2. August 2013

"Man darf nie zum Sklaven des Hörers oder der Kritik werden"

Interview geführt von

Nach dem umjubelten "Die Phantasie Wird Siegen" waren die Erwartungen riesig. Doch mit eingeschworenem Musikerkollektiv und neuer Klangästhetik entstand ein würdiger Nachfolger: 15 Monate nach dem Debüt bescherte uns Max Prosa jüngst seinen Zweitling "Rangoon".Die Krefelder Kulturfabrik markiert den vierten Termin auf Max Prosas zweiter großer Deutschlandtour. Zwischen Soundcheck und Abendessen nimmt sich der gebürtige Berliner viel Zeit, um uns von seinem Weg nach "Rangoon", der Songwriting-Arbeit mit Ex-Ton Steine Scherben-Mitglied Misha Schoeneberg und seinem Weggang aus Berlin zu berichten.

Wie läuft die Tour bisher?

Gut. Das ist ja erst der vierte Termin. Am Anfang probieren wir von Natur aus immer viel mit der Setlist rum. Manche Dinge sind einfach anders, als man sie sich in den Proben vorgestellt hat.

Heute wird es also auch wieder eine neue Setlist geben?

Ja, wir haben bisher jeden Tag eine andere gespielt. Manches lief anders als erwartet, manche Punkte waren dagegen überraschend besonders. Bei der letzten Tour haben wir für uns selbst sogar einmal die komplette Setlist umgeworfen. Weil man dann einfach nochmal anders auf die Sachen zugeht. So eine Tour dauert ja 20 Konzerte lang, und wenn man dann so zehn-, zwölfmal das Gleiche spielt, setzt sich das irgendwann fest. Es ist wie eine Collage: Aus zwei Bildern ergibt sich ein neues. So ist das schließlich auch, wenn zwei Songs aufeinandertreffen.

Die aufregende Woche nach dem Release deiner neuen Platte ging gerade vorbei. Wie hast du sie erlebt?

Relativ ruhig. Ich war unterwegs. Wir waren dann ja auch schon auf Tour. Ich habe mich nicht so viel damit beschäftigt wie beim letzten Mal, weil ich die Prozesse irgendwie schon kannte. Ich weiß auch nicht mal, wie das überhaupt gelaufen ist. Ob wir jetzt in den Charts sind oder nicht. Ein paar Rezensionen habe ich gelesen, das war ganz interessant. Da gab es viel Gegensätzliches, aber das fand ich auch gut. Oscar Wilde hat das, glaube ich, mal gesagt: Nur wenn die Kritiker uneins sind, ist der Künstler mit sich einig. (lacht)

Hast du auch enttäuschte Stimmen gehört? Das Debüt war ja eine überraschend gefeierte Platte.

Auf jeden Fall, das gab es. Das war mir irgendwie aber auch klar. Das muss auch sein. Mich hätte es nicht interessiert, die erste Platte nochmal zu wiederholen. Sondern ich wollte da ganz neu rangehen. Das haben wir auch gemacht. Das finde ich in diesem künstlerischen Prozess auch wichtig: dass sich die Veränderung bemerkbar macht, dass man nicht zu reproduzieren versucht. Die Platte ist jedenfalls anders geworden. Klar gibt es Leute, die vielleicht mit der alten nichts, dafür aber mit der neuen was anfangen können. Genauso wie andersrum. Das ist natürlich schade, aber vielleicht ist es für diese Leute beim nächsten Mal wieder anders.

Ist mit "Rangoon" eine bewusste Weiterentwicklung des ersten Albums entstanden? Oder kam das einfach von selbst?

