    Der zweite Albumteil ist furchtbar. Auf dem ersten Teil sind zumindest noch 2-3 hörbare Titel. Leider noch viel weiter von dem erstklassigen Debutalbum Family Jewels weg als die anderen Alben. Sehr Schade.

  • Vor 4 Jahren

    Ich finde die zweite Hälfte deutlich besser und hat mir von Beginn weg mehr zugesagt als "Love". Insgesamt springt aus meiner Sicht nun eine 3 heraus, womit es zwar ihr schwächstes Album mit etwas willkürlichem Konzept ist, aber es ist dennoch ein solides Popalbum mit vielen schönen Melodien.