laut.de-Kritik

Dem Flashgott sei Dank: Sie bleiben real.

Review von

"Ein brandneuer Joint von den Massiven ist im Umlauf ...": Vor fast genau neun Jahren eröffnete Schowi mit dieser Zeile eines der wichtigsten Rapalben in deutscher Sprache überhaupt. Die Kopfnicker gaben dem Stuttgarter Hip Hop mit der Kolchose ein Profil, danach fuhren sie stetig auf der gängigen Entwicklungsschiene mit. "Überfall" bewies mit "Chartbreaker" die Massentauglichkeit der Rap-Vorreiter, "MT3" holte mit der Hitsingle "Cruisen" Sonnebrillen und Alufelgen heraus.

Der logische Schritt wäre ein Sammelsurium von Erlebnissen mit Canstatter Waffendealern und bekoksten schwulen Nutten aus Heslach. Dem Flashgott sei Dank, das ersparen uns Ju, Schowi und der fünfte Ton auf ihrem vierten Wurf "Zurück In Die Zukunft". Ganz im Gegenteil: Der Gangsterrapszene werden in "Worauf Wartest Du?" sogar böse Worte gewidmet: "So sieht die Neue Deutsche Welle Aus: / Dass jeder Rapper sich vom Vorschuss nur ne schöne neue Kette kauft. / Rap wird dir Waffen zeigen, böse Grimassen schneiden, / Bodyguards mitbringen, die nix bringen, wenn Kids mit Flaschen schmeißen."

Erstaunlich eigentlich, dass ausgerechnet auf diesem Track der Newcomer Franky Kubrick gefeatured wird, der aus seinem guten Verhältnis zu eben jenem Kettenträger absolut keinen Hehl macht: "Komm sag's den Kids, die mich nicht kennen, erzähl ihnen: Frank ist hier. / Dein Lieblingsrapper aus dem Fernsehen ist ein Fan von mir." Verrückte Welt im Schwabenland. Ein guter Track dennoch, mit einem überragenden Ceza und einem Kubrick, dem man für seinen Style immer wieder die Füße küssen möchte. Die im Lied gestellte Frage ("alle sind Rap, wenn sie auf MTV und Viva zappen. / Worauf wartest du? Dass ihn die Massiven retten?") kann übrigens verneint werden.

Den Rap retten? Nach MT3, das von vielen Fans, auch in Stuttgart, vorsichtig formuliert als Totalreinfall gewertet wurde, traut den Massiven das wohl keiner mehr zu. Aber man darf ja wohl noch träumen! "Zurück In Die Zukunft" wählten die Massiven übrigens nicht zufällig als Titel, und auch nicht, weil R'n'B-Chanteur Fetsum dazu eine gewohnt naidooeske Hookline einfiel. Inhaltlich will man sich an den eigenen Wurzeln orientieren, musikalisch hingegen die absolute Charttauglichkeit um jeden Preis bewahren. Ein gutes Beispiel hierfür ist "Easy", eine Art Nachfolger der 0711-Hymne "Mutterstadt". Zwar chillt man nicht mehr in der verranzten U6, sondern lässt weltmännisch das Cabrioverdeck hochschnappen. Doch Urlaub wird noch immer mit den Homies gemacht, statt mit der LTU. Auch hier lässt Fetsums Hookline das Liedchen eher nach R. Kelly riechen, denn nach Deutschrap zu duften. Aber musikalisch wird sowieso quer durch die Pampa gewildert.

"Topmodel", die erste Single, baut auf eine flotte Bluesmelodie auf und geht ärgerlicherweise tief in die Ohren. Argh, schönen Dank auch, DJ Head (u.a. Eminem): Der legitime Nachfolger für "Emanuela" ist gefunden. Textlich hat man zwar eine Zielsetzung , der Weg dorthin jedoch erweist sich als lang und steinig. Es ist ja kein Fehler, magesüchtigen Frauen aufzuzeigen, dass Männer nicht ausschließlich auf Hungerhaken stehen. Aber zu rappen "deine Boobs sind weich und weiblich, / warum bist du bloß auf Heidi neidisch?" ist dann doch grenzwertig. "Mach den Döner warm" auf "scheiß auf die Schönheitsfarm" zu reimen hat sich auf jeden Fall einen Platz in meiner Ruhemshalle der schlechtesten Verse aller Zeiten verdient.

"Auf Dich Ist Verlass" hört man mit seinem Gitarrensample und der spanischen Hookline sofort an, dass Freundeskreis-Mitglieder die Finger im Spiel hatten. Das hektisch-synthetische "Unerreichbar" mit Beats aus dem Hause Blackout erzählt von dem Gefühlchaos nach einem Beziehungsende. Die Stuttgarter Rapguerillas haben aber auch Partybomben im Gepäck: Der Raum brennt, wenn die Massiven gemeinsam mit Ami-Sirene Fatman Scoop Deutschrapklassikern Respekt zollen. An "Reimemonster" oder "Eins Zwo" kommt der Track zwar nicht ran, dennoch gilt: Komm schon, Baby, beweg deinen Arsch! Noch prolliger, wenn das überhaupt geht, kommt der legitime Nachfolger des Megasellers "Cruisen" aus den Boxen. "Lass Rollen", ebenfalls aus dem Repertoire des bouncenden Eidgenossen Yvan, hat allerdings textlich um einiges mehr zu bieten, als die bestverkaufte Rapsingle 2002.

Die Töne wissen, was auf dem Spiel steht. Es gilt, die Fahne des Hip Hop hochzuhalten, in einer Stadt, die im letzten Jahr von rappenden Souldiven und poppenden Troys geschändet wurde. Und dafür folgen sie dem eingeschlagenen Weg auch über die Leichen der eigenen Fans hinweg. Tracks wie "Mein Job" sind nichts als mittelmäßig witzige Storytellingversuche, die spätestens nach dem dritten Durchgang langweilig klingen, "Wellness" ein schwacher Abklatsch der "Medizin" des Blumentopfs. Und selten hat es einen überflüssigeren Hidden Track gegeben als den funky-spacigen-santanagitarrigen Drogenremix von "Topmodel". Wenn es eine Gruppe gibt, bei der der Drang zur dauernden Neuerfindung der eigenen Musik richtig schmerzt, dann sind es die Massiven seit dem Weggang Wasis.

Zu hart möchte man mit den Jungs allerdings auch nicht ins Gericht gehen: Fraglos wird auch "Zurück In Die Zukunft" aus der Anlage jeder Breithose vom Pragsattel bis Degerloch dröhnen, und irgendwie ist das ja auch was schönes. Zumal die Töne wenigstens nicht versuchen, jemanden darzustellen, der sie nicht sind. Real nennt man so etwas in der Hip Hop-Szene, glaube ich. Und: Besser als der Vorgänger ist das Album auf jeden Fall. Ein brandneuer Joint von den Massiven ist im Umlauf ...

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Bumerang
  3. 3. Easy ft. Fetsum
  4. 4. Wellness
  5. 5. Lass Rollen
  6. 6. Topmodel
  7. 7. Worauf Wartest Du? ft. Ceza, Franky Kubrick
  8. 8. Auf Dich Ist Verlass ft. Laura López Castro
  9. 9. Mein Job
  10. 10. Unerreichbar
  11. 11. Komm Schon Baby ft. Fatman Scoop
  12. 12. Zurück In Die Zukunft ft. Fetsum
  13. 13. Weitergehen

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