Viele Dinge haben sich schon von selber ergeben. Bei der ersten Platte haben sich die Lieder über die Jahre gesammelt. Dann ging es irgendwann darum, wie man die jetzt aufnimmt. Ich hatte keinerlei Erfahrung damit. Bei der zweiten Platte konnte ich mir aussuchen, wie ich das mache. Wir sind dann mit der ganzen Band irgendwo hingefahren, in irgendwelche Räume, und haben es einfach fließen lassen. Wir haben verschiedene Songstrukturen ausprobiert, die ich mir vorher ausgedacht hatte, und immer an einem gewissen Punkt aufgehört, um später dann in einer kleineren Gruppe daran weiterzuarbeiten. Das war ein Prozess, den ich mir für diese Platte so überlegt hatte.

Die finalen Songstrukturen haben sich also erst bei der Aufnahme mit der Band ergeben?

Ja, die haben sich da zum Teil noch verändert. Den allergrößten Teil habe ich schon zu Hause am Klavier oder an der Gitarre geschrieben. Bei "Charlie" war das so ein typischer Prozess. Da gab es diese drei Teile, die gehörten für mich zusammen. Und dann galt es, mit der Band herauszufinden, in welcher Form sie zusammengehören und wie sie als Gesamtkonstrukt funktionieren. Das ist dann letztendlich bei der Aufnahme passiert.

Gab es denn auch Dinge, die du von der Arbeit an "Die Phantasie Wird Siegen" übernommen hast?

Na ja, bei der ersten Platte war ich zum ersten Mal überhaupt in einem Studio. Da gibt es ja viele Dinge, die man mitnimmt, viel Lehrgeld, das man zahlt. Manche Dinge vermeidet man dann eben, um den Wagen im Rollen zu halten. Das sehe ich auch als meine Aufgabe gegenüber der Band. Wenn es dann läuft, kann man den kreativen Prozess irgendwann einfangen. Wenn jetzt die dritte Platte kommt, würde ich wieder vieles anders machen. Schon allein, weil es für mich einfach interessant ist und da dann wieder andere Dinge herauskommen.

Bei der ersten Platte scheinen ja viele verschiedene Musiker im Studio gewesen zu sein. Hört man auf "Rangoon" eher die Leute, die heute auch mit dir auf der Bühne stehen - quasi als tighteres Kollektiv?

Ja, auf jeden Fall. Es ist immer noch ein großer Kreis an Leuten. Ich nenne es immer 'die erweiterte Band', weil viele Freunde von uns dabei sind. Oder Leute, die bei einem meiner Bandmitglieder im Nebenprojekt spielen. Aber letztendlich hat sich das ein bisschen fokussiert, es ist ein bisschen geschrumpft.

Hast du eigentlich die Akustikgitarre abgelegt? Die hört man ja verglichen zu "Die Phantasie Wird Siegen" recht selten.

Ja, das stimmt. Das ist auch so ein Punkt. Es hat mich nicht mehr so inspiriert, Lieder auf Akustikgitarre zu schreiben. Auf der ersten Platte war das ja der Fall. "Visionen Von Marie" ist beispielsweise so ein klassisches Akustikgitarren-Lied. Das hätte ich nur noch unter der Prämisse gemacht, dass ich so ein Lied nochmal schreiben will. Aber mich haben diesmal andere Sachen interessiert. Vielleicht kehre ich irgendwann ja mal wieder zurück. Aber man hat auf diesem Instrument ja seine eingefahrenen Wege, und es ist ganz gut, wenn man die mal wechselt.

Ihr habt teilweise in einer Waldhütte aufgenommen. Wie kam es dazu? Fandest du die Idee einfach nett? Oder hat dich Bon Iver inspiriert?

(lacht) Der war ja alleine, sagt die Legende. Bei mir lag es vor allem daran, dass ich das Ganze als Kollektiv funktionieren lassen wollte. Was für mich nicht funktioniert, ist so ein typischer Studiotag, wo man sich morgens um zehn trifft, um eins Mittagspause macht - und abends gehen dann alle ihrer Wege. Für mich sollte es lieber so sein, dass man auch zusammen kocht, lebt, trotzdem auf die Arbeit fokussiert ist, aber auch mal was Anderes macht. Deswegen habe ich mir diese Umgebungen rausgesucht, entweder die Hütte im Wald oder das Haus in der Lüneburger Heide. Das waren alles so Orte, an denen das möglich war.

