laut.de-Kritik

Das genaue Gegenteil von Easy Listening.

Review von

Manche Leute trinken aus Geselligkeit, andere aus Frust. Bei Matt Elliott trifft keiner dieser Gründe zu: Er trinkt, weil sich in seinem Inneren ein schwarzes Loch abgrundloser Verzweiflung auftut. Wie sich das musikalisch anhört, erfährt der Hörer eine gute Stunde lang auf der vorliegenden CD.

Eines sei vorweg genommen: "Drinking Songs" eignet sich nicht für depressive Phasen oder bei Selbstmordgefahr. "C.F. Bundy" öffnet mit einer gezupften Gitarre, einzelnen Gitarrennoten und breiigen Streichern die Tür zur Hoffnungslosigkeit. Sucht "Trying To Explain" noch einmal den Weg hinaus, beginnt mit "The Guilty Party" der unaufhaltbare Abstieg.

In "What's Wrong" wiederholt eine leise Stimme obsessiv "an eye for an eye only leaves us blind", während "The Kursk" die Tragödie um das 2000 gesunkene russische U-Boot inszeniert: Männerstimmen bäumen sich zunächst gegen das eindringende Wasser auf, um schließlich in einem weinenden Ton zu ertrinken. "It's cold, I'm afraid. It's been like this for a day. The water is rising and slowly we're dying. We won't see light again. We won't see our wives again" wiederholen sie immer verzweifelter.

Nach diesem Höhe- bzw. Tiefpunkt geht es in "What The Fuck Am I Doing On This Battlefield" und "A Waste Of Blood" ruhiger zu. Das abschließende "The Maid We Messed" – ein Wortspiel, das an Elliotts erste Platte unter eigenem Namen, "The Mess We Made" (2002) erinnert – ist mit guten 20 Minuten nicht nur zu lang, sondern artet in eine böse Drum'n'Bass-Orgie aus. Wohl eine Erinnerung an die Zeiten, als Elliott noch Third Eye Foundation hieß.

Ansonsten mit Gitarre, Klavier und Streichern einfach inszeniert, reichert Elliott den Klang mit elektronischen Mitteln an, spielt die Musik stellenweise rückwärts oder fügt schräge Geräusche hinzu (wie etwa zu Beginn von "The Kursk"). Sehr wirkungsvoll sind die Chöre, zu denen er sich aus seinem Interesse für die Musik der orthodoxen russischen Kirche inspirieren ließ.

"Drinking Songs" ist ziemlich genau das Gegenteil von Easy Listening. Die Stücke dringen so tief unter die Haut, dass sie den Hörer in schwere Mitleidenschaft ziehen. Gerade in dieser Intensität liegt ihre Stärke. Zwar ist der Abgrund, der sich eröffnet, nicht unbedingt einen Besuch wert. Die Klänge, die ihm entweichen, eignen sich aber ausgezeichnet für melancholische Momente oder als Hintergrundbeschallung für die Lektüre von Erich Maria Remarques "Im Westen Nichts Neues".

Trackliste

  1. 1. C.F. Bundy
  2. 2. Trying To Explain
  3. 3. The Guilty Party
  4. 4. What's Wrong
  5. 5. The Kursk
  6. 6. What The Fuck Am I Doing On This Battlefield?
  7. 7. A Waste Of Blood
  8. 8. The Maid We Messed

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5 Kommentare

  • Vor 19 Jahren

    Noch kein Thread dazu? Wundert mich etwas, denn zumindest Herrschaften wie Kukuruz, MiniMe, Happson und Theophob (und darüber hinaus so einige andere) dürfte das Album doch eigentlich sehr freuen.

    So uninteressant ist der Herr Elliott nämlich nun wirklich nicht, und Drinking Songs stellt eine Mischung aus äußerst depressiver Folklore, leisen Gitarrenklängen, jazzigem Piano, grandiosen Chorälen und Streichern dar. Irgendwo zwischen den ruhigen Momenten von Vision Bleak, den Bright Eyes und, naja, Matt Elliott eben.

    Ich persönlich finde es mehr als schön, und wundere mich über den Mangel an Reaktion bisher?

  • Vor 19 Jahren

    Zitat (« Sandman schrieb:
    Ich persönlich finde es mehr als schön, und wundere mich über den Mangel an Reaktion bisher? »):

    Bei Laut gibts ja sogar ein Review und eine Biographie noch dazu. Ich muss gestehen, daß mir der Mann bislang entgangen ist. Aber, was ich grad so lese, macht mich doch sehr sehr neugierig.

  • Vor 19 Jahren

    Hab Gestern grad reingehört und es hört sich klasse an. :headphon:
    Besser noch als das The mess we made irgendwie.
    Wobei ich das nie richtig hören konnt, leider.
    Muss ich mir wohl bald einmal zulegen. :)

  • Vor 19 Jahren

    2005 scheint ja musikalisch ein unglaubliches Jahr zu werden. Neben den hier schon erwähnten Künstlern und einigen anderen jetzt dies: Antony & The Johnsons (I'm A Bird Now). Songs von Hoffnungslosigkeit und Dunkelheit mit geradezu spiritueller Intensität. Schon die ersten Noten des ersten Songs bewirkten ein ungläubiges Aufhorchen und anschließendes erstaunt-hellwaches Zuhören. Dieses Lied, diese Stimme lässt einen gar nicht mehr los. Ganz zurecht fünf Punkte bei der laut-Review.

  • Vor 19 Jahren

    Wenn alles gut geht, hab ich sie heute. :)