laut.de-Kritik

"Dancing Queen" als Eisbrecher.

Review von

Me First And The Gimme Gimmes ist die einzig wahre Punk-Supergroup. Darin versammeln sich stets wechselsende Mitglieder von unter anderem NOFX, Lagwagon oder den Foo Fighters, die es sich einst zur Aufgabe gemacht haben, Konzeptalben mit Coverversionen unter das gutgelaunte Volk zu bringen. Egal ob Musical Hits, Country Songs oder glitzernde Hymnen der größten Pop-Diven, alles scheint möglich.

Eines Tages versauten die Gimme Gimmes die Bar Mitzvah eines gewissen Jonny, wirkten dabei gelinde gesagt etwas deplatziert und brachten die Aufnahmen dieses köstlichen Debakels dann als Live-Album zur Welt. Nun, ganze 20 Jahre später, wiederholen sie diese Posse auf der Quinceañera einer jungen Dame namens Madison, deren Familie offenbar genug Humor oder Risikobereitschaft besaß, die stets albern gekleidete Blase als Partyband zu buchen. Bei der Feierlichkeit handelt es sich im Übrigen um ein traditionelles Happening anlässlich des 15. Geburtstags der weiblichen Nachkommen im lateinamerikanischen Raum.

Die Gimmes gelten völlig zurecht als Vollprofis, ihre Fans feiern die Auftritte allerorts begeistert ab, was nicht zuletzt an der Spielfreude der Band und der offenbar unzerstörbaren Weltklassestimme von Sänger Spike liegt. Was aber, wenn niemand im Publikum je von der Kapelle gehört, geschweige denn mit flotten Punkversionen einiger Evergreens gerechnet hat? Richtig, die Menge muss überzeugt werden und genau das gelingt diesen Spinnern auch hier nach anfänglichen Schwierigkeiten überraschend gut. Inhaltlich hat man sich weitgehend den großen Schnulzen der westlichen Musikwelt und den Klassikern einer Musikrichtung verschrieben, die man Ranchero nennt. Eine Art folkloristische Schlagermucke aus der nächsten Nachbarschaft, nämlich Mexiko.

Beim flotten Sabbath-Opener "Changes", wie gewohnt lässig und auf den Punk(t) gecovert, könnte man noch vermuten, dass sich nur der engste Familienkreis auf der Veranstaltung befindet. Die Stimmung bewegt sich irgendwo links und rechts des Nullpunkts und wenn man sich kurz vorstellt, dass man von der Bühne aus vermutlich in eine Vielzahl großer Augenpaare und offener Münder blickt, lässt sich ein Lächeln unmöglich vermeiden.

Spike Slawson reißt (ja, schlechte) Witze, versprüht dabei aber einen unwahrscheinlichen Charme. Eines der etablierten Gimmes-Trademarks, nämlich beinahe jeden Song mit dem Intro eines wohlbekannten Punk-Klassikers zu starten, kommt auch hier zu Einsatz, nur dass es halt niemanden groß interessiert. So wird etwa das ruppige "Love Will Keep Us Together" (Captain & Tenille) immer wieder mit dem Thema von Joy Divisions "Love Will Tear Us Apart" erweitert, während "I Could Fall In Love" (Selena) mit einem Auszug aus Dramaramas großartigem "Anything, Anything" startet.

Mit jedem Stück steigt die Stimmung im Saal merklich, die Leute haben den Schock überwunden (oder sich damit abgefunden?) und feiern. ABBAs "Dancing Queen" klingt wunderbar innovativ und dient als Eisbrecher. Als absolutes Stimmungshighlight entpuppt sich das einzig moderne Stück "Good 4 U", im Original von Popsternchen Olivia Rodrigo, erweitert um Teile von "Ever Fallen in Love (With Someone You Shouldn't've)" (Buzzcocks) bei dem auch die jüngeren Festbesucher*Innen ihre letzten Hemmungen fallen lassen.

Sinnvollerweise wurde die Setlist um einige spanischsprachige Gassenhauer im Punk-Gewand erweitert. Die Spanne reicht von schrägem 80er Jahre Dance-Pop bis hin zu unfassbar pathetisch-schwulstigem Schlager. Es ergeht die klare Empfehlung sich die Songs auf den gängigen Medien im Original zu Gemüte zu führen. Es wird nur lustiger, das ist ein Versprechen. Die Truppe erweitert sich pünktlich zum ersten Ranchero-Song um die aus Keith Douglas (Mad Caddies) und Jason Crane (Rocket From The Crypt) bestehende Bläsersektion und würzt ihren Sound mit einer hervorragend passenden Brise Mariachi-Vibes. Das geil schwulstige "Por Tu Maldito Amor" (Vicente Fernández Jr) oder das coole "Camino De Guanajuato" (José Alfredo Jiménez) sprechen plötzlich eine ganz neue Sprache.

Einen großen und natürlich fragwürdigen Höhepunkt stellt die von Spike mit Ukulele vorgetragene sowie einem quasi unvermeidlichen Akkordeon unterstütze Schmachtorgie "Before The Next Teardrop Falls" (Freddy Fender) dar. Wie ein besoffener Cowboy schmalzt er sich in die Herzen der sicherlich mindestens angetrunkenen Gemeinde. Es bleibt kein Auge trocken. Zwar anfangs auch für den Hörer etwas gewöhnungsbedürftig, entpuppt sich das zweite Live-Album der Kalifornier als glänzende Perle. Man war aber auch nichts anderes gewohnt, oder?

Trackliste

  1. 1. Changes
  2. 2. Love Will Keep Us Together
  3. 3. Dancing Queen
  4. 4. I Could Fall In Love
  5. 5. Estos Celos
  6. 6. La Ultima Muñeca
  7. 7. Happy Birthday
  8. 8. Por Tu Maldito Amor
  9. 9. Good 4 U
  10. 10. Queen Of Hearts
  11. 11. Camino De Guanajuato
  12. 12. Before The Next Teardrop Falls
  13. 13. De Niña A Mujer

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