Und dann ging alles irgendwie schneller als gedacht? Du hast die Tour ja bewusst nach hinten verlegt, weil das Album früher kam, oder?

Ich hab' es auch forciert. Wir haben die Tour auch verlegt, damit es früher kommen kann. Diese Prozesse dauern aus Sicht eines Künstlers immer unheimlich lange, so dass ich bei Veröffentlichung der ersten Platte im Kopf schon viel weiter war. Das wollte ich diesmal verhindern. Hätten wir die Tour im letzten Herbst gespielt, dann wären wir als Band schon völlig mit dem neuen Material befangen. Wir hätten uns aber zwingen müssen, das noch nicht zu spielen. Denn das wäre auch für die Leute blöd. Ich wollte einfach, dass das zusammenkommt: Die Platte wird veröffentlicht, wir stecken in den Liedern drin, und auch das Publikum kann sie hören. Und dann entwickelt sich was daraus.

Jetzt ist es praktisch so. Das war der früheste Termin, zu dem die Platte rauskommen konnte. Wir stecken selber noch drin, die Leute können sie hören und danach gehts wieder weiter. Das will ich eigentlich immer so haben, anstatt mir Gedanken zu machen, was kommerziell am sinnvollsten ist. Natürlich wäre ein anderer Weg unter anderen Gesichtspunkten besser gewesen, das haben viele Leute gesagt. Aber für mich ist es immer am wichtigsten, dass es weiterlebt und in einem arbeitet. Und dass man nicht deprimiert ist, weil irgendwas einen bremst.

Das klingt wie eine Erfolgsgeschichte.

Ja, für uns ist es gut so.

"Ich hätte 'Hallelujah' niemals auf Englisch gecovert."

Ist auf dem Weg nach "Rangoon" gar nichts schief gelaufen?

Man muss schon sagen: Eine Tour zu verschieben, das sollte man eigentlich vermeiden. Weil sich in ganz Deutschland schon über tausend Leute Karten gekauft hatten und die womöglich zurückgeben mussten. Das tut mir auch Leid, das wollte ich nicht. Aber ich habe dann wirklich gedacht, dass der Punkt überschritten war, wo wir das gut hätten machen können, und dass wir deswegen diesen anderen Weg gehen müssen.

Der Feuilleton hüllt sich, anders als bei "Die Phantasie Wird Siegen", ein bisschen in Schweigen. Glaubst du, dass auch das mit der schnellen Veröffentlichung zusammenhängt?

Wahrscheinlich, ja. Das war spürbar, auch bei den Leuten in unserem Umfeld, die sich damit befassen. Dass das vielleicht zu schnell war oder auch in eine andere Richtung geht, die fürs Feuilleton schwerer zu greifen ist. Aber ich glaube, dass die Platte mit der Zeit wirken wird, dass sie sich in ein paar Jahren irgendwie einordnet. Ich würde mich nie nach anderen Ideen richten. Man darf als Künstler nicht Sklave des Hörers oder der Kritik werden, sonst wird alles, was man tut, langweilig und bedeutungslos. Selbst wenn niemand darüber schreibt, gibt es bei uns trotzdem genug Leute, die auf die Konzerte kommen. Und dann ist alles gut.

Musstest du bei Sony Music Überzeugungsarbeit leisten? Die Majors sind ja wahrscheinlich schon eher darauf bedacht, einen guten Zeitpunkt für die Platte zu wählen.

Auf jeden Fall. Und auf eine gewisse Art ja auch nicht zu Unrecht. Da muss man schauen, wie man alle Interessen unter einen Hut kriegt.

Liest man über "Rangoon", kommt man an einem Namen natürlich nicht vorbei: Misha Schoeneberg, unter anderem bekannt geworden als Ton Steine Scherben-Wegbegleiter und damaliger Lebensgefährte Rio Reisers. Wie kam es dazu, dass ihr gemeinsam Songs geschrieben habt? Woher kennt ihr euch?

Misha ist für mich eine Art Mentor. Wir haben uns in Berlin kennengelernt, auf dem Teddy Award. Da haben auch Ton Steine Scherben gespielt, und ich kannte Leute aus der Band von anderen vorherigen Konzerten. Da hat mich ihm jemand vorgestellt, das ist aber bestimmt schon vier, fünf Jahre her. Von da an hat er meinen ganzen Weg begleitet, schon beim ersten Album ein bisschen mitgewirkt, hier und da reflektiert. Jetzt bei "Rangoon" hat das alles irgendwie zusammengepasst. Es hat sich richtig angefühlt, auf diese Art und Weise zusammenzuarbeiten. So haben wir ein paar Lieder zusammen geschrieben.

Du bezeichnest ihn also ganz ausdrücklich als Mentor, Wikipedia nennt ihn gar einen Sprachlehrer. Ist er dennoch ein Freund, mit dem du auf einer Ebene zusammenarbeitest?

Ja, doch, natürlich. Wenn wir die Texte zusammen schreiben, sind wir auf einer Ebene. Aber das ist nicht unbedingt natürlich, deswegen ist es auch schön, dass es geklappt hat - weil Texte und Kunst ja sonst immer mit Ego verbunden sind. Dass das so funktioniert, hat uns beide überrascht und gefreut. Dann haben wir daraus natürlich das Beste gemacht. Auch beim ersten Album hat er immer ein paar Aspekte eingebracht und alle Lieder lektoriert. Das tut mir generell sehr gut, vor allem auch, weil die Zeit sehr knapp war und vielleicht ein bisschen Zeit gefehlt hat, in der ich selber reflektieren konnte.

Hat er ein zusammenfassendes Wort zu der Platte an dich gerichtet?

Ja, das hat er schon. Er war bis zum Ende dabei und hat da sehr viele zusammenfassende Worte an mich gerichtet. Aber es ist schwer, das zusammenzufassen. (lacht)

Auf "Rangoon" befindet sich auch ein deutschsprachiges "Hallelujah"-Cover. Die Übersetzung stammt ebenfalls von Misha Schoeneberg und war ursprünglich sogar für Rio Reiser gedacht - eine Herausforderung?

Das wusste ich auch erst später. Ich hab' das so erlebt, dass er diese Übersetzung irgendwann mitgebracht hat. An meinem 20. Geburtstag war das, glaube ich. Und dann haben wir das mit ein paar Kumpels gespielt und mit einem Diktiergerät aufgenommen. Anschließend hat er es für die Genehmigung an Cohens Management geschickt und hat sie dann auch direkt bekommen.

Es ist also wahrscheinlich, dass Leonard Cohen sich das auch persönlich angehört hat.

Ich glaube schon, ja. Aber dass mich jemand angerufen hat, wie es in mehreren Artikeln stand, ist so ein Rock'n'Roll-Mythos. Dieses Approval kam, aber das war auch nicht so einfach, das hat Misha alles gemacht. Also: Mich hat niemand angerufen.

"Leonard Cohen ist ein Fan: Max Prosa hat einen Anruf seines Managements erhalten." Das war demnach eher übertrieben?

Ja, auf jeden Fall. Aber das kann man meinetwegen auch so stehen lassen. (lacht)

Hast du für das Cover auch schon negatives Feedback bekommen?

Ja, das polarisiert total. Viele Leute haben es direkt mit Jeff Buckley verglichen und gesagt, dass das schon so oft gecovert wurde. Ich hätte dieses Lied aber niemals auf Englisch gecovert. Das hätte für mich überhaupt keinen Sinn ergeben. So steht es aber immer überall, als hätte ich das getan. Dieser neue Ansatz, den das Cover mit sich bringt, ist aber ja dieses Deutsche. Ich glaube durchaus, dass es für deutsche Muttersprachler nochmal neue Aspekte öffnen kann.

Irgendwie hat man das Lied ja auch als jüngeres Semester schon etliche Male gehört. Aber egal, ob vom Schulchor gecovert oder im Til Schweiger-Film: Auf den Text habe ich nie wirklich geachtet.

Genau, und deswegen gibt es diese Version. Letztendlich sehe ich da kein Problem. Ich habe es ja auf meine Art gesungen, anders kann ich das auch nicht. Ich habe nicht versucht, es wie Leonard Cohen, Jeff Buckley oder John Cale zu machen. Diese Kommentare, von wegen "Oh, da covert jemand Leonard Cohen, da wagt sich jemand ran", gehen mir auf die Nerven. Letztendlich hat Leonard Cohen das Lied geschrieben und die Übersetzung wurde von ihm genehmigt. Ich singe das, und das hat nichts mit all den anderen Versionen zu tun. Von dem Standpunkt aus sollte man das bewerten, wenn man es hört und es einem gefällt.

"Ich mag keine Alben, die zu lang sind."

Textlich mit am besten gefiel mir auf der neuen Platte "Café Noir", in dem du über eine Kneipe und deren Besucher singst. Woher kam die Inspiration? Von eigenen Kneipenbesuchen?

Das sind gesammelte Erfahrungen, auch aus all meinen Reisen, unter anderem nach Irland. Zudem hat mich das Fotobuch "Café Lehmitz" von Anders Petersen sehr inspiriert. Das sind Bilder von einer Kneipe auf der Reeperbahn. Diese ganzen Personen und Geschichten in "Café Noir" sind natürlich fiktiv, aber irgendwo kann man sie dann auch überall wiederfinden. Es ist nicht realistisch gemeint, sondern als eine Art Überzeichnung dieser ganzen Erinnerungen.

Der Song "Am 23. Juli" stach schon aus deinen Supportshows für Clueso heraus, hat es jetzt aber nicht aufs Album geschafft.

Wir hatten sowieso zu viele Lieder. Ich mag keine Alben, die zu lang sind. Ich wollte das auf jeden Fall zu einem Ding machen, das man von vorne bis hinten durchhört und bei dem sich dann ein Bogen ergibt, ähnlich wie bei einer Setlist. Deswegen kam dieser Song dann nicht drauf, sondern auf die "Streunende Hunde"-CD. Ich hätte ihn natürlich auch für ein späteres Album aufheben können, aber das ist, finde ich, auch so ein einzelnes Lied. Da muss man wirklich in einer gewissen Stimmung sein. Es ist, glaube ich, nichts, das man immer wieder erleben will, wenn man das Album hört.

Spricht man deutsche Singer/Songwriter auf ihren persönlichen Musikgeschmack an, erzählen auffällig viele, dass sie eigentlich kaum aktuelle Platten deutschsprachiger Kollegen hören. Du zählst da nach wie vor dazu, nehme ich an?

Ja, bei mir ist es genauso. Also die Musik aus meinem direkten Umfeld höre ich schon mal. "An Und Für Sich" von Clueso habe ich beispielsweise gehört, wir beide haben ja auch einen künstlerischen Austausch. Aber alles andere eher weniger, obwohl ich ja mittlerweile ein paar Leute kenne. Das ist dann aber eher etwas direktes, anstatt dass man gegenseitig die Platten anhört. Es kommt dann irgendwann mal dazu, dass man sich neue Lieder vorspielt. Dann besteht ein viel direkterer Draht. Aber ich weiß es auch nicht genau. Es ist eigentlich schade, das stimmt. Andererseits bringt so halt jeder immer neue Sachen in dieses Potpourri deutscher Musiker herein - es kannibalisiert sich nicht.

Du bist kürzlich von Berlin nach Leipzig gezogen. Heute habe ich ein altes Zitat von dir gelesen: "Neukölln ist ein Symbol für meine Sehnsucht nach dem Leben." Und jetzt bist du trotzdem weggegangen. Warum?

Weil ich der Meinung bin, dass man sich Veränderungen hingeben sollte, wenn man sie bemerkt. Natürlich war Neukölln lange dieses Symbol und hat immer noch einen riesigen Stellenwert. Irgendwann wurde es aber zu einer Gewohnheit. Dann hat sich das mit Leipzig so ergeben. Ich war offen für eine andere Stadt, in Berlin bin ich ja geboren und aufgewachsen. Ich liebe es, sich treiben zu lassen. Für mich ist das eine Art von Freiheit. Ich wollte diese Möglichkeiten nicht von vornherein ausschließen und sagen: "Ich bin in Berlin, der besten Stadt in Deutschland." Wie es halt die Berliner so sagen, und jede andere Stadt wahrscheinlich auch.

Ach, wir in Düsseldorf jetzt nicht. Aber du hast schon Recht.

(lacht) Okay. Aber jedenfalls wollte ich das einfach ausprobieren. Ich glaube eben, dass genau diese Offenheit für verschiedene Perspektiven einen am Leben hält und auch künstlerisch interessant ist. Weil es total kreativ ist, in eine neue Stadt zu kommen. Denn dann geht man nicht mehr einfach auf dem schnellsten Weg von A nach B. Kennt man eine Stadt, geht man gar nicht mehr raus, weil man alle Läden schon kennt - meint man zumindest. In einer anderen Stadt kennt man nichts und ist wieder darauf angewiesen, mal selber überall hinzugehen und sich ein Bild zu machen.

Gibt es denn schon neue Impulse oder gar kreative Ergebnisse? Etwa ein "Abgründe Der Stadt 2"?

Nee, das ist ja gerade erst ein paar Tage her, sozusagen. Aber wo du es gerade sagst: Es ist interessant, wie diese alten Lieder wie "Abgründe Der Stadt" ganz neue Aspekte dazugewinnen, wenn ich sie jetzt auf Tour wieder singe. Aspekte aus meinem eigenen Leben. Genau so stelle ich mir das auch bei Leuten von außen vor, die das hören. Man hört seine eigenen Songs, interpretiert sie und ist total weg davon, als hätte man sie gar nicht geschrieben. Denn den Grund dafür gibt es eigentlich gar nicht. Das ist eine schöne Sache, ich mag das sehr.

Es geht also auf jeden Fall weiter mit einer neuen Platte?

Ja. Jetzt bin ich mir schon wieder ein bisschen sicherer, weil alles gerade gut läuft und ich irgendwie Lust hab'. Aber bis vor kurzem wusste ich das noch gar nicht. Ich kann mir auch vorstellen, mal was ganz anderes zu machen. Ein Buch zu schreiben oder Musik fürs Theater zu machen. Aber erst gestern habe ich für mich beschlossen, dass ich gerne drei Platten machen würde und erst dann etwas anderes.

Aber genau diese Euphorie ist eigentlich das Schönste an dem Ganzen. Weil man dann immer diese wahnsinnigen Pläne schmiedet und sagt: Okay, wir machen jetzt diesen Sommer das Album, gleichzeitig schreibe ich noch ein Buch. Im Juni gehts los, wo machen wir es? Fahren wir wieder in die Lüneburger Heide? Kommt ihr alle mit? Ja! Dann mastern wir im September und bringen es noch vor Weihnachten raus. Okay. (lacht) Darin kann man total aufgehen. Das ist, was in dem Moment zählt. Ob das dann wirklich so passiert oder nicht, ist später gar nicht mehr so wichtig.